Wie kaum etwas in der deutschen Nachkriegsgeschichte hat Corona in unser aller Leben eingegriffen. Die Krise hat Wunden unterschiedlichster Art hinterlassen, körperlich, geistig und seelisch. Menschen sind erkrankt, zum Teil schwer, zahlreiche sind gestorben, und ihre Angehörigen und Freunde trauerten oder trauern noch. Andere kämpfen noch mit Long Covid. Medizinisches Personal war jenseits von Belastungsgrenzen. Das sind die direkten Folgen des Virus. Wir sollten uns weiter gewahr bleiben und daran erinnern, dass Covid-19 für viele eine wirklich heimtückische und mit viel Leid verbundene Erkrankung war und zum Teil noch ist.
Hinzu kommen die Folgen und Wunden der Maßnahmen, gesellschaftlich wie individuell: Geschäftsschließungen und berufliche Verwerfungen, gestiegene Staatsverschuldung durch Rettungspakete, Verteuerungen, ein unerbittlicher öffentlicher Diskurs, Impfschäden und Post-Vac-Syndrom, mutmaßlich auch Todesfälle aufgrund von Impfungen, Depressionen, Angststörungen, körperliche Gewalt in Familien, Lerndefizite bei Kindern, Isolation, zerbrochene Beziehungen und Freundschaften.
Als Journalist sehe ich auch meine Branche angeschlagen. Waren das wirklich drei Jahre, auf die man mit vollem Berufsstolz zurückblickt? Haben wir unseren Job wirklich hinreichend gut gemacht?
Es gab Unvermeidbares wie Vermeidbares. Es gab ein neues Virus mit Ansteckungs- und Erkrankungsgefahren, auf die reagiert werden musste, mit einigen sinnvollen Maßnahmen. Zugleich wurden Gefahren überzeichnet, vor allem für Kinder, Jugendliche und gesunde Erwachsene, so dass viele Nicht-Vulnerable eine übersteigerte Angst entwickelten, die zu überzogenen Maßnahmen (und einer überzogenen Impfkampagne) führten, die wiederum Ängste vergrößerten und in Wechselwirkung noch strengere Maßnahmen beförderten. Viele sogenannte Kollateralschäden, bei denen es sich, wohlgemerkt, um Maßnahmenschäden handelt, von Menschen und ihren Entscheidungen verursacht, nicht um vom Virus verursachte Corona-Schäden (das wurde medial oft fälschlich gleichgesetzt), waren offenkundig vermeidbar. Es gab also Fehler. Über diese sollten wir sprechen.

Warum fällt das so schwer? Hat sich der Journalismus in unserem Land ganz gut in einer Oase eingerichtet, in der man im Namen der Öffentlichkeit die Fehler der anderen aufdeckt und thematisiert, über die eigenen aber schweigt? In einem Beitrag in dieser Zeitung am 6. April verwies Dirk Engelhardt auf eine umfassende Arbeit des Medienjournalisten Timo Rieg, der auf 127 Seiten Verstöße des Journalismus in der Corona-Zeit gegen Qualitätskriterien auflistet: Verstöße gegen Richtigkeit, Vollständigkeit, Meinungsvielfalt, Repräsentativität, Objektivität, Relevanz, Recherche. Engelhardt konstatiert ebenso wie Rieg, dass das Interesse in den Medienhäusern und Redaktionen, diese Verstöße selbstkritisch zu beleuchten, jedoch äußerst gering ist. Und in der Tat ist bis jetzt kaum etwas in dieser Hinsicht zu vernehmen.
Gefragt wären die meisten großen TV- und Radio-Redaktionen, ebenso wie die meisten großen Printmedien – abgesehen von wenigen (zu denen auch diese Zeitung hier gehört), die einen umfangreicheren Blick darboten.
