Kommentar

Debatte um straffreies Containern: Raus aus der Wegwerffalle

Der Streit um eine strafbare Entnahme von Lebensmitteln aus dem Müll von Supermärkten ist eine Ersatzhandlung. Die Gesellschaft muss ihr Konsumverhalten ändern. Ein Kommentar.

Jesuitenpater Joerg Alt beim Containern bei einem Lebensmittelhändler in Nürnberg. 
Jesuitenpater Joerg Alt beim Containern bei einem Lebensmittelhändler in Nürnberg. Valeska Rehm/epd

Der Markt soll es richten. Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels BVLH wehrt sich seit Jahren gegen ein Gesetz, das die Entsorgung verzehrbarer Nahrungsmittel verbietet. Der Staat soll dem Verband zufolge dagegen auch in Zukunft die Besitzansprüche der Händler auf jene Güter durchsetzen, die sie im Abfall verschwinden lassen, und das Containern weiter verbieten. 

Eine Selbstverpflichtung der Unternehmen wird in Aussicht gestellt, um einen Berg von 800.000 Tonnen Abfall im Jahr zu reduzieren. Die Lebensmittel stammen aus einer Landwirtschaft, die erheblich zum Klimawandel beiträgt. Was weggeworfen wird, hat ohne Nutzen zur Erderwärmung beigetragen.

Der Abfall gehört den Händlern

Der Widerstand der Händler gegen den fremden Zugriff auf die eigene Mülltonne ist zunächst nachvollziehbar. Die Behälter sind ihr Eigentum und auch der verrottende Inhalt. Das Grundgesetz schützt persönlichen Besitz, und das ist auch gut so.

Das Grundgesetz spricht aber auch davon, dass Eigentum verpflichtet. Es soll dem Wohl der Allgemeinheit dienen, heißt es in Artikel 14. Besitz, der vor sich hingammelt, fördert höchstens die betriebliche Effizienz von Supermärkten.

Verband warnt vor Gesundheitsgefahren

Die Argumente der Lebensmittelhändler wirken bemüht. Sie warnen vor Gesundheitsgefahren für Menschen, die Essen aus dem Müll fischen. Das Vorgehen der Aktivisten mag nicht appetitlich erscheinen. Vergiftungen beim Verzehr eingeschweißter Ware kurz vor dem Mindestverfallsdatum sind aber bisher nicht bekannt.  

Der Widerstand der Branchenvertreter erscheint als Ersatzhandlung. Eine Legalisierung des Containerns würde die Aufmerksamkeit auf das Verhalten der Lebensmittelhändler richten. Wenn erst einmal Bürger straffrei auf ihre Abfalltonnen zugreifen könnten, dürften Stimmen lauter werden, die ein Wegschmeißen von verzehrbaren Nahrungsmitteln gleich ganz per Gesetz verbieten wollen. Frankreich hat ein solches Gesetz seit 2016. Die Marktwirtschaft ist jenseits des Rheins daran nicht zugrunde gegangen. Es scheint der Branche um die Symbolik zu gehen, mit der das Containern sie anprangert. 

Der Müllberg muss schwinden

Sicher sollte die Regierung die Pläne der Händler zur freiwilligen Müllreduzierung genau prüfen. Ermöglichen sie eine substanzielle Verringerung des Müllbergs, dann soll es der Markt auch richten. Der Widerstand gegen gesetzliche Regelungen legt aber nahe, dass die Händler sich schwer damit tun, ihren Müllberg in den Griff zu bekommen. Gesellschaftlicher Druck auf Branche ist nötig, auch wenn das Containern als Zugriff auf fremdes Eigentum selbst nach einer Gesetzesänderung zu Recht in der Grauzone bleibt.

Verantwortung für die Lebensmittelabfälle tragen letztlich die Konsumenten. Sie erwarten jederzeit frische Ware und ein volles Sortiment. Bevor die Bürger den Stab über ihre Versorger brechen, sollten sie über ihr eigenes Konsumverhalten nachdenken. Jeder weiß im Grunde seit der Kindheit, wie mit Nahrungsmitteln zu verfahren ist: Mit Essen spielt man nicht.