Pandemie

Corona und Gesellschaft: Haben wir nichts gelernt aus der Krise?

Reisen, böllern, essen, als gäbe es kein Morgen – die Pandemie hat uns offenbar in unserem Verhalten nicht weitergebracht. Ein Kommentar.

Der Schnee geht, Corona und Klimwandel bleiben: Eine künstliche Skipiste in Filzmoos in Österreich. 
Der Schnee geht, Corona und Klimwandel bleiben: Eine künstliche Skipiste in Filzmoos in Österreich. dpa

Die Silvester-Krawalle in Berlin haben viele Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt fassungslos gemacht: Verletzte, mit Böllern beworfene Einsatzkräfte der Polizei und der Feuerwehr, brennende Autos und Barrikaden, von Betroffenen und Kommentatoren zu Recht als eine neue Eskalationsstufe eingeordnet.

Irgendwie hatte man es befürchtet, wenn man ehrlich ist, „da lag was in der Luft“. Nach drei Jahren der Pandemie, drei Jahren des mitunter ängstlichen Ausharrens ob des Abebbens der x-ten Corona-Wellen schien, salopp gesagt, Druck im Kessel zu sein, und das nicht nur in bestimmten Teilen der Stadt und bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, die sich angeblich nicht integrieren lassen und schon gar nicht integrieren lassen wollen. Wer bei dieser Debatte keine Déjà-vu-Momente hatte, der muss die letzten 20 Jahre unter einem Stein verbracht haben.

Schon seit längerer Zeit blicke ich mit gemischten Gefühlen auf Berlin, die Stadt, in der ich seit bald 25 Jahren lebe. Ich habe mehrfach darüber geschrieben, dass ich mich mal seltsam fremd, mal seltsam unsicher fühle in Berlin, obwohl ich weiß, dass die Kriminalität seit Jahren wenigstens statistisch auf dem Rückzug ist.

Mit der Pandemie hat sich dieses Gefühl indes verbessert, so paradox das klingen mag. Ich hatte den Eindruck, dass die Idee der Solidargemeinschaft nicht nur eine hohle Phrase ist. Es hat mich berührt, dass Menschen auf Balkonen für Pflegekräfte applaudierten, dass Wildfremde einander Hilfe anboten bei Einkäufen und anderen Dingen des täglichen Lebens, das während der vergangenen drei Jahre durch Corona mitunter massiv eingeschränkt war.

Schon bei den grassierenden Atemwegserkrankungen bei Kindern vor Weihnachten zeigte sich allerdings, dass das System der Pflege in Deutschland mitnichten irgendeine Reformierung erfahren hat, die Krankenhäuser waren an der Leistungsgrenze, die Fachkräfte werden nach wie vor zu schlecht bezahlt für zu viel Arbeit.

Schwerste Corona-Infektionswelle seit Beginn der Pandemie

Nach den Silvester-Krawallen fragte ich mich endgültig: Haben wir denn gar nichts gelernt aus dieser Krise? Die Frage bezog sich weniger auf die Krawalle selbst, sondern vielmehr auf die teils unterirdischen Reaktionen seitens deutscher Politiker. Von verfehlter Integration war die Rede, als ob abgesehen von den festgenommenen Männern mit Migrationshintergrund alle anderen Berliner (und wohl nur wenig Berlinerinnen) brav bei Bleigießen den Jahreswechsel zelebriert hätten.

Man braucht aber auch gar nicht den Silvesterabend zu bemühen, um sich zu fragen, ob die Chancen der Pandemie nicht genutzt werden. Da reicht schon ein Blick auf die leidige Maskendebatte. In Bussen und Bahnen trägt mittlerweile wohl die Hälfte aller Menschen keine Masken mehr. Und das, obwohl es neue Virusvarianten gibt (deren Namen sich schon kaum noch jemand merkt) und China, ein Land mit fast 1,5 Milliarden Einwohnern, die schwerste Corona-Infektionswelle seit Beginn der Pandemie verzeichnet.

Da ist es doch nur eine Frage der Zeit, bis das Virus frisch mutiert auch in Deutschland wieder für einen Anstieg der Infektionszahlen sorgen wird. Nun, die am 2. Februar in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern fallende Maskenpflicht wird ihr Übriges tun.

Lernen aus der Krise: Warum ich daran zweifle

An mangelndem Flugverkehr jedenfalls kann es nicht liegen, wenn das Virus es nicht nach Deutschland schafft. Denn all die schönen Vorsätze (Klimaschutz!), nur noch nachhaltig zu verreisen, innerdeutsch Urlaub zu machen an Orten, die man mit der Bahn erreicht, scheinen verflogen, wenn man sich am BER umsieht. Lange Schlangen an den Schaltern, Flugverkehr in die ganze Welt. Gut, wem will man auch schon zumuten, seinen Urlaub mit der Deutschen Bahn anzutreten?

Was mich aber am meisten daran zweifeln lässt, dass wir aus Krisen wirklich etwas lernen, ist die Tatsache, dass sich auf dem Gebiet des alltäglichen Miteinanders kaum etwas dauerhaft zum Guten geändert hat. Wer das nicht so empfindet, der kann sich ja mal die Kommentarspalten zu fast jedem Post in den sozialen Medien ansehen: Hass und Hetze – war was?