Wahlwiederholung

Kai Wegner: „Berlin feiern und den Senat feuern!“

Der CDU-Landesvorsitzende will Regierender Bürgermeister werden. Seine Chancen stehen nicht schlecht. Zumindest Jens Spahn braucht er nicht (mehr) zu fürchten

26.11.2022, Berlin: Manja Schreiner (CDU), stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der CDU Berlin, überreicht Blumen an Kai Wegner (CDU), nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten auf dem CDU-Landesparteitag. 
26.11.2022, Berlin: Manja Schreiner (CDU), stellvertretende Vorsitzende des Landesverbandes der CDU Berlin, überreicht Blumen an Kai Wegner (CDU), nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten auf dem CDU-Landesparteitag. dpa/Carsten Koall

Da stand er, Kai Wegner, 50 Jahre alt aus Spandau, und sagte: „Ja, ich will Regierender Bürgermeister werden. Ja was denn sonst“, sagte er. Die Delegierten des CDU-Parteitags am Sonnabend in Mitte feierten Wegner minutenlang mit starkem Applaus. Anschließend wählten sie ihn zum Spitzenkandidaten bei der Wiederholungswahl im Abgeordnetenhaus am 12. Februar. 

Den Ton setzte vor rund 300 Delegierten Friedrich Merz. Nach einem historischen und bundespolitischen Diskurs nahm der CDU-Bundesvorsitzende die Berliner Landespolitik in den Blick.

Ja, er sei überrascht über die erfolgreiche Start-up-Szene der Stadt. Das sei erstaunlich, „junge Leute wollen nach Berlin“. Aber wenn das so sei, „was ist hier eigentlich los in Berlin?“, fragte Merz, mit der Verwaltung. „Dann muss man doch auch hier leben und arbeiten können.“ Wenn man Merz richtig versteht, ist das für ihn derzeit offenkundig nicht möglich. Bei ihm daheim, im Sauerland, sei es nämlich so: Da brauche er keinen Termin beim Amt, wenn er mal ein Dokument brauche, einen Personalausweis - was immer. Dann fahre er vor, und nach zehn Minuten sei er wieder draußen und fahre wieder weg. Da reiche ein Ticket zum Kurzzeitparken.

Und Berlin? „Was soll denn dieser Quatsch mit der Friedrichstraße?“, fragt Merz. Und was sei eigentlich mit diesem Andreas Geisel, Innensenator zum Zeitpunkt der Pannenwahl vor einem Jahr? Wenn der jetzt sage, nein, er könne nicht zurücktreten, er sei jetzt als Bausenator „bei der Arbeit. Dann muss man diese Drohung ernst nehmen“. so Merz. Kurz: Diese Stadt funktioniere nicht. Deshalb müsse nun die CDU ans Ruder.

Einmal in Fahrt in Sachen Berlin-Bashing war Merz schnell bei den Klimaklebern. Die Vorlage lieferten diese selbst, als sie sich am Donnerstag auf dem BER-Gelände am Asphalt festklebten. „Können Sie sich das für München vorstellen?“, fragte Merz rhetorisch. Er sich offenbar nicht. Auch das anscheinend ein irgendwie geartetes Versagen Berlin. Er hätte da mal ein Rezept, so Merz: „Ich bin mal Strafrichter gewesen: Ich weiß, dass die meisten im Gefängnis nicht besser werden – aber die Zeit, die die da drin sitzen, ist draußen Ruhe!“ Standing ovations.

Die CDU soll nun also aufräumen. Aber wie und mit wem? Denn die CDU ist von einer absoluten Mehrheit noch weiter entfernt, als Berlin vom Image einer reibungslos funktionierenden Stadt. Doch wer sollte, ja wer könnte Partner einer CDU sein, wenn sie denn im Februar stärkste Kraft werden sollte? Mit dem natürlichen Partner, der FDP, alleine wird es wohl kaum reichen. Die Liberalen um den emsigen Fraktionschef Sebastian Czaja, der schon mal nachts videowirksam die Friedrichstraße wieder für Autos passierbar macht, müssen nach zwei guten Wahlergebnissen mal wieder um den Wiedereinzug ins Parlament bangen.  

Angesichts einer absolut auf Gegenseitigkeit beruhenden herzlichen Abneigung zur SPD blieben da weit und breit nur die Grünen. Seit einiger Zeit wird in der Berliner Politik auffällig laut über Schwarz-Grün (oder doch Grün-Schwarz?) nachgedacht. Auch die klare Abgrenzung der Grünen-Spitze von der SPD, wenn es um die Verantwortlichkeiten für die Pannenwahl 2021 geht oder das seit einigen Tagen gespielte Narrativ eines „Updates“ für Berlin sind Indizien für eine tiefe grüne Unzufriedenheit mit dem Langzeitpartner SPD - und eine Hinwendung zu etwas Neuem. Zur CDU?