Zuletzt gab es zwar einzelne Beiträge, die davon zeugen, dass ihre Verfasserinnen und Verfasser nun kritischer auf das blicken, was sie noch vor einiger Zeit anders eingeordnet haben. Impfschäden sind nun doch etwas Reales und nicht mehr Hirngespinste, die Schul- und Kitaschließungen mit ihren schwerwiegenden psychischen Folgen bei den Kindern waren offenkundig falsch, ebenso wie das einsame Sterben vieler streng isolierter alter Menschen. Und dass Masken draußen weitgehend sinnfrei waren und sind, ergo auch Demonstrationsverbote, hat sich auch bei vielen als Erkenntnis durchgesetzt. Schon seltener ist die Einsicht zu vernehmen, dass die Lockdowns insgesamt nicht wirklich viel gebracht haben und einige wenige, dafür sehr wirksame Maßnahmen (Absage Großveranstaltungen bzw. Vermeidung von Menschenmassen in Innenräumen, Händehygiene, persönliche Vorsicht und Kontaktreduktion, besonderer Schutz der Vulnerablen) wohl einen vergleichbaren Erfolg gehabt hätten, wie andere Länder, nicht zuletzt Schweden, zeigten.
Dass aber vor allem auch die harte Ausgrenzung und Verunglimpfung von Menschen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht impfen lassen wollten, ein mehr als düsterer Prozess war, und für eine Gesellschaft, die ihre freiheitlich-demokratischen Grundwerte betont, äußerst bedenkliche Züge annahm – davon hören wir so gut wie nichts. Und das liegt daran, dass eine große Mehrheit in diesem Land, und zwar auch der Journalistinnen und Journalisten, bei diesem Prozess mitgemacht hat. Oder ihn zumindest für angebracht gehalten hat.
Nun werden Impfschäden zwar eingeräumt und berichtet. Selbst Minister Karl Lauterbach, der sie zunächst ausgeschlossen hatte, gesteht sie ein. Es ist kaum noch zu hören, Ungeimpfte seien Irrgläubige, Asoziale oder Tyrannen. Aber den entscheidenden Schritt weiterzugehen, und auch die eigene Mitwirkung an deren Stigmatisierung und Diskriminierung einzuräumen – das gelingt nur sehr wenigen. Einer von ihnen ist der Journalist Alexander Neubacher, der dies in seiner „Spiegel“-Kolumne vom 11. März unter dem Titel „Wir Coronaversager“ beschrieb.

Es stellen sich weitere zentrale Fragen: Wie konnte unter dem journalistischen Primat, dass „die Fakten stimmen müssen“, die, wie ich sie bezeichnen würde, Ur-Sünde der Berichterstattung passieren: der weitgehend unkritische, kaum hinterfragte Umgang mit den Daten und Aussagen des Robert-Koch-Instituts? Eigentlich haben doch viele Journalistinnen und Journalisten in ihrem Bildungshintergrund Grundkenntnisse in Statistik. Somit hätte doch kaum jemand so wirkungsmächtig mit diesen schwachen, zeitlich kaum vergleichbaren Zahlen arbeiten dürfen, aus denen sich nichts wirklich Exaktes zu Infektionen, Infektiosität und zu konkreten Verbreitungswegen, zu tatsächlichen Corona-Kranken und Todesursachen, zur Wirkung von Maßnahmen und zum Thema Impfung ableiten ließ. Beziehungsweise hätte man täglich, bei jeder Veröffentlichung dieser Zahlen, bessere Erhebungen fordern müssen. Doch das Thema der fehlenden und vom RKI auch nie erbrachten repräsentativen Studien blieb journalistisch ein Randthema. Als regelmäßiger Teilnehmer der RKI-Briefings wurde ich Zeuge, dass bis auf ganz wenige Ausnahmen fast alle Fragenden lediglich von Präsident Wieler (oder seinem Stellvertreter) wissen wollten, wie er die Lage bewertet und einzelne Maßnahmen oder Gefahren einschätzt. Und in der Regel wurden dann diese Aussagen so publiziert. Die nicht Anwesenden zitierten oder sendeten ohnehin oft nur die Hauptaussagen Wielers, die auch über die Nachrichtenagenturen weitgehend distanzlos verbreitet wurden.

