Israel

Hamas-Massaker: Recherche enthüllt neue Details über „extreme sexuelle Gewalt“

Am 7. Oktober tötete und misshandelten Hamas-Terroristen Dutzende israelische Frauen. Die New York Times bringt nun neue Details ans Licht und zeigt, warum das Sammeln von Beweisen so schwierig ist.

Die Verwüstung im Kibbuz Be’eri nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023
Die Verwüstung im Kibbuz Be’eri nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023imago/Abacapress

Am 7. Oktober führten die Hamas-Terroristen in Israel brutale Angriffe gegen Zivilisten durch, bei denen Tausende Menschen getötet wurden. Unter den Terroropfern waren Hunderte junge Israelis – viele von ihnen wurden während eines Techno-Raves in der Negev-Wüste überfallen, die Fotos und Videos der in Panik fliehenden Menschen gingen um die Welt.

Von Anfang an wurde darauf hingewiesen, dass die Terroristen am 7. Oktober massive sexuelle Gewalt verübt haben, was die Hamas stets zurückgewiesen und die Vorwürfe als Teil der „israelischen Propaganda“ bezeichnet hatte.

Nun hat die New York Times (NYT) in einer aufwendigen zweimonatigen Untersuchung aufgedeckt, dass die Angriffe auf Frauen „keine isolierten Ereignisse waren, sondern Teil eines umfassenderen Musters geschlechtsspezifischer Gewalt“, die am 7. Oktober „systematisch verübt“ wurde. Mithilfe von Videoaufnahmen, Fotos, GPS-Daten von Mobiltelefonen und Interviews mit über 150 Menschen, darunter Zeugen, medizinisches Personal, Soldaten und Berater für Vergewaltigungsopfer, identifizierte die NYT mindestens sieben Orte, an denen israelische Frauen und Mädchen brutal misshandelt und getötet wurden.

Systematische sexuelle Gewalt: Ausmaß schlimmer als gedacht

Unter dem Titel „Schreie ohne Worte: Wie die Hamas am 7. Oktober sexuelle Gewalt als Waffe einsetzte“ präsentiert die NYT die Ergebnisse ihrer Recherche und kommt dabei zu dem Schluss: Das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen israelische Frauen sei weitaus schlimmer als bisher bekannt. Überall dort, wo Hamas-Terroristen zugeschlagen haben, seien Frauen brutal misshandelt worden, erklärten israelische Beamte gegenüber der NYT. Zitiert werden Augenzeugen, die in anschaulichen Details beschrieben, wie sie an zwei verschiedenen Orten entlang der Route 232 die Leichen von Frauen sahen, an denen die Zeichen der erlittenen sexuellen Gewalt offensichtlich gewesen seien.

Die NYT befragte mehrere Soldaten und freiwillige Sanitäter, die beschreiben, dass sie mehr als 30 Leichen von Frauen und Mädchen in zwei Kibbuzim in entsprechendem Zustand vorgefunden haben – gespreizte Beine, abgerissene Kleidung sowie deutliche Anzeichen von Missbrauch im Genitalbereich.

Neben auf Erinnerungen basierenden Berichten von Augenzeugen hatte die NYT Zugang zu Foto- und Videomaterial, welches die Brutalität der Terroristen gegenüber israelischen Frauen belegen soll und die Autoren als „extrem verstörend“ beschreiben.

Etwa „ein vom israelischen Militär zur Verfügung gestelltes Video, das zwei tote israelische Soldatinnen auf einem Stützpunkt in der Nähe des Gazastreifens zeigt, denen offenbar direkt in die Vagina geschossen worden war“. Oder das Foto einer Frauenleiche aus einem Kibbuz, der Nägel in die Oberschenkel und die Leistengegend gehämmert worden waren.

Während die Hamas die israelischen Vorwürfe der sexuellen Gewalt stets zurückgewiesen hat, sammeln die Ermittler der obersten israelischen Polizeieinheit, Lahav 433, kontinuierlich Beweise – doch zu beziffern, wie viele Frauen vergewaltigt wurden, erweise sich als extrem schwierig: „Die meisten Opfer sind tot und begraben. Keine der Überlebenden hat sich bisher öffentlich geäußert“, so die NYT. Es sei jedoch auch zu folgenschweren Entscheidungen und möglicherweise Fehlern durch die Ermittler gekommen, die eine vollständige Aufklärung verunmöglichen.

Warum es schwierig ist, Beweise für die sexuelle Gewalt zu sammeln

Die israelische Polizei hat gegenüber der NYT zugegeben, dass sie sich während des Schocks und der Verwirrung am 7. Oktober nicht darauf konzentrierte, Spermaproben von den Leichen der Frauen zu sammeln, Autopsien anzufordern oder die Tatorte genau zu untersuchen. In diesem Moment, so die Behörden, sei man in erster Linie darauf bedacht gewesen, die Toten zu identifizieren und zurückzuschlagen.
Aufgrund religiöser Vorschriften seien die meisten Opfer des Massakers schnellstmöglich beerdigt worden. Dadurch sei es nicht mehr möglich, die genauen Umstände ihres Todes zu rekonstruieren.

Die Untersuchungseinheit müsse sich deshalb auf Bilder, Videos und die wenigen Aussagen von Überlebenden stützen. Sapir, eine 24-jährige Buchhalterin, die den Supernova-Rave besuchte, ist zu einer der wichtigsten Zeuginnen der israelischen Polizei geworden. Sie sprach auch mit der NYT: „In einem zweistündigen Interview vor einem Café im Süden Israels erzählte sie, wie sie sah, wie Gruppen von schwer bewaffneten Männern mindestens fünf Frauen vergewaltigten und töteten.“

Ein israelischer Soldat patrouilliert am 12. Oktober 2023 in der Nähe des Ortes, an dem 270 Feiernde während des Supernova-Musikfestivals am 7. Oktober überfallen und getötet wurden.
Ein israelischer Soldat patrouilliert am 12. Oktober 2023 in der Nähe des Ortes, an dem 270 Feiernde während des Supernova-Musikfestivals am 7. Oktober überfallen und getötet wurden.Aris Messinis/AFP

Sie schilderte, wie sie sie sich am 7. Oktober um 8 Uhr morgens unter den niedrigen Ästen eines buschigen Baums direkt an der Route 232 versteckt hatte: „Ihr war in den Rücken geschossen worden, sie fühlte sich ohnmächtig. Sie deckte sich mit trockenem Gras zu und blieb so ruhig liegen, wie sie konnte“, ist in der NYT zu lesen. Sapir beschreibt, was sie aus ihrem Versteck beobachtete. Eine der fünf Frauen sei „von mehreren Männern herumgereicht worden“, man habe ihr die Hose bis zum Knie heruntergezogen. Ein Mann habe hinter ihr gestanden, sie vergewaltigt und jedes Mal, wenn sie zurückgewichen sei, habe er ihr mit einem Messer in den Rücken gestochen. Sie habe dann zugesehen, wie eine andere Frau „in Stücke geschreddert“ wurde. Während ein Terrorist sie vergewaltigt habe, habe ein anderer einen Kartonschneider gezückt und ihr die Brust abgeschnitten. Sapir legte Fotos von ihrem Versteck und ihren Wunden vor, wie die Polizeibeamten bestätigten.

Viele Augenzeugenberichte ähneln sich. Etwa der von Yura Karol, ein 22-jähriger Sicherheitsberater, der sich auch an der Route 232 versteckte und auf einem der Fotos von Sapir zu sehen ist. Oder der von Rad Cohen, der der NYT berichtet, wie er von seinem Versteck an einem anderen Abschnitt der Autobahn aus gesehen hat, wie fünf Männer in Zivilkleidung, alle mit Messern und einer mit einem Hammer, eine Frau über den Boden schleiften: „Sie war jung, nackt und schrie“, so Cohen, „Sie versammeln sich alle um sie. (…) Sie stand auf. Sie fingen an sie zu vergewaltigen. Ich sah die Männer in einem Halbkreis um sie herum stehen. Einer drang in sie ein. Sie schrie. Ich erinnere mich noch an ihre Stimme, Schreie ohne Worte.“

Ein israelischer Soldat in einem zerstörten Haus im Kibbutz Be’eri nach dem Massaker vom 7. Oktober
Ein israelischer Soldat in einem zerstörten Haus im Kibbutz Be’eri nach dem Massaker vom 7. Oktoberimago/Abacapress

Und dann gibt es die verstörenden Schilderungen der Ersthelfer in den Kibbuzim. Acht freiwillige Sanitäter und zwei israelische Soldaten berichteten der NYT, dass sie in Be’eri und Kfar Aza in mindestens sechs verschiedenen Häusern auf insgesamt 24 Leichen von Frauen und Mädchen gestoßen seien. Sie seien nackt oder halb nackt, teilweise verstümmelt, teilweise gefesselt und oft alleine gewesen.

Weil ihre Aufgabe darin bestand, nach Überlebenden zu suchen, habe man die Tatorte in vielen Fällen jedoch nicht dokumentiert.
Den israelischen Behörden, so die NYT, mangele es nicht an Videobeweisen von den Anschlägen vom 7. Oktober.

Es gebe stundenlanges Filmmaterial von Hamas-Körperkameras, Dashcams, Sicherheitskameras und Mobiltelefonen, welches die Terroristen bei der Tötung von Zivilisten zeige, sowie viele Bilder von verstümmelten Leichen. Und trotzdem: „Wir haben null Autopsien, null“, sagt Moshe Fintzy, stellvertretender Polizeipräsident und ranghoher Sprecher der israelischen Nationalpolizei, der Zeitung.

„Der Hass auf Juden und der Hass auf Frauen“

Das liege daran, so Fintzy, dass israelische Ermittler unter Druck standen, schnellstmöglich festzustellen, wer tot und wer nach Gaza verschleppt worden sei. Nach jüdischer Tradition werden Beerdigungen zudem unverzüglich abgehalten. Dies habe dazu geführt, dass viele Leichen, die Anzeichen von sexuellem Missbrauch aufwiesen, ohne medizinische Untersuchung beigesetzt wurden, „was bedeutet, dass potenzielle Beweise nun im Boden vergraben liegen“. Neben ihm beim Interview mit der NYT sitzt Polizeihauptkommissarin Mirit Ben Mayor, die der Zeitung sagt, sie glaube, dass die Brutalität gegen Frauen „eine Kombination aus zwei grausamen Kräften“ sei: „dem Hass auf Juden und dem Hass auf Frauen“.

Einige Rettungssanitäter, die mit der NYT gesprochen haben, wünschen sich jetzt, sie hätten mehr von dem, was sie gesehen haben, dokumentiert. In Interviews sagten sie, sie hätten beim Versuch, den Toten gegenüber respektvoll zu sein, „versehentlich Beweise zerstört“.
Das sei der Fall beim Katastrophenschutzteam Zaka. Viele der Freiwilligen, die dort arbeiten, seien religiöse Juden und arbeiten nach strengen Regeln, die einen tiefen Respekt vor den Toten verlangen. „Ich habe keine Fotos gemacht, weil wir nicht fotografieren dürfen“, sagt etwa Yossi Landau, „im Nachhinein bereue ich das.“

Die Vereinten Nationen reagierten spät auf Berichte über sexuelle Gewalt

Israel wirft der internationalen Gemeinschaft und vor allem der Vereinten Nationen weitgehendes Schweigen zur sexuellen Gewalt, die die Hamas-Terorristen am 7. Oktober verübten. Erst Anfang Dezember hatten sich das Büro des UN-Generalsekretärs und das Frauenrechtsgremium der Vereinten Nationen UN Women dazu geäußert: „Wir verurteilen unmissverständlich die brutalen Angriffe der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Wir sind alarmiert über die zahlreichen Berichte über geschlechtsspezifische Gräueltaten und sexuelle Gewalt während dieser Angriffe. Deshalb haben wir gefordert, dass alle Berichte über geschlechtsspezifische Gewalt ordnungsgemäß untersucht und strafrechtlich verfolgt werden, wobei die Rechte der Opfer im Mittelpunkt stehen müssen“, hieß es in einem Statement

Auch die Chefin des UN-Kinderhilfswerks (Unicef), Catherine Russell, hatte sich erst Anfang Dezemebr zu den Berichten über sexuelle Gewalt an israelischen Frauen und Kindern geäußert und diese als „schrecklich“ bezeichnet.

Israelische Frauen, einige internationale Organisationen und feministische Gruppen bezeichnen diese Reaktionen als zu spät und unzureichend und kritisieren die UN scharf für ihr „unerträgliches Schweigen“.