Es sind schwierige Tage für Berlins Regierende Bürgermeisterin. Mit voller Wucht spürt Franziska Giffey (SPD) gerade, wie sehr sie in der Stadt polarisiert. Fast überall, wo die Senatschefin derzeit öffentlich auftritt, trifft sie auf laute und aggressive Protestgruppen. Denen geht es meistens um eines: die Enteignung großer Immobilienkonzerne.
Die rot-grün-rote Koalition ist bei dem Thema weiterhin gespalten. Die Linken haben sich die Forderungen komplett zu eigen gemacht und stellen den Fortbestand des Bündnisses infrage, wenn es keinen akzeptablen Kompromiss gibt. Die Grünen haben ein eher taktisches Verhältnis zur Enteignung: Eigentlich sei man dagegen, finde es aber richtig, wenn dadurch Druck auf Immobilienkonzerne ausgeübt werde. Bleibt Regierungschefin Giffey als eine der wenigen Politikerinnen im Senat, die eine solche nicht nur juristisch umstrittene Enteignung klar ablehnt.
Damit steht sie in der öffentlichen Wahrnehmung faktisch allein gegen jene mehr als eine Million Berlinerinnen und Berliner, die vorigen Herbst den Volksentscheid unterschrieben. Schon die Expertenkommission, die unter der Vorsitz der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin mögliche rechtssichere Wege hin zu einer Enteignung abklopfen und aufzeigen soll, gilt ihnen als Verrat. Sie wollen, so sieht es aus, sich den Erfolg an der Wahlurne nicht nachträglich nehmen lassen – genauer: von Giffey nehmen lassen.
Zuletzt sah die Regierende Bürgermeisterin am Sonntag auf der traditionell friedlichen und stets eher konsensualen Mai-Demonstration des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Eier auf sich zufliegen. Der Protest war so laut und so aggressiv, dass sie ihre Rede abbrach. Tags darauf kam es nach einer Feierstunde in der Alice-Salomon-Hochschule in Hellersdorf zu Tumulten und Rücktrittsforderungen. Mancher fragt sich schon, ob eine weitere Eskalation bevorsteht.
Grüne zeigen „großes Verständnis“ für Protest
Tatsächlich hat sich auch Tage nach den Eierwürfen die Aufregung nicht gelegt. Nächste Gelegenheit dazu bot am Donnerstag die Generalabrechnung zum 1. Mai des Berliner Abgeordnetenhauses. Da zeigte sich dann auch, wie unterschiedlich Rot-Grün-Rot – nicht nur in der Tonart – mit dem Thema umgeht.
So zeigte Grünen-Innenpolitiker Vasili Franco „großes Verständnis“ für die Forderung auf Umsetzung des Volksentscheids in konkrete Politik. Doch das rechtfertige nicht jede Form des Protests. Die Eierwürfe nannte Franco „einfach nur idiotisch“.
Linke will gar „nicht über die Eierwürfe reden“
Linke-Innenpolitiker Nils Schrader wollte gar „nicht über Eierwürfe reden“ – und tat dies dann auch nicht. Lieber sprach er, 1.-Mai-gerecht, über Mindestlohn und Tarifbindung. Genau das hatten die Eierwerfer auf der Demo jedoch absichtlich in den Hintergrund gerückt.
Am wortmächtigsten sprang Innensenatorin Iris Spranger ihrer Regierungschefin und Parteifreundin Giffey zur Seite: „Ich verurteile ein derart widerliches Verhalten aufs Schärfste“, sagte Spranger, für die der 1. Mai eine Art Feuertaufe als Innensenatorin war. „Solch ein feiger Angriff trifft uns alle.“ Bezeichnenderweise schlugen Redner der Opposition aus AfD, CDU und FDP eine ähnliche Tonlage an.

Der DGB zeigt sich erschrocken über „Härte und Aggression“
Beim DGB, Veranstalter der missratenen Demonstration, ringt man noch um Konsequenzen. Mit Erschrecken nahmen die meisten Mitglieder und Funktionäre „die Härte und Aggression“ zur Kenntnis, sagt Sprecherin Marlis Dahne. Natürlich wisse man, dass es vor allem in Jugendverbänden personelle Überschneidungen mit der Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ gebe, so Dahne in einem Gespräch mit der Berliner Zeitung, doch diese Aktion sei „nicht aus Gewerkschaftskreisen