Kommunalpolitik

Berlin-Mitte: Bürgermeister Stephan von Dassel steht vor dem Rücktritt

Der Grünen-Politiker ist erneut unter Druck geraten. Er wollte eine umstrittene Personalentscheidung im Bezirksamt mit privatem Geld regeln.

Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne)
Bezirksbürgermeister von Mitte, Stephan von Dassel (Grüne)dpa/Sven Braun

Stephan von Dassel ist der bekannteste Berliner Bezirksbürgermeister. Er ist umstritten und beliebt zugleich. Doch eine Aktion könnte den Grünen jetzt zum Rücktritt zwingen. Falls nicht, könnte der 55-Jährige durch das Bezirksparlament abgewählt oder sogar vom Senat entlassen werden. Die Vorwürfe wiegen schwer: Er soll einem unterlegenen Stellenbewerber privates Geld angeboten haben, damit dieser nicht klagt, weil von Dassel den Posten mit einem Vertrauten besetzt hat.

Von Dassel selbst will nun Vorwürfe gegen ihn unabhängig aufarbeiten lassen. Aus diesem Grund bat der Grünen-Politiker bei der Senatskanzlei um Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen ihn. Von Dassel verbinde mit dem Verfahren die Hoffnung, dass der Sachverhalt neutral untersucht und er vom Verdacht eines Dienstvergehens entlastet werde, hieß es. Das Vorgehen erfolge „im Einvernehmen“ mit Berlins Regierender Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD).

Bei der umstrittenen Stellenbesetzung handelt es sich um den Leiter des Steuerungsdienstes im Bezirksamt Mitte. Der Vertraute, dem von Dassel den Vorzug gab, soll sein früherer Wahlkampfleiter gewesen sein. Dem anderen Bewerber soll der Bezirksbürgermeister 18.700 Euro angeboten haben – und das aus seinem Privatvermögen. Am Ende sei es zu dem Deal nicht gekommen, doch das Angebot hat von Dassel zumindest bisher nicht bestritten.

Berichtet hat zuerst der Tagesspiegel, der sich dabei auf einen SMS-Verkehr stützt, aus dem zitiert wird. Unter anderem soll von Dassel darin geschrieben haben, dass es keine „vom Bezirksamt initiierte außergerichtliche“ Einigung geben werde, da dies aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht gehe.

Da bietet ein Bezirkschef sein privates Geld an, damit ein unterlegener Stellenbewerber nicht sein Recht wahrnimmt, eine Personalentscheidung gegen sich gerichtlich prüfen zu lassen. Zuständig wäre das Verwaltungsgericht, vor dem jeder gegen Verwaltungshandeln vorgehen kann. Konkurrentenklagen sind dort an der Tagesordnung. Als Faustregel gilt: Je höher die Stelle dotiert ist, desto größer ist die Gefahr der Klage. Es ist durchaus üblich, dass vor Gericht Vergleiche geschlossen werden.

Das bestätigte der Bürgermeister eines anderen Bezirks der Berliner Zeitung. Deshalb sei es auch üblich, dass Bezirksbürgermeister derartige Personalfragen und auch Klagen dagegen dem dafür zuständigen Personalservice im Bezirksamt überlassen, sagt er. Dort säßen die dafür zuständigen Juristen.

Vor diesem Hintergrund wiegen die Filz-Vorwürfe gegen Stephan von Dassel doppelt schwer. Weder seine eigene Parteispitze noch die sonst so meinungsstarke Führung der Abgeordnetenhausfraktion wollte sich am Montag in Gesprächen mit der Berliner Zeitung äußern. Das sei allein Sache der BVV-Fraktion von Mitte, hieß es.

Seit Tagen ringt der dortige Grünen-Kreisverband, dem von Dassel seit mehr als 20 Jahren angehört, um eine einheitliche Haltung. Aus der Partei heißt es, man nehme das Thema und die Vorwürfe „sehr ernst“. Man befinde sich derzeit „innerparteilich im Prozess, um volle Transparenz und Aufklärung zu ermöglichen“.

Schon die Wortwahl der sonst oft moralisch so gestrengen Partei, die jederzeit bereit ist, vermeintliche oder tatsächliche Verfehlungen der Konkurrenz knallhart zu geißeln, macht misstrauisch: Genauso abwehrend-abwägend kommunizierte die Spitze des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) in der Causa Patricia Schlesinger. Inzwischen ist die Intendantin zurückgetreten, der RBB liegt in Scherben.

Ein Rücktritt wäre jetzt auch bei Stephan von Dassel denkbar. Eine erste Gelegenheit dazu ließ der Politiker am Sonnabend verstreichen. Da traf sich die Fraktion seiner Partei in Mitte. Einziges Thema: von Dassels bizarrer Umgang mit Personalien. Das Treffen sei informell gewesen, deshalb sei man „nicht beschlussfähig“ gewesen, heißt es von den Grünen.

