Rund 250 Menschen kommen derzeit täglich neu in Berlin an – Menschen, die vor dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine fliehen sowie Asylbewerber aus anderen Ländern der Welt. Inzwischen sind es so viele Neuankömmlinge, dass Berlin auf ein altbekanntes Rezept zurückgreift: Sie werden in Hostels und Hotels der Stadt untergebracht, teils bei laufendem Betrieb.
Am Montag wurden die ersten 100 Plätze mit Asylsuchenden belegt, die bislang im Ankunftszentrum Tegel untergebracht waren. Insgesamt stünden bereits eine Woche nach dem Senatsbeschluss rund 1100 Plätze in drei Beherbergungsbetrieben zur Verfügung, meldet das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF). Die Plätze würden bis Ende November schrittweise belegt.
Doch das wird nach LAF-Angaben nicht ausreichen. Über das erste Kontingent hinaus liefen demnach aktuelle Verhandlungen mit weiteren Betreibern über noch einmal 600 Plätze. Hinzu komme, dass die laufenden Verträge über Kontingente von insgesamt 1000 Plätzen an unterschiedlichen Standorten in der Stadt „umfänglich gesichert“ wurden.
„Ich danke den Hostel- und Hotelbetreibern, dass sie in der aktuellen Notlage ihre Häuser für Geflüchtete öffnen“, schreibt Berlins Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) in einer Mitteilung. Dass die Betreiber dieser Unterkünfte von dem Deal profitieren, weil das LAF ihnen das Haus planbar füllt, darf als Subtext mitgedacht werden. So oder so bildet diese Summe nur einen kleinen Teil der insgesamt eine Milliarde Euro, die Berlin nach Rechnung des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) jährlich für Flüchtlinge ausgibt.
Sozialarbeiter in Hostels: Senat will Integration gewährleisten
Nun ist Cansel Kiziltepe im Senat auch für Integration zuständig. Deshalb sagt sie: „Mir ist wichtig, dass die dort untergebrachten Menschen durch Sozialarbeitende unterstützt werden und Angebote zur Integration und Teilhabe erhalten.“ Träger sei die Arbeiterwohlfahrt, diese biete künftig an festen Tagen an Ort und Stelle eine Sozialberatung an und stelle Informationen für die Menschen bereit.
Die Plätze in den Hostels und Hotels werden aber nicht ausreichen, die Menschen unterzubringen. Und da auch der hauptstädtische Wohnungsmarkt bekannt angespannt ist, plant die Berliner Landesregierung die Ausweitung der Unterkünfte auf den ehemaligen Flughäfen Tegel und Tempelhof um mehrere Tausend Plätze. In Tegel sind weitere Leichtbauhallen geplant, in Tempelhof wird dieser Tage ein weiterer Hangar auf eine Eignung als Unterkunft inspiziert.
Über dieses Vorgehen herrscht Einigkeit im schwarz-roten Senat, es wurde vorige Woche beschlossen. Dennoch gehen die Debatten weiter. So meldete sich SPD-Landes- und Fraktionschef Raed Saleh mit einer Warnung zu Wort: Großunterkünfte für Geflüchtete dürften auf keinen Fall zur Dauerlösung werden. „Ich kann nur davor warnen, dass wir die Fehler bei der Integration der vergangenen Jahrzehnte wiederholen. Wir haben erlebt, wie es funktioniert, und wir haben auch erlebt, wie es nicht funktioniert.“
Die großen Unterkünfte, die es in den 80er-Jahren für die Libanon-Flüchtlinge gegeben habe, „die Tatsache, dass man zwei getrennte Welten hatte zwischen den Geflüchteten und denen, die schon hier leben, dass es da gar keine Berührung gab, hat nicht zur Integration beigetragen“, sagte Saleh.

Beim Koalitionspartner CDU mag man keinen Dissens zur SPD erkennen, die sich so kritisch über Großunterkünfte äußert. Tatsächlich sagt der Regierende Bürgermeister Wegner seit langem bei jeder Gelegenheit, dass auch er die dortigen Zustände für schwierig halte. „Großunterkünfte sind keine gute Lösung“, bestätigt Senatssprecherin Christine Richter auf Anfrage der Berliner Zeitung. „Das will keiner.“ Nur gebe es derzeit keine Alternative.
Da machen also zwei etwas, was sie nach eigenem Bekunden beide nicht wollen. Das mag zusammenschweißen, und doch gibt es bei dem Thema schwarz-rote Misstöne: Wie und wo sollen die schulpflichtigen Kinder aus den Großunterkünften beschult werden? Die meisten umliegenden Schulen sind voll. Dennoch steht auch die SPD hinter Wegners Wort, wonach es inakzeptabel sei, dass die Kinder und Jugendlichen von Tegel „nur die weiße Wand anstarren können“.

Für Tegel mit seinen inzwischen mehreren Hundert Schulpflichtigen gibt es demnach zwei Möglichkeiten: Auf dem früheren Flugfeld könnte eine weitere Leichtbauhalle errichtet werden, in der Willkommensklassen eingerichtet würden. Schon jetzt gibt es auf dem ehemaligen Parkplatz 10 ein Zentrum für schulvorbereitende Angebote.
Oder die frühere Zentrale der einstigen Fluggesellschaft Air Berlin am nahe gelegenen Saatwinkler Damm könnte endgültig als Schule genutzt werden. Bisher war dort die wegen Schimmelbefalls geschlossene Anna-Lindh-Grundschule aus Wedding untergebracht. Dieses Provisorium soll bald beendet sein. Nach Schätzungen könnten in dem siebenstöckigen Gebäude in einem Gewerbegebiet 700 bis 1000 Schüler unterrichtet werden – die einen im regulären Unterricht, die anderen in Willkommensklassen.


