Nachruf

Silvio Berlusconi ist tot: Abschied von meinem politischen Lieblingsfeind

Silvio Berlusconi verkörperte politisch alles, was unsere Autorin verabscheut. Warum sie ihm trotzdem dankbar ist.

Silvio Berlusconi im italienischen Senat, 2013.
Silvio Berlusconi im italienischen Senat, 2013.Samantha Zucchi/imago


Er hat uns wenigstens darauf vorbereitet, das muss man ihm lassen. Die Anzeichen dafür, dass es um die Gesundheit von Silvio Berlusconi nicht gut bestellt war, hatten sich in den vergangenen Monaten gehäuft.

Am Montag starb der 86-Jährige ehemalige italienische Ministerpräsident an den Folgen der Leukämie, an der er seit längerem litt. Erst vor einigen Tagen war der Cavaliere nach einem längeren Krankenhausaufenthalt im April wieder entlassen worden, und sogar bereits öffentlich aufgetreten. Sein Tod am Montag kam also doch einigermaßen überraschend.

Jetzt kommt die Zeit der großen Nachrufe. Für Berlusconis Freunde und Bewunderer ist es jetzt einfach: „Über Tote nur Gutes“ – eine leichte, fast banale Aufgabe.

Für die andere Seite, die der Kritiker und der politischen Gegner, ist es dagegen komplizierter. Silvio Berlusconi war für viele junge Italienerinnen und Italiener zwischen Mitte der Neunziger und Anfang der Nuller-Jahre vor allem eines: ein politisches Feindbild – auch für mich. Wie schreibt man also über den Tod eines Politikers, der so ziemlich alles verkörperte, was du und deine Generation bekämpfen wollten?

Mein Nachruf für meinen politischen Lieblingsfeind beginne ich mit einem Dankeschön.

Dafür, dass er Politik und Gesellschaft in Italien über Jahrzehnte derart polarisierte, dass er es uns, damals junge Generation, leicht machte, zu wissen, auf welcher Seite man steht. Er stellte uns vor eine einfache Wahl: Entweder mit ihm oder gegen ihn – und wer gegen ihn war, wusste sofort, wo er sich in Berlusconis Vision von Gesellschaft zu verorten hatte. Seine Verachtung für jegliche Form von Kritik und Dissens war sprichwörtlich geworden: „Ihr seid immer noch, heute wie immer, arme Kommunisten!“, sagte er einmal über Vertreter der sozialdemokratischen Opposition während einer Wahlkampfveranstaltung.

So einfach, und doch so wirksam: Der erfolgreiche Self-Made-Unternehmer und Medienmogul, der in die Politik geht, um das Land vor der „kommunistischen Gefahr“ zu bewahren, wurde zum Erfolgsmodell.

Für seine Bewunderer war er ein Retter und eine positive Identifikationsfigur; für seine Kritiker ein neoliberaler Chauvinist, der seine finanzielle Macht und sein Medienimperium nutzte, um die Politik zu entern, mit dem einzigen Ziel, seine wirtschaftlichen Interessen mit jedem Mittel zu verteidigen, ohne dafür von der Justiz belangt zu werden.

In einem Punkt sind Bewunderer und Kritiker einig: Silvio Berlusconi hat Italien politisch und kulturell nachhaltig verändert. Aber stimmt es wirklich, dass mit seinem Tod, wie heute viele italienische wie auch internationale Medien unisono schreiben, „eine Ära endet“? 

Das verheerendste Erbe von Silvio Berlusconi heißt Giorgia Meloni

Vor einigen Monaten, während des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen vom vergangenen Oktober, war es auffällig, wie viele internationale Medien nach dem Wahlsieg von Giorgia Meloni vor einer „faschistischen Gefahr“ in Italien warnten, um wenige Wochen später verblüfft festzustellen: „Was ist mit der gefährlichsten Frau Europas passiert?“ Man hatte so etwas wie den „Marsch auf Rom“ erwartet und nun gibt sich Meloni ganz institutionell. Wie kann man das erklären?