Schwieriges Krisenmanagement der Grünen

Zu den Inhalten wollte sich am Montag auch auf Anfrage der Berliner Zeitung kein Grüner äußern. Alle verwiesen auf eine formelle – und damit auch beschlussfähige – Sitzung der BVV-Fraktion an diesem Montagabend.

Neben einem Rücktritt sind aber mindestens noch zwei weitere Szenarien denkbar. So könnte Stephan von Dassel demnächst von der Bezirksverordnetenversammlung abgewählt werden. Gut möglich, dass die eigenen Leute ihm die Pistole auf die Brust setzen werden.

In letzter Konsequenz könnte er aber aus dienstrechtlichen Gründen vom Senat abgesetzt werden. Die Landesregierung hat die Aufsichtspflicht gegenüber den Bezirksverwaltungen. Sie muss am Ende sicherstellen, dass die Rechtmäßigkeit der Verwaltung gewahrt bleibt und Verwaltungsvorschriften eingehalten werden.

Bei den Grünen hat von Dassel einen ähnlich schlechten Ruf wie Boris Palmer

Als am wahrscheinlichsten gilt jedoch der Rücktritt. Damit könnte Stephan von Dassel einigermaßen gesichtswahrend von der kommunalpolitischen Bühne abtreten, auf der er seit mehr als zwei Jahrzehnten aktiv ist. Bereits 1999 wurde der Diplom-Politologe erstmals in die BVV von Mitte gewählt. 2009 wurde er Sozialstadtrat, 2011 bekleidete er zusätzlich das Amt des stellvertretenden Bezirksbürgermeisters.

Bei den Berliner Wahlen am 18. September 2016 wurden die Grünen stärkste Partei in Mitte und bildeten eine Zählgemeinschaft mit der SPD. Stephan von Dassel wurde als neuer Bezirksbürgermeister gewählt – als erster Grüner in Mitte.

Seit dieser Zeit hat sich von Dassel einen Namen als besonders aktiver, aber oft auch umstrittener Bezirkspolitiker gemacht. So beklagte er bereits 2017 öffentlich Probleme mit „aggressiven Obdachlosen aus Mittel- und Osteuropa“, vor allem im Tiergarten, wo viele von ihnen damals campierten. Ordnungsamtsmitarbeiter würden regelmäßig angegriffen, Passanten, etwa am Hansaplatz, angepöbelt. Diese Personen seien notfalls abzuschieben, forderte der Grünen-Politiker.

Viele dankten Stephan von Dassel für die offenen Worte, die offizielle Grünen-Klientel hingegen fremdelte mit dem scharfzüngigen Bürgermeister aus den eigenen Reihen. So lehnte die Berliner Obdachlosenhilfe 2019 den Ehrenamtspreis des Bezirks Mitte ab, auszuhändigen ausgerechnet aus der Hand Stephan von Dassels. Begründung: die „rassistische, obdachlosenfeindliche und oft menschenverachtende Politik des Bezirksamts“.

Manchem Berliner Grünen galt Stephan von Dassel schon als Wiedergänger von Boris Palmer, dem so streitbaren wie populären und ebenfalls umstrittenen Bürgermeister von Tübingen.

Auch mit seinem forschen Vorgehen gegen Wirte, die es mit den Corona-Verboten nicht so genau nahmen, machte sich von Dassel wenig Freunde in seiner Partei. Dasselbe galt für seine Versuche, die Parks von Mitte zu verriegeln und Alkoholverbote zu verhängen, um den nächtlichen Exzessen vieler Tausender junger Menschen dort ein Ende zu bereiten.

So war es alles andere als selbstverständlich, dass Stephan von Dassel im vergangenen Jahr noch einmal Grünen-Spitzenkandidat von Mitte wurde. Am Ende brachte ihn seine Popularität noch einmal ins Rathaus an der Karl-Marx-Allee. Seine zweite Amtszeit wird er nun wohl nicht vollenden.

Bezirk Mitte: Die CDU-Opposition wähnt sich in einer Bananenrepublik

Für die CDU – sowohl im Bezirk als auch im Land in der Opposition – sind die Vorwürfe gegen von Dassel „ungeheuerlich“. Das sagt Stephan Schmidt, Sprecher für Bezirke und Personal der CDU-Fraktion. Es erinnere ihn „an eine Bananenrepublik, wenn ein unterlegener Mitbewerber womöglich mit Bestechungsgeldern von einer Klage abgehalten werden sollte“, so Schmidt.

Schmidt will das Thema jetzt auf die nächsthöhere Ebene schieben – der Senat soll eingreifen und den Kommunalpolitiker maßregeln. Jetzt sei Innensenatorin Iris Spranger (SPD) „in der Pflicht, gegen diese Form von Selbstbedienungsmentalität einzuschreiten“, sagt Schmidt.

Für von Dassel müsse das bedeuten, dass er während der Zeit einer Prüfung durch die Innenverwaltung seine Amtsgeschäfte ruhen lasse, so der CDU-Politiker. „Falls sich die Anschuldigungen bewahrheiten, ist sein Rücktritt unabwendbar.“