Berlin-Der Nicht-EU-Staat Belarus zwingt ein Flugzeug mit mehr als 100 Passagieren, das von Athen nach Vilnius fliegt, in Minks zur Zwischenlandung – angeblich, weil eine Bombe an Bord sei. An Bord wird ein bekannter Kritiker des weißrussischen Diktators Alexander Lukaschenko verhaftet, der 26-jährige Blogger Roman Protassewitsch, der von Griechenland zurück nach Litauen wollte.
Seit Sonntag schlägt der Vorfall hohe Wellen – und soll Konsequenzen haben. Die EU berät am Montagabend Strafmaßnahmen gegen Belarus. EU-Ratschef Charles Michel hatte das Thema kurzfristig auf die Tagesordnung des ohnehin geplanten zweitägigen EU-Sondergipfels in Brüssel gesetzt. „Der Vorfall wird nicht ohne Konsequenzen bleiben“, teilte der Belgier mit. Zugleich verurteilte er die erzwungene Landung der Ryanair-Maschine sowie die Festnahme Protassewitschs durch die Behörden der autoritär regierten Republik.
Teilnehmen wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Es ist das erste physische Treffen der Kanzlerin und ihrer EU-Kollegen in Brüssel seit Dezember. Merkel forderte vor dem Gipfel die sofortige Freilassung Protassewitschs.
Aus EU-Kreisen hieß es vor dem Gipfel, dass Sanktionen gegen die Verantwortlichen des Vorfalls sowie ein Landeverbot für die belarussische Fluggesellschaft Belavia an allen EU-Flughäfen denkbar seien. Zudem könnten demnach alle Überflüge von EU-Airlines über Belarus ausgesetzt werden. Bereits am Vortag hatte EU-Ratschef Charles Michel eine Untersuchung der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation gefordert. Die Teilnehmer könnten als ersten Schritt die politischen Entscheidungen darüber treffen. Beschlossen werden müssten Sanktionen dann vom EU-Ministerrat.
Es wären nicht die ersten Strafmaßnahmen gegen Belarus. Die EU hatte wegen der anhaltenden Unterdrückung der Demokratiebewegung in Belarus bereits im vergangenen Jahr mehrere Sanktionspakete gegen Unterstützer des Präsidenten Alexander Lukaschenko verabschiedet. Unter den Betroffenen ist auch Lukaschenko selbst.
Schon vor dem Gipfel äußerten sich viele entsetzt über das belarussische Vorgehen – darunter auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die twitterte: „Das unverschämte und illegale Verhalten des Regimes in Belarus wird Konsequenzen haben. Die Verantwortlichen für die Ryanair-Entführung müssen sanktioniert werden.“
Außenminister Maaß ist „besorgt“, Grüne sprechen von Entführung
Bundesaußenminister Heiko Maas zeigte sich „besorgt“ von Protassewitschs Verhaftung. „Ein solcher Akt kann nicht ohne deutliche Konsequenzen von Seiten der Europäischen Union bleiben.“ Der Europäische Rat solle sich mit dem Vorfall befassen. „In jedem Fall muss Belarus die Sicherheit, Unversehrtheit und Freiheit aller Passagiere unverzüglich gewährleisten und Roman Protassewitsch freilassen“, so Maas (SPD). Er bestellte ebenso wie Frankreich den belarussischen Botschafter ins Auswärtige Amt ein.
Die FDP forderte, der staatlichen belarussischen Fluggesellschaft Belavia die Landerechte in der Europäischen Union zu entziehen. Machthaber Alexander Lukaschenko habe sich einer Entführung schuldig gemacht. „Mit der Entführung einer Passagiermaschine, die zwischen zwei EU-Mitgliedstaaten unterwegs war, hat Lukaschenko eine rote Linie überschritten“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Alexander Graf Lambsdorff dem RND. „Er muss ab sofort als Krimineller behandelt werden.“
Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock sprach auf Twitter ebenso von einer Entführung: „Die erzwungene Landung kommt einer staatlichen Entführung eines Passagierflugzeuges gleich, um einen Regimekritiker festzunehmen.“ Sie forderte die Freilassung des Oppositionellen – ebenso wie der anderen politischen Gefangenen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow schrieb auf Twitter: „Einen Notfall zu konstruieren ist letztlich nur Kosmetik, um ein Flugzeug zu entführen. Es ist schlicht Terrorismus!“ Flugzeuge aus Belarus sollten Überflug- oder Landerechte in der EU entzogen bekommen und entsprechende Anklagen erhoben werden, schloss der Linke-Regierungschef als Forderung an.
USA fordern eine internationale Untersuchung
Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki sprach von einem „Akt des Staatsterrorismus“, Litauens Präsident Gitanas Nauseda von einer „abscheulichen Aktion“ der Regierung Lukaschenko. Die Regierung Irlands, wo Ryanair seinen Firmensitz hat, erklärte, der Vorfall sei „absolut inakzeptabel“.
Auch die US-Regierung verurteilte die Aktion der Behörden in Belarus scharf. US-Außenminister Antony Blinken schrieb am Sonntagabend (Ortszeit) auf Twitter mit Blick auf den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko, es habe sich um eine „dreiste und schockierende Tat des Lukaschenko-Regimes“ gehandelt. „Wir fordern eine internationale Untersuchung und stimmen uns mit unseren Partnern über die nächsten Schritte ab. Die Vereinigten Staaten stehen an der Seite der Menschen in Belarus.“
Protassewitschs Vater Dmitri spricht von einem Terrorakt
Die Ryanair-Maschine mit mehr als 100 Passagieren hatte sich am Sonntag auf einem Flug von Athen nach Vilnius befunden, als sie von einem belarussischen Kampfjet zur Notlandung gezwungen wurde. Am Flughafen von Minsk wurde dann der Regierungskritiker und ehemalige Chefredakteur des Oppositionskanals Nexta, Roman Protassewitsch, festgenommen, wie Nexta berichtete. Das staatliche Fernsehen bestätigte die Festnahme. Als Grund für den Eingriff in den Luftverkehr wurde von Seiten des Belarus-Präsidenten Alexander Lukaschenko eine angebliche Bombe an Bord genannt.
Protassewitschs Vater Dmitri zeigte sich im Interview des belarussischen Radiosenders Radio Swoboda überzeugt, dass es sich um eine sorgfältige Operation „wahrscheinlich nicht nur von den Geheimdiensten von Belarus“ handelte. Russland ist enger Verbündeter von Belarus. Sein Sohn war demnach auf der Rückreise von einem Griechenland-Urlaub in die litauische Hauptstadt Vilnius, als Lukaschenko das Flugzeug zur Landung zwingen ließ. Er selbst habe nicht gewusst, wann sein Sohn fliege. Er sprach außerdem von einem „Terrorakt“ Lukaschenkos.
Das umgeleitete Flugzeug landete schließlich am Sonntagabend mit mehr als achtstündiger Verspätung auf dem Flughafen der litauischen Hauptstadt Vilnius. Litauen leitete nach der Landung Ermittlungen wegen Entführung eines Flugzeugs ein.



