Bericht

Donald Tusk ist nicht der Drachentöter des Populismus – sondern sein Opfer

Die dunkle Seite von Polens strahlendem Image in Westeuropa versucht Donald Tusk gekonnt zu verbergen. Doch irgendwann platzt die Bombe. Ein Gastbeitrag.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk
Polens Ministerpräsident Donald TuskIMAGO/Omar Marques

„Drei Wochen war der Frosch so krank, jetzt raucht er wieder, Gott sei Dank“, endet ein Märchenreim von Wilhelm Busch. In Polen kennt es niemand, nur wenige von Buschs Werken sind ins Polnische übersetzt und das ist fürs deutsche Image in Polen auch ganz gut so. Das Ende des Frosch-Reims passt aber prima in die Stimmung, die in deutschen Medien und unter deutschen Politikern zurzeit über Polen herrscht: Acht Jahre war der polnische Frosch krank, wurde gemieden, als habe er eine ansteckende Krankheit, stand in der Schmuddelecke und war beleidigt, bis zum Oktober 2023, als die PiS-Partei abgewählt wurde und sich der kranke Frosch in einen kerngesunden, vor Kraft strotzenden Märchenprinzen verwandelte.

Seither ist Polen wieder zurück in Europa, selbstbewusst und entschlossen und zeigt den anderen, wo der Bartel den Most holt: Im letzten Jahr verzeichnete das Land ein Wirtschaftswachstum von 2,85 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, dieses Jahr werden es wohl über 3 Prozent werden. In der EU können sich mit so etwas nur Malta, Spanien, Kroatien und Dänemark brüsten.

„Stärkste Wirtschaft, stärkste Armee, stärkste Stimme in Europa“ wolle Polen werden, verkündete Premierminister Donald Tusk in seiner diesjährigen Ansprache zum 1. Mai. Nach dem russischen Überfall der Ukraine hatte die PiS-Vorgängerregierung bereits einen Sonderfonds für Verteidigung von 100 Milliarden Zloty (ca. 23 Milliarden Euro) aufgelegt. Polen heimst inzwischen Lob von anderen Nato-Mitgliedern (und der US-Regierung) ein, weil es in punkto Verteidigungsausgaben mit 4,7 Prozent des Bruttosozialprodukts an der Spitze der Nato steht und seine Politiker mit Donald Trump ganz gut auskommen. Und das alles ohne polemische Seitenhiebe und Blockadepolitik in der EU.

„Polen ist zurück in Europa“, fand Zeit Online. „Nato-Vorbild Polen“ titelte MOMA und selbst das Neue Deutschland sieht jetzt „Polen als Vorbild für Ungarn“, weil die Polen 2023 eine rechtspopulistische, mit Viktor Orban verbündete Regierung abgewählt haben. „Polen ist einer der wichtigsten Akteure in der Nato und der EU, ein zunehmend dynamischer Wachstumsmotor und ein einflussreiches regionales Vorbild“, fand auch das Atlantic Council, einer der einflussreichsten außenpolitischen US-Thinktanks.

Einerseits stimmt das alles. Polen hat noch unter der PiS-Regierung schnell und entschieden auf den russischen Einmarsch in der Ukraine reagiert. Als die Ampel noch über die Sendung von Helmen beriet, lieferte Polen bereits Leopard-Panzer, als Bundespräsident Steinmeier noch über Wolodymyr Selenskyj beleidigt war, saßen Jarosław Kaczyński und Premierminister Mateusz Morawiecki bereits im Zug nach Kiew. Und seit an der Weichsel Donald Tusk regiert, werden Polens Interessen in Brüssel konsequent, aber elegant vertreten und die Wirtschaft boomt wieder.

Andererseits ist das ein wenig wie mit Wilhelm Buschs Frosch: Er wird zwar wieder gesund, raucht aber. Das ist die dunkle Seite dieses schönen Märchens über Polen: Der Frosch ist drauf und dran, sich Lungenkrebs zu holen. Denn hinter dem schönen Schein aus kräftigem Wirtschaftswachstum, niedriger Arbeitslosigkeit, hohen Rüstungsausgaben und pro-europäischem Image brodelt eine Finanzkrise, die so gefährlich ist wie die griechische Euro-Krise vor 15 Jahren. Und sie hat fast haargenau die gleichen Ursachen.

Berliner Zeitung

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