Die türkische Oppositionspartei CHP hat den abgesetzten Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoğlu zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gewählt. Parteichef Özgür Özel erklärte vor Teilnehmern einer Demonstration in Istanbul am Abend, es hätten 1,6 Millionen der insgesamt 1,7 Millionen CHP-Mitglieder für den 53-Jährigen als Kandidat bei einer künftigen Präsidentschaftswahl gestimmt.
Millionen Menschen gaben Özel zufolge zudem ihre Stimme symbolisch an sogenannten Solidaritätswahlboxen für İmamoğlu ab, die neben den regulären Urnen im ganzen Land aufgestellt worden waren. Nach Auszählung von etwas mehr als der Hälfte der Solidaritäts-Urnen käme man bereits auf mehr als 13 Millionen symbolischen Stimmen für İmamoğlu, sagte Özel. Die Türkei hat 85,6 Millionen Einwohner.
Das türkische Innenministerium hatte den in Untersuchungshaft sitzenden Istanbuler Bürgermeister zuvor vorläufig seines Amtes enthoben. İmamoğlu sei „von seinen Aufgaben suspendiert worden“, erklärte das Innenministerium am Sonntag. Ein Gericht hatte die Inhaftierung des Rivalen von Präsident Recep Tayyip Erdoğan davor mit Korruptionsvorwürfen begründet, Oppositionsvertreter sprachen von einem „Staatsstreich“.
İmamoğlu war am Mittwoch zusammen mit Dutzenden von anderen Personen, darunter zwei Bezirksbürgermeister, festgenommen worden. Dem CHP-Politiker werden in zwei getrennten Verfahren Vorwürfe im Zusammenhang mit Terrorismus und Korruption gemacht. Konkret gehe es bei den Korruptionsermittlungen um den Verdacht der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Erpressung, Bestechung, Betrug und Ausschreibungsmanipulation. Bei den Terrorermittlungen geht es um den Vorwurf einer Unterstützung der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK. İmamoğlu, der bereits am Samstagvormittag fünf Stunden lang verhört worden war, bestreitet die Vorwürfe vehement.
Trotz massiven Polizeiaufgebots gingen am Samstag den vierten Abend in Folge Tausende Menschen in Istanbul auf die Straße. Die Polizei setzte bei Zusammenstößen am Rande der Proteste Gummigeschosse, Pfefferspray und Blendgranaten ein. Vor dem Istanbuler Rathaus hatte sich am späten Samstagabend eine riesige Menschenmenge versammelt. Viele Protestteilnehmer schwenkten Flaggen und Plakate, auf denen gegen die Regierungspartei AKP gerichtete Slogans zu lesen waren, darunter „Diktatoren sind Feiglinge“ und „Die AKP wird uns nicht zum Schweigen bringen“. (mit dpa/AFP)


