Berlin-Spandau-Joe Chialo bewirbt sich als Kandidat der CDU im Bundestagswahlkreis Spandau/Charlottenburg-Nord für das Direktmandat. Er wäre der zweite Afrodeutsche im derzeit 709 Abgeordnete zählenden Parlament. Vorige Woche berief Armin Laschet den Musikunternehmer in sein „Zukunftsteam“, zuständig für die Themenfelder Kultur- und Kreativwirtschaft. Chialo ist der Berliner in dem Team und vertritt dort seine Berliner Themen: Sicherung der Clubs sowie der Künstler. Wir treffen uns in seiner Lieblingskonditorei am Spandauer Markt. Draußen stehen samstags die Wahlkampfstände von CDU, SPD, Linke, FDP, Die Basis und AfD.
Herr Chialo, wie läuft’s?
Das ist knüppelhart, geht an die Grenzen, aber macht wahnsinnig Spaß, weil ich wirklich einen Unterschied spüre zwischen den Ergebnis-Projektionen und dem realen Erleben – wie die Menschen auf mich zugehen, wie wir über Themen reden. Es ist doch schön, wenn Leute sagen: Wir haben schon gewählt, eine Stimme habe sie auf jeden Fall. Da bin ich nicht versucht, aus einem ernsten Wahlkampf einen verzweifelten Spaßwahlkampf zu machen.
Sie hoffen auf Erststimmen von Wählern, die eigentlich anderen Parteien zuneigen, zum Beispiel den Grünen?
Das ist reine Spekulation. Aber ich höre oft: Du bist doch ein cooler Typ, warum bist du in der CDU? Dann erkläre ich das, erinnere an die Leistungen meiner Partei – Stichworte sind Finanzkrise, griechischer Staatshaushalt, Migrationskrise und, trotz aller Schwierigkeiten, die Pandemie. Alle Krisen wurden bewältigt – übrigens seit zwölf Jahren mit dem Partner SPD, der gleichermaßen an Schlüsselpositionen Verantwortung getragen hat. Aber ich merke natürlich, dass wir als CDU Nachholbedarf haben, wenn es darum geht, eine empathischere, frischere, jüngere Kommunikationslinie zu finden, die mehr die jungen Leute begeistert. Ja, begeistert.
Sieht das Armin Laschet genauso?
Allen Unkenrufen zum Trotz bin ich ganz nah bei ihm: Er interessiert sich, stellt Inhalte nach vorne. Er hört mir zu, wenn ich über die Sorgen und Nöte der Kreativwirtschaft rede. Und hat entschieden, dass die Kreativwirtschaft einen Platz in seinem Zukunftsteam hat.
Die Union weiß seit langem, dass sie mehr Frauen, mehr Jugend, mehr Diversität, mehr Frische braucht – warum hat man Sie nicht so auf einer Liste platziert, dass Sie sicher als zweiter Afrodeutscher nach Karamba Diaby von der SPD in den Bundestag kommen?
Das hat einen einfachen Grund: Meine Kandidatur kam überraschend. Dann hat mir Kai Wegner seinen Wahlkreis anempfohlen. Die Partei und ich – wir haben uns in den vergangenen zwölf Monaten einfach besser kennengelernt. Unabhängig vom Wahlausgang wissen wir, was wir aneinander haben und werden eine andere Zukunft zeigen als bisher erlebt.
Das heißt, Sie bleiben bei der Politik, egal wie das Experiment Direktmandat ausgeht?
Ich will nicht aus Karrieregründen Politik machen. Meine Entscheidung lautet ja nicht: Ich will Politiker werden. Ich bin weiter Unternehmer in der Kreativwirtschaft – und das sehr gerne. Aber jetzt habe ich ein Thema und konnte das in der Partei und der Öffentlichkeit platzieren. Jetzt heißt es: volles Rohr auf die Bundestagskandidatur mit Blick auf einen Sitz im Parlament, wo ich meine Themen in den Ausschüssen platzieren kann.
Die Präsentation des Zukunftsteams kam vielen wie eine Panikreaktion auf schlechte Umfragewerte vor – holterdiepolter mal ein paar Leute präsentieren. Wie ist das zustande gekommen?
Es ging schnell, es war überraschend, aber nicht holterdiepolter. In der heutigen Welt ist die Kommunikationsgeschwindigkeit von herausragender Bedeutung. Hätte man das zu früh veröffentlicht, hätte es geheißen, wieso finden sich da keine Schwergewichte, Minister zum Beispiel. Er hat aber entschieden, bestimmte Themen mit neuen Köpfen zu besetzen, auch überraschenden, die für die Zukunft eine Relevanz haben. Ich freue mich auf die Möglichkeit, mit ihm am kommenden Montag über die Kreativwirtschaft zu sprechen.
Welches sind die drei wichtigsten Ziele?
Ich möchte die moderne Kultur- und Kreativwirtschaft fördern. Das beinhaltet alles, was rund um die Clubkultur passiert, was rund um die Urheberrechte im digitalen Raum diskutiert wird und was die Filmwirtschaft und das Gaming angeht.
Clubs sind für Berlin zentral. Was haben sie mit den Clubs vor?