Die Antwort ist einfach: Eine „faschistische Gefahr“ gab es nicht, weil die Postfaschisten längst zum politischen Establishment gehören. Dass in Italien im Jahr 2023 die Erben der Partei von Benito Mussolini eine Regierungskoalition führen, ist einzig und allein Silvio Berlusconi zu verdanken. 

Ohne die Legitimierung der postfaschistischen Rechten, die seit den neunziger Jahren mit Regierungen unter Berlusconi erfolgte, wäre der Erfolg von Giorgia Melonis Fratelli d´Italia nicht denkbar. Für diesen Bruch mit dem antifaschistischen Konsens, der in Italien seit Gründung der Republik 1946 herrschte, wird Silvio Berlusconi in die Geschichte eingehen.

Der „Berlusconismus“, der ohne Silvio Berlusconi weiterlebt

Und natürlich wird er für viele andere Dinge erinnert werden – wo soll man da anfangen? Das Monopol über die Medienlandschaft, die Kontakte zur Mafia, die Erfolge im Fußball mit dem AC-Mailand, die Sex-Geschichten mit Minderjährigen, die exzentrischen Auftritte bei internationalen Treffen, die innige Freundschaft mit Wladimir Putin...

Silvio Berlusconi vereinigte in seiner Person die Figur, den Politiker und den volksnahen „Antipolitiker“, diese Mischung bildet die Basis des „Berlusconismus“. Ein System, das heute auch ohne Berlusconi funktioniert. 

Was ist unter „Berlusconismus“ genau zu verstehen? Die Journalistin Ida Dominijanni hat dafür eine treffende Bezeichnung gefunden: Ein politisches System, das sich um den Kult des Anführers dreht, dessen wichtigstes Merkmal sie die „affektive Nutzung“ der Macht nennt.

Die Feministin Dominijanni analysiert einen bestimmten Aspekt des „Systems Berlusconi“, der oft zur witzigen Marginalie heruntergespielt wird: die Sexualität. Damit meint die Autorin nicht die Sexskandale um den ehemaligen Ministerpräsidenten an sich, sondern das System, das auf dem Austausch von Sex, Geld und Macht basiert.

Silvio Berlusconi: Europas erster Populist

Durch die politische Mobilisierung der Sexualsphäre hat Berlusconi, lange vor Donald Trump, den von ihm verkörperten Populismus – unterstützt von seiner Macht über die Massenmedien, die Konsens produzieren – um einen entscheidenden Aspekt ergänzt: die Zurschaustellung der Sexualität als „Prothese der Macht“ (Dominjanni), die den Kult um den männlichen Anführer untermauert und ein noch stärkeres Identifikationspotential bietet als die neoliberale Figur des erfolgreichen Geschäftsmannes mit seinem antipolitischen und rein unternehmerischen Verständnis von Staat, Politik und Gesellschaft.

Gerade dieses Verhältnis zwischen dem Anführer und den Massen, das weniger über Zwang und Manipulation von oben als über die Identifikation von unten funktionierte, ist ein wesentlicher ­Bestandteil jener neoautoritären Politik, die man heute in Italien unter „Berlusconismus“ und außerhalb allgemein unter Populismus versteht. In Europa war er der erste, und in dieser Form, vielleicht, weltweit.

Silvio Berlusconi: Eine italienische Geschichte

Silvio Berlusconi wurde „gehasst und geliebt“, liest man heute in vielen Nachrufen. Aber vor allem hat er „die italienische Psyche über viele Jahrzehnte verzaubert“, wie La Repubblica schreibt. Die Skandale, die Prozesse, die Interessenkonflikte – nichts davon hat seinem Image wirklich geschadet. 

Im Jahr 2001 bekam jeder italienische Haushalt eine Wahlkampfbroschüre per Post zugeschickt, „Eine italienische Geschichte“ lautete der Titel. Das Heftchen erzählte mit vielen Bildern und wenig Text die wichtigsten Etappen im Leben des damaligen Spitzenkandidaten Silvio Berlusconi nach.

Italien trauert heute weniger um einen altgedienten Politiker, sondern um eine Figur, die aus einem Roman mit exakt jenem Titel stammen könnte.