Sicher ist: Es bedürfte erheblicher Mühe der Parteispitzen, der bekannt linken Basis der hauptstädtischen Grünen solch einen Wechsel zu verkaufen. Seit Gründung des Grünen-Vorgängers Alternative Liste im Jahr 1978 befindet sich die Partei gefühlt im Grabenkampf mit der CDU. Und das soll jetzt zu Ende sein, da die Lieblingskonstellation der meisten Berliner Grünen zum zweiten Mal zusammen regiert und diese zwei Koalition gerade einmal ein Jahr im Amt ist? 

Grüne und CDU haben sich auf den Schuldigen der Pannenwahl geeinigt: die SPD

Und was ist eigentlich mit der CDU, würde die oft wenig experimentierfreudig wirkende Partei den Sprung über den Graben wagen? Kai Wegners Rede am Sonnabend gab durchaus Hinweise darauf, als er die Grünen für das Bekenntnis zu einer Verwaltungsreform lobte. Außerdem hätten sie sich in der vergangenen Woche im Parlament als einzige Regierungspartei für das Wahldebakel entschuldigt. Da haben sich zwei auf den vermeintlich Schuldigen geeinigt: die SPD, die zum Zeitpunkt der Wahl die Schlüsselpositionen Senatskanzlei und Innenverwaltung innehatte und bis heute hat. 

Doch leicht macht es Wegner den Träumern von einem neuen schwarz-grünen Bündnis wahrlich nicht. Denn wie selbstverständlich arbeitete sich der starke Mann der Partei an den Grünen ab. Und wenig überraschend ging es dabei auch um Bullerbü, Bettina Jaraschs Idealbild für einen Stadtumbau. Bis heute eine Steilvorlage für jede bürgerliche Grünen-Kritik.

Kai Wegners Absage an „Bullerbü-Fantasien“ der Grünen und das „System SPD“

„Mit Bullerbü-Fantasien werden wir es nicht schaffen“, sagte Wegner und erntete einfachen Applaus. Berlin müsse eine Stadt der innovative Verkehrsformen werden. Dann war wieder Zeit für Populismus: „Aber das schaffen wir nicht mit sinnlosen Straßensperren über 500 Meter auf der Friedrichstraße.“ Der Saal johlte. Und es ging weiter: Die CDU halte daran fest, dass die Autobahn A100 zum projektierten Ende gebaut werde, also inklusive 17. Bauabschnitt in Treptow und Friedrichshain. Das ist ein dickes Brett für die Berliner Grünen, die am liebsten selbst den aktuellen Ausbau des 16. Bauabschnitts stoppen würden. Aber, so Wegner: „Die Stadt braucht den Ausbau dringend. Und mit uns wird es den vollständigen Ausbau geben.“ Und dann hatte der CDU-Chef noch ein Wort für die Grünen parat: „Wir lassen uns das Auto nicht verbieten.“

Der Rest war weitgehend Abrechnung mit Rot-Grün-Rot im Allgemeinen und der SPD im Besonderen. Dass  Andreas Geisel noch im Senat sitze, könne kein Berliner mehr verstehen. Und Geisels Partei gehöre nach 33 Jahren mal wieder dringend in die Opposition. Wegner sprach von einem „System SPD". Das stehe für „Streit, Stillstand, Chaos in der Verwaltung“. „Die Genossinnen und Genossen glauben, ihnen gehört Berlin“, so Wegner. Franziska Giffeys Durchhalteparolen könne er nicht mehr hören, „damit muss endlich Schluss sein“. Was also soll passieren, am 12. Februar? Kai Wegners Ziel ist eindeutig: „Berlin feiern, den Senat feuern!“

Jens Spahns Kandidatur ist nicht mehr als eine gescheiterte Fantasie

Dass er überhaupt die Möglichkeit dazu bekommen würde, war noch vor wenigen Monaten plötzlich nicht mehr ausgemacht. Da wurde der Name Jens Spahn gespielt, wenn es um die Besetzung des Roten Rathauses nach einer (gewonnen) Wahl ging. Doch der in der Berliner CDU weiterhin sehr gut vernetzte Wegner, der Freund fast aller Kreisvorsitzender, wehrte den Angriff ab, ehe dieser wirklich akut wurde. 

Heute schätzen sich nicht wenige Berliner Christdemokraten froh, dass die Spekulation um den früheren Bundesgesundheitsminister früher beendet war, als sie öffentlich wurde. Quasi pünktlich zum Berliner Parteitag veröffentlichte der Spiegel eine neue Wendung zu Spahns legendenumwobenen Kauf einer mehr als vier Millionen Euro teuren Villa in Dahlem. „Das hätte uns jetzt bis zum Wahltag und darüber hinaus beschäftigt“, sagte ein Delegierter.

Nun ist der Weg also frei für Kai Wegner, der Phantom-Konkurrent ist keine Gefahr mehr. Doch jetzt muss Wegner liefern. Er braucht ein deutlich besseres Ergebnis als vor einem Jahr, als er die CDU nur auf Platz 3 führte. Er hat das stets mit dem damaligen „Gegenwind aus dem Bund“ begründet und meinte damit den unglücklichen Kanzlerkandidaten Armin Laschet. Jetzt erscheint mehr möglich, auch durch den positiven Bundestrend der CDU. „Diesmal haben wir Rückenwind“, sagt Wegner.