Zwei Spiele noch, dann ist die Fußballweltmeisterschaft in Katar Geschichte. Für Deutschland kann man jetzt schon bilanzieren: ein Desaster. Dabei geht es gar nicht um das Sportliche, das frühe Ausscheiden der Mannschaft zum Beispiel. Deutschland hat sich vor allem als Nation blamiert. Und dazu war erstaunlich wenig nötig.
Was wird bleiben von dieser WM? Es sind vor allem Fernsehbilder wie jene nach dem Aus für die deutsche Mannschaft: Männer in traditionellen weißen Gewändern halten sich feixend die Hand vor den Mund und winken zum Abschied. Ihr wollt uns belehren, ja regelrecht bekehren, wollt uns sagen, wie man leben soll? Eure Überlegenheit ist eine Luftblase, die jetzt zerplatzt. Das sollten uns diese Gesten sagen.
Der Hohn trifft das deutsche Selbstbild, und der Stachel bleibt stecken. Denn leider haben diese Männer recht. Nie vorher ist der Versuch, mit symbolischen Gesten für Menschenrechte und gegen Diskriminierung auf großer öffentlicher Bühne aufzutreten, krasser als taube Nuss entlarvt worden als bei der Sportveranstaltung in Katar.
Natürlich hätte man es wissen können. Im Jahr 2010 vergab die Fifa die Austragung der Fußball-WM nach Katar. Trotz nachgewiesener Korruption bei dieser Vergabe, trotz eingeschränkter Menschenrechte, der Diskriminierung von Frauen, der Bedrohung Homosexueller im Gastgeberland und trotz der fortgesetzten Berichterstattung über die Ausbeutung von Arbeitssklaven auf WM-Baustellen entschied sich der DFB teilzunehmen.
Die Mund-zu-Geste der Spieler beim Mannschaftsfoto auf dem Feld war ein wirklich verzweifelter Versuch, sich doch noch zu distanzieren. Vorausgegangen war ein tagelanges Gezerre um die „One Love“-Binde. Der DFB überließ es schließlich den Sportlern, ein Zeichen zu setzen. Da hat eine Institution gründlich versagt.
Noch schlimmer machte die Sache dann Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), als sie – angereist trotz aller Bedenken, die man hätte haben können – die Binde, die den Spielern verboten wurde, dann eben auf der Tribüne trug. Sie hob den Anspruch moralischer Überlegenheit damit auf die politische Bühne. Zeitgleich schließt Deutschland allerdings mit Katar gerade in großem Umfang Lieferverträge über Gas. Kanzler Olaf Scholz im Handschlag mit dem Emir von Katar – auch diese Bilder gingen um die Welt. Vollkommen zu Recht ist diese deutsche Doppelmoral entlarvt worden.
Ruf dramatisch verschlechtert
Der deutsche Ruf hat sich allein durch die beiden kleinen Gesten aus dem Fußballstadion in der arabischen Welt dramatisch verschlechtert. Das zeigten jedenfalls spontane Umfragen von Nachrichtensendern direkt nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft in Katar wie auch im weitaus größeren Ägypten.
Was ziehen wir daraus aber nun für Schlüsse?
Einer könnte ein Umdenken in der europäischen Gemeinschaft sein. Europa könnte sich verabschieden von leeren Gesten auf der internationalen Bühne. Symbole können sicherlich nach innen wirken. Es kann durchaus sinnvoll sein, eine Regenbogenfahne vor einem Rathaus aufzuziehen. Wenn die Gesellschaft so weit ist, wenn eine Debatte läuft, wenn man ein Symbol nutzt, um sich dahinter zu versammeln und sich auf einen Umgang miteinander verständigen will.
Symbolpolitik ist aber sinnlos als erzieherische Maßnahme und vor allem in der Außenpolitik. Sie kann auch kontraproduktiv wirken, das haben wir im Fall Katar erlebt.
Das Desaster in Katar könnte am Ende also auch Gutes bewirken. Es könnte einen Lernprozess nach sich ziehen, der überfällig ist. Europa muss lernen, dass wir andere Länder nicht von außen umerziehen können. Wir haben diese Erfahrung bereits schmerzvoll in Afghanistan gemacht. Es gibt weitere Länder, in denen wir zur Verteidigung der Menschenrechte gern Einfluss nehmen würden, Iran und China zum Beispiel. Durch Gesten und äußere Einflussnahme wird sich aber nichts ändern. Gesellschaften können sich nur selbst ändern.
Das heißt nicht, dass Europa nichts tun kann. Es kann zum Beispiel die Regeln schärfer definieren, nach denen wir nach außen treten. Wie sollen Produkte hergestellt werden, die auf dem europäischen Markt zugelassen werden? Wo beschaffen wir zu welchen Bedingungen Rohstoffe? Was machen wir mit unserem Müll? An wen verkaufen wir welche Teile unserer Infra- und Wirtschaftsstruktur? Lauter Fragen, auf die es keine strategische Antwort gibt.
Oft bleibt es dem Einzelnen überlassen, sich kundig zu machen, etwa wenn er keine Produkte kaufen will, die unter Bedingungen hergestellt werden, die wir in Europa nicht akzeptieren würden. Lösen lässt sich dies aber nur über Strukturveränderungen.