Wie konnte es geschehen, das Recherchegebot, das kritische Überprüfen von Fakten so eklatant zu vernachlässigen, und sich mit Aussagen einer einzelnen Person zu begnügen, die damit quasi zum Corona-„Faktengeber“, zum Corona-„Papst“ werden konnte?
Was das Fachgebiet der Virologie angeht, war es natürlich ungleich schwieriger, selbst für Wissenschaftsjournalisten, die Eigenschaften eines neuen Virus zu bewerten – man war auf Expertise von Fachleuten angewiesen. Und zweifellos hat etwa Christian Drosten auf diesem Gebiet eine hohe Kompetenz und ein großes wissenschaftliches Renommee vorzuweisen. Er wurde aber ja zur fast unbestrittenen Instanz. Dabei haben ihn Kolleginnen und Kollegen in seinem NDR-Podcast und bei seinen TV-Auftritten als besonders „glaubwürdig“ wahrgenommen. Wenn aber kein Journalist die Dinge wirklich selber beurteilen kann, mangels Fachwissen und mangels eindeutiger Daten – wie kann er oder sie dann andererseits sicher beurteilen, welche Expertinnen und Experten die seriösesten Einschätzungen liefern?
Auch die Warnungen und Mahnungen der Kanzlerin wurden weitgehend als angemessen eingestuft. Warum wurde kaum problematisiert, dass sie ihre Einschätzungen auf nur wenige Experten, vor allem auch Drosten und Wieler, stützte, für Kinderpsychologie kaum Kompetenz erkennen ließ und gemeinsam mit Kanzleramtschef Braun weder vielfältige Meinungen in den Ministerpräsidentenrunden noch breite Diskussionen in Öffentlichkeit oder Parlament unterstützte?
Wie konnte Karl Lauterbach trotz seiner vielen Überzeichnungen und Fehlurteile als Corona-Experte und dann sogar als Gesundheitsminister bis zum Ende in der Berichterstattung doch letztlich erfolgreich seinen Status wahren? Warum nahm man ihm praktisch alle Studien, die er zitierte, erst einmal ab? Wieler, Drosten, Merkel und Lauterbach waren ja immerhin vier wegweisende Figuren, für einen harten Kurs ebenso wie für die meisten journalistischen Einschätzungen und Urteile zur Corona-Lage und -Politik.

Wo blieb das gründliche Durchleuchten und Hinterfragen, etwa bei einigen der berühmten Bilder aus Bergamo, die nicht darauf zurückzuführen waren, dass ungewöhnlich viele Menschen auf einmal gestorben waren, sondern ungewöhnlich viele Leichen auf einmal verbrannt werden sollten, als Vorsichtsmaßnahme? Wo blieb das gründliche Hinterfragen, als sich herausstellte, dass die erste Welle schon vor Beginn des ersten Lockdowns abflachte?
Es gab zu keinem Zeitpunkt klare Beweise, dass Kinder besonders gefährdet und/oder Spreader sein könnten, oder dass Schul- und Kitaschließungen mehr nutzen als schaden – warum gab es kaum journalistische Impulse, das stärker öffentlich zu diskutieren und viele Kollateralschäden bei den Jüngeren zu verhindern, bevor sie entstanden?
Warum wurden Menschen, die gegen Grundrechtseinschränkungen demonstrierten, oft trotz gegenteiliger Erkenntnisse als „rechts“ oder „rechtsextrem“ eingestuft? Warum wurde wider die Evidenz so getan, als würden die „Reichsbürger“ die Demos dominieren? Warum wurden die Demonstranten diskreditiert, weil sie keine Masken trugen, obwohl Aerosolforscher längst festgestellt hatten, dass an der frischen Luft praktisch keine Ansteckungsgefahren bestehen?
