Kaum eine Denkfigur ist in intellektuellen Milieus so verbreitet wie jene, die Marlene Streeruwitz jüngst offen aussprach: „Freiheit ist eine dieser Erfindungen, die so schön klingen. Aber ich möchte, dass zuerst einmal alle zu essen bekommen, sauberes Wasser zu trinken, einen Platz, an dem sie ruhen können. Dann setzen wir uns zusammen und beginnen darüber nachzudenken, wie wir das miteinander teilen und damit eine Freiheit herstellen.“ Mit diesen Worten beschreibt Marlene Streeruwitz nicht nur eine sozialpolitische Wunschvorstellung, sondern reproduziert – vermutlich unbeabsichtigt – eine gefährliche Denkfigur, dass Freiheit keine primäre, sondern eine sekundäre Größe sei, herstellbar, nicht vorausgesetzt. Dass man sie durch die Gemeinschaft „herstellt“, nachdem die Grundbedürfnisse gestillt sind.
Was hier als humane Intuition erscheint, trägt die Struktur einer alten politischen Versuchung: Wer die Freiheit an materielle Bedingungen knüpft, öffnet das Tor zur Entmündigung und unterschätzt die zerstörerische Kraft der Freiheitsverdrängung. Diese Logik ist nicht neu, sie folgt einem tief verankerten Muster politischer Entlastung, wo Freiheit als Belohnung versprochen wird, doch nicht als Voraussetzung anerkannt.

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