Kommentar

Entlastungsdebatte: Bitte kein Zuschütten der Probleme mit Geld!

Jeden Tag gibt es neue Vorschläge, wie Bürger und Betriebe erneut entlastet werden sollen. Das Prinzip: Bloß nichts ändern. Dabei ist das eine echt irre Idee.

Das Krisen- und Entlastungsgerede macht uns fertig.
Das Krisen- und Entlastungsgerede macht uns fertig.imago/Westend61

Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP ist eine beherzte Kämpferin. Oft klar in ihrer pointiert und selbstbewusst vorgetragenen Aussage. Gerade ruft die Verteidigungsexpertin zum entschlossenen Handeln gegen Putin auf. Angesichts steigender Energiepreise verlangt sie etwas Opferbereitschaft von ihren deutschen Mitbürgern. Man müsse sich den Diktatoren dieser Welt entgegenstellen, persönliche Opfer bringen und nicht schwach werden, sagt sie.

Klingt gut und ist sicher richtig. Allerdings scheinen ihre Kollegen in den Regierungsfraktionen und in der Opposition den Ruf nach persönlichen Opfern überhaupt nicht gern zu hören. Tatsächlich erwecken die meisten den Eindruck, als ob sie Opferbereitschaft als Zumutung betrachten. Sie wollen keine Opfer. Man sieht es in der aktuellen Entlastungsdebatte. Jeden Tag verlangt jetzt irgendjemand anderes wieder eine Geldspritze aus dem öffentlichen Haushalt. Die Lobbyrepublik läuft auf Hochtouren.

Die Rentner, die Studenten, die Familien mit kleinen Einkommen sollen von den steigenden Preisen im Supermarkt, beim Heizen, beim Autofahren und Wohnen entlastet werden, verlangen Sozialverbände. Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) will einen Schutzschirm für die Stadtwerke und Einmalzahlungen für kleine Haushalte. Julia Klöckner von der CDU verlangt angesichts der Inflation Steuerentlastungen für alle und zusätzliches Geld für die Wirtschaft – für kleine Betriebe wie Bäcker zum Beispiel, um Existenzen und Arbeitsplätze zu sichern. Wieder andere wollen eine Mehrwertsteuersenkung.

Und dann wird es immer detaillierter. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, schwebt ein Energiegeld von 100 Euro pro Kopf und pro Monat für jeden vor, um die Zusatzkosten durch höhere Energie- und Nahrungsmittelpreise zu kompensieren. Es gibt Ideen für eine Wohngeldreform und Heizkostenzuschüsse. Die Grünen wollen eine Übergewinnsteuer für Konzerne.

Krieg, galoppierende Energiepreise, Inflation – die Krisen dieses Sommers

Krieg, galoppierende Energiepreise, Inflation – die Krisen dieses Sommers sind zahlreich und die deutsche Diskussionsbereitschaft enorm. Das ist natürlich gut. Andernfalls wäre die Demokratie tot oder nur noch eine Scheinveranstaltung. Allerdings muss man aus den hitzigen Debatten nicht unbedingt ableiten, dass uns das Wasser bereits bis zum Hals steht.

Diesen Eindruck gewinnt man allerdings allerorten. Geradezu lustvoll wird darüber gestritten, wie die Bürger nun ein drittes Mal in diesem Jahr entlastet werden sollen. Dass das nötig wäre, stellt interessanterweise kaum jemand infrage. Im Gegenteil. Bürgermeister sprechen von sozialen Unruhen, von denen sie glauben, dass sie im Herbst ausbrechen könnten. Die AfD redet von Volksaufständen, zündelt also munter und versucht quasi, Unruhen herbeizureden.

Tatsächlich brauchen Menschen am Rande des Existenzminimums – mit geringen Einkommen, Renten oder schon in der staatlichen Abhängigkeit – Hilfe, sonst geraten sie jetzt wirklich in Not. Die Breite der Gesellschaft allerdings fährt nach wie vor in den Urlaub, finanziert teure Technik und Zweitwagen, veranstaltet Grillfeste. Worauf hier verzichtet werden müsste angesichts noch weiter steigender Preise, sind Luxus und ein wenig Komfort.

Bürger vernünftiger als Debatte den Anschein erweckt

Spricht man mit Freunden, Verwandten, Bekannten oder auch im weiteren Kreis, hört man, viele wollen gar keine Hilfe von Staat, die ihre Kinder dann irgendwann zurückzahlen müssten. Ein großer Teil der Bürger ist also viel vernünftiger, als es in den medialen Debatten den Anschein hat. Dass die Angst um den sozialen Frieden zu Reflexen führt, ist bekannt. Man sollte also aufhören, Probleme herbeizureden, die wir noch nicht haben.

Diese Koalition ist als Fortschrittskoalition angetreten. Darauf sollten sich die handelnden Politiker jetzt besinnen. Das Zuschütten der Probleme mit Geld führt langfristig nicht zu Lösungen, sondern zu mehr Problemen. Eine nicht unerhebliche Zahl an Menschen wird so den Eindruck gewinnen, es gäbe gar keine Krisen und sie müssten ihren Lebensstil nicht verändern. Dieser Eindruck ist allerdings falsch. Der Krieg ist vielleicht irgendwann vorbei, aber die Krisen bleiben: Energie, Klima, Umwelt, Bürokratie, Modernisierungsstau heißen die Baustellen. Immer weiter so? Das geht gar nicht.

Opfer ist also das falsche Wort. Es geht um eine Veränderung, und Menschen brauchen Gründe, wenn sie dabei mitmachen sollen. Die Politik sollte sich darauf konzentrieren, den Prozess mit Sinn zu füllen und nicht zuzukleistern. War die aktuelle Regierung nicht genau dafür angetreten?