Warum wurden immer wieder pessimistische Modellrechnungen verbreitet, obwohl die Prognosen wiederholt nicht eintrafen? Wo blieb das gründliche und kritische Durchleuchten und Hinterfragen in Bezug auf die Impfstoffe und deren Turbo-Zulassung, in Bezug auf die Geschäftsinteressen der Pharmaindustrie, die Absprachen mit Regierungen und der EU, und die weitreichende private Finanzierung der WHO, auch eben durch Pharma-Konzerne? Wieso wurde auf manche berechtigte Fragen sofort der Deckel „Verschwörungsideologie“ draufgemacht, mit der Folge, dass sie dann schlicht gar nicht mehr diskutiert wurden?
Der Erklärungsversuch, damals habe man es auch im Journalismus nicht besser wissen können, ist nur schwer zu akzeptieren; zu jeder Zeit wurden Fragen gestellt, Zweifel geäußert, gab es abweichende, kritische Expertise auch aus der Wissenschaft.
Und wer sagt, die Maßnahmen seien schließlich von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern empfohlen und von der Politik beschlossen worden und der Journalismus habe alles nur berichtet und dargestellt – ignoriert der nicht die ungeheure Wucht und den öffentlichen Druck, den die angstgeprägte Berichterstattung auf Experten und Politik überhaupt erst erzeugt hat?
Ist es nicht so, dass journalistisch statt der tiefen und ergebnisoffenen Recherche vielmehr eine bestimmte Moral zu obersten Richtschnur wurde? Dass nämlich möglichst jede Infektion verhindert werden musste? Wir wurden ja Zeuge, dass der Kampf gegen Infektionen auch mit „Solidarität“ und „Rücksicht“ konnotiert wurde – und dass andere wichtige Leitplanken der Gesellschaft, wie etwa Grundrechte, Selbstbestimmung, Meinungsvielfalt, soziale Gemeinschaft, parlamentarische Debatte, psychische Gesundheit und Freiheit eher mit „Egoismus“ und „Verharmlosung“ oder gar „Leugnung“ konnotiert und entwertet wurden.

Warum gab es nicht, alternativ, eine starke moralische Positionierung für die Erhaltung der Grundrechte? Oder für eine Politik der möglichst wenigen Extremmaßnahmen?
Moralische Wucht im Journalismus gab es immer schon, aber nie habe ich sie in mehr als 20 Berufsjahren so stark erlebt wie bei Corona. Wie konnte sie so stark werden, dass diverse Zweifel kaum noch verfolgt wurden? Warum haben wir einer Gruppe von Wissenschaftlern eine derartige Gefolgschaft geleistet und andere eher ignoriert? Wieso haben wir journalistisch einen solchen Siegeszug der Angst zugelassen, der für die regulierenden Prozesse in einer demokratischen Gesellschaft ja hochproblematisch ist?
Wie konnten wir diesbezüglich in den Redaktionen so homogen denken?
Wären wir nüchterner gewesen, hätten wir vielleicht gleich zu Beginn der Pandemie die teilweise falschen Beatmungsmaßnahmen in den Krankenhäusern hinterfragt, die sich als eher schädlich erwiesen haben. Oder mehr auf die Chancen von Medikamenten und Therapie fokussiert. Auch das hätte Menschenleben retten können.
Und warum erfährt nun ein von knapp 600 Fachleuten unterzeichneter Aufruf zur Pandemieaufarbeitung kaum ein mediales Echo?
Das Ergebnis nach drei Jahren ist jedenfalls überhaupt nicht so gut, wie es der aktuelle Gesundheitsminister gerne zeichnet. Wir haben Corona-Schäden plus Maßnahmenschäden plus Langzeitfolgen in erheblichem Ausmaß.