Die Pandemie hat die Clubs schwer gebeutelt, sie brauchen mehr Sicherheit. Ganz wichtig dafür: Die Clubs müssen als Kulturstätten anerkannt werden. Musikclubs sind Talenteschmieden, erfüllen einen wichtigen kulturellen Auftrag, sie machen Innenstädte attraktiver, ziehen Publikum an und machen den Standort begehrenswerter. Trotzdem werden sie im Baurecht immer noch als Vergnügungsstätten mit Bordellen und Wettbüros gleichgestellt! Die Änderung liegt zur Abstimmung im Bundesbauministerium, also bei Horst Seehofer. Wir reden hier auch über eine innerparteiliche Frage, das gehört zur Wahrheit dazu. Die Anerkennung der Clubs als Kulturstätten soll auch das sicherstellen, was Berlin ausmacht – eine vielfältige, spannende Clublandschaft. Die reicht doch in alle wirtschaftlichen Bereiche hinein.

Während seiner ersten Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker/Frästechnik und dem darauf folgenden Studium der Geschichte, Politik und wirtschaftlichen Staatswissenschaften stand er als Sänger der Crossover-Band Blue Manner Haze beim Majorlabel Sony Music unter Vertrag. Gelegentlich jobbte er als Türsteher.
Seine Karriere in der Kreativ- und Kulturwirtschaft führte ihn nach Köln, Amsterdam, München, Hamburg und schließlich zum Musikkonzern Universal Music nach Berlin. 2009 gründete er die Airforce1 Management GmbH, ein Unternehmen für Künstlermanagement, 2012 zusätzlich Airforce1 Records, ein Joint Venture mit Universal Music.
2016 trat er der CDU bei. Joe Chialo ist verheiratet und hat eine Tochter.
Warum müssen Clubs unbedingt in die Innenstädte, wo viele Kollisionen mit Anwohnern drohen?
Kultur ist Disruption, Disco ist Disruption – da spürt man Stärke, da sind Jugendliche unterwegs. Diese Spannung trägt zur Weiterentwicklung der Gesellschaft bei. Das macht Berlin doch aus, die Stadt braucht diese Unruhe. Es ist ja nicht so, dass es sieben Tage die Woche 24 Stunden am Tag durchgehend scheppert. Und was ist denn in Berlin nicht Innenstadt? Das ist nicht nur Mitte! Charlottenburg-Wilmersdorf hat ein Zentrum, in Kreuzberg und Schöneberg … Dort müssen überall auch Clubs sein. Allerdings sind Filet-Orte auch für Investoren interessant. Wenn Clubs nicht als Kulturstätten rangieren, sind sie benachteiligt und können jederzeit verdrängt werden.
Wie lautet der Plan zur besseren Absicherung von Künstlern?
Die Künstlersozialkasse speist sich bisher zu 50 Prozent aus Mitteln, die die Künstler selber beitragen, dazu kommen 20 Prozent Staatszuschuss und 30 Prozent von den Betrieben zu leistende Künstlersozialabgabe. Ich möchte den staatlichen Anteil erhöhen und die Versicherung auch für weitere kulturnahe Freiberufler und Soloselbstständige verpflichtend machen, damit sie in einer solchen Situation wie der Pandemie besser abgesichert sind. Auch eine Art von Arbeitslosenversicherung für Freiberufler und Soloselbstständige steht auf meiner Agenda. Wir müssen etwas nachhaltig Wirkendes schaffen, das Künstler und Kreative besser absichert.
Wie soll die Live-Kultur wieder aus der Pandemie-Starre herauskommen?
Die Live-Kultur musste als erste schließen, und es gibt noch immer keine Öffnungsstrategie. Wir müssen gemeinsam mit Experten Kriterien definieren, wie Live-Veranstaltungen ohne Kapazitätsgrenzen und Mindestabstände wieder stattfinden können.
Sie haben so enthusiastisch über Ihren Wahlkampf gesprochen – sind Ihnen auch hässliche Dinge widerfahren?
Ja. Auf dem Spandauer Marktplatz stehen ja alle Parteienstände auf engstem Raum zusammen. Manchmal laufen dann Leute einfach an einem vorbei – und das meine ich jetzt nicht nur auf mich alleine bezogen, weil ich schwarz bin – und sagen einfach: „Politiker müsste man alle erschießen.“ Solche Aussagen verdeutlichen die Spaltung in diesem Land. Wenn man mit den Corona-Leugnern zu tun hat, spürt man deutlich: Es geht ein Riss durch Deutschland. Es wird extrem wichtig sein, nach Kommunikationsmöglichkeiten zu suchen, um Menschen zusammenzuführen und nicht nach dem, was Menschen noch tiefer spaltet. Das ist für mich Motivation.
Wie ist das Zukunftsteam entstanden?
Ich bin schon seit Monaten mit Armin Laschet im Gespräch, nicht nur bei Terminen. Ich habe ihm immer wieder von der Situation der Kultur- und Musiklandschaft erzählt, davon, was in der hoch emotionalisierten Branche eigentlich los ist. Dann habe ich ihn nach Spandau eingeladen, um mich im Wahlkampf zu unterstützen. Da ich nicht auf der Landesliste stehe, war das wichtig. Danach haben wir weiterdiskutiert, zum Beispiel über die Öffnungsszenarien nach der Pandemie. Zwei Tage vor der Vorstellung des Zukunftsteam hat er mich angerufen.
Was möchten Sie noch voranbringen?

