Der Satz ist eindringlich. Alena Buyx hat ihn als Vorsitzende des Deutschen Ethikrats formuliert. „Die Gesellschaft ist bislang Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen vieles schuldig geblieben.“ Der jungen Generation sei während der Corona-Pandemie große Solidarität abverlangt worden. Im Gegenzug habe sich die Gesellschaft wenig solidarisch gezeigt. Die Heranwachsenden seien nicht so unterstützt worden, wie es nötig gewesen wäre. „Wir haben zwar vom Deutschen Ethikrat seit März 2020 auf die jungen Generationen hingewiesen, seit Sommer 2021 öffentlich auf ihre Lage aufmerksam gemacht, aber das war zu wenig“, sagt Buyx. Es war eine Mischung aus Selbstkritik und Kritik an der Politik.
Die Corona-Pandemie scheint in eine Endemie auszulaufen, scheint ihren Schrecken zu verlieren, mit Ausnahmen bei politisch Verantwortlichen, in der Wissenschaft, in der Gesellschaft. Doch ihre Folgen sind noch nicht abzusehen. Neue Krisen ziehen zudem auf, bestimmen bereits jetzt die alltägliche Realität der jungen Generationen: die Energiekrise, die Inflation. Es müsse sichergestellt werden, sagt Buyx, dass Kinder, die nachfolgenden Generationen generell nicht wieder zuerst und mit am schwersten die Last einer Krise tragen müssten.
Das ist dann auch die Kernaussage einer Ad-hoc-Empfehlung, die der Ethikrat an diesem Montag vorgestellt hat. In Zukunft müsse mehr darauf geachtet werden, dass die nachrückenden Jahrgänge „nicht noch einmal derart einseitig in ihrer Lebensentfaltung beschränkt werden“, sagt Buyx. Kommunikation sei der Schlüssel, meint die Professorin für Medizinethik. „Wir müssen mit den jungen Generationen selbst sprechen und sie hören.“
So, wie es in einer sogenannten Copsy-Studie zum Thema Corona und Psyche geschieht, für die das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) während der Pandemie Kinder und Jugendliche befragt hat. Demnach nehmen Angst und Depressionen in dieser Gruppe der Gesellschaft insgesamt ab. Jedoch klagen über derartige Symptome immer noch rund zehn Prozent mehr als vor der Pandemie. Und trotz der leichten Verbesserungen fühlen sich nach wie vor acht von zehn Kindern und Jugendlichen durch Corona belastet. Zu ähnlich lautenden Ergebnissen kommen Studien aus Italien und Schweden. Beide Länder haben unterschiedlich auf die Pandemie reagiert, aber ähnlich viele Heranwachsende mit psychischen Problemen zu verzeichnen. Die Krise an sich zeitigt Folgen.
Ethikrat: „Erwachsene wirken oft gestresst und ängstlich“
Verändert hat sich hierzulande der Medienkonsum. Laut einer Studie der Krankenkasse DAK Gesundheit waren Heranwachsende zwischen zehn und 17 Jahren in sozialen Medien werktags um 66 Prozent länger unterwegs als vor der Pandemie. Sie waren um 75 Prozent häufiger mit Online-Spielen beschäftigt. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Daniela Ludwig (CSU), stufte unlängst diese Entwicklung als „heftig“ ein.
Buyx sah am Montag auch bei der Schulbildung deutliche Versäumnisse in den Jahren der Pandemie. „Das Erlernen der im Zuge der Schulschließungen nicht immer gut vermittelten Unterrichtsinhalte erzeugte zusätzlichen Leistungsdruck, der bis heute anhält.“ Dass Bildungsorte oft soziale Lebensorte seien, „wurde oft übersehen“. Groß sei auch das Leid jüngerer Kinder gewesen, der Kitakinder. Allerdings habe in allen Altersgruppen die Verunsicherung zugenommen. „Die junge Generation erlebte Erwachsene zum Teil als ängstlich, gestresst, überfordert oder gar selbstbezogen.“ Buyx’ Fazit: „Wir alle schulden Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen für ihre Solidarität großen Respekt. Aber das verpflichtet auch zu konkretem Handeln.“
Die Erfahrungen der Corona-Pandemie sollen helfen, auf künftige Krisen besser zu reagieren, sagt auch Petra Bahr, die als evangelische Bischöfin dem Ethikrat angehört. Sie mahnt einen schonenderen Umgang mit der jungen Generation an, „die ja in der Gesellschaft mit deutlich unter 20 Prozent in der Minderheit ist“, also keine starke Lobby hat. Das müsse sich ändern. Der Ethikrat sieht sich als Lobby, will darauf drängen, dass Beratungsangebote, Heilbehandlungen und Hilfen zur Teilhabe für Kinder und Jugendliche verlässlich finanziert werden.
Mit Geld allein sei es allerdings nicht getan, sagen die Experten des Ethikrats. „Jeder leidet seelisch anders“, sagt Bahr. „Eine Jugendliche, die selbstverletzendes Verhalten zeigt, leidet anders als ein Achtjähriger mit Angststörungen.“ Ein vorerkranktes Kind, dass in der Pandemie isoliert gelebt habe, sei anders seelisch betroffen als ein Kind mit Post-Covid. Lücken bei Therapieangeboten müssten geschlossen und Präventionsangebote zielgenauer werden. „Der Zugang zur Hilfe muss schneller und unkomplizierter sein“, sagt der Rechtswissenschaftler Stephan Rixen, ebenfalls Mitglied des Ethikrats.



