Der Bulgare Ivan Krastev ist einer der bedeutendsten Politologen Europas. Er ist <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/osteuropa">Osteuropa</a>-Experte, erfolgreicher Sachbuchautor und ein Kenner Wladimir Putins. Wir haben mit dem Wissenschaftler per Video gesprochen, er schaltete sich aus Oxford zu.

Herr Krastev, Sie haben kurz nach der russischen Invasion in die <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/ukraine">Ukraine</a> den deutschen Medien ein Interview gegeben und viele Dinge erstaunlich treffsicher prophezeit. Sie haben <a href="https://www.berliner-zeitung.de/topics/wladimir-putin">Wladimir Putin</a> auch persönlich kennengelernt. Wie sehen Sie die Entwicklung des Krieges zwei Jahre später? Erstens muss man verstehen: Dieser Krieg dreht sich nicht so sehr um das Territorium der Ukraine, sondern vor allem um die Identität der Ukraine. Im Sommer 2021 schrieb Putin in einem Essay, dass er nicht daran glaube, dass die ukrainische Nation überhaupt existiere, sondern dass sie ein Teil von Russland sei. Die Ukrainer antworten: „Wir sind eine Nation!“ Nun kommt Putin mit Dokumenten aus dem 18. Jahrhundert und sagt: „Nein, das seid ihr nicht.“ Putin will, dass die Ukrainer sich so sehen, wie er sie sieht. Dabei ist er bereit, aus Verzweiflung radikale Schritte zu gehen. 2014 war die Entscheidung Putins, <a href="https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/ukraine-russland-faktencheck-essay-wem-gehoert-eigentlich-die-krim-li.342654">die Krim zu annektieren</a>, so ein Schritt der Verzweiflung. Er sah, dass er den Einfluss in der Ukraine verliert. Die Krim hat er relativ spontan annektiert. Putin wollte sehen, wie die Reaktion des Westens ausfallen würde. Die erfolgreiche Annexion hat die Art und Weise verändert, wie er sich selbst wahrnimmt.

Ukraine-Krieg: „Wir sollten Putin genau zuhören“

Ivan Krastev, geboren 1965 in Lukowit/Bulgarien, ist Politikwissenschaftler. Er leitet das Center for Liberal Strategies in Sofia und ist Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien. 2019 legte er gemeinsam mit dem amerikanischen Politologen Stephen Holmes das Buch „Das Licht, das erlosch - Eine Abrechnung“ vor, das international für Furore sorgte. Krastev und Holmes analysieren darin, wie es nach 1989 zum Aufstieg des autoritären Populismus kam.

Zur Person

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16:9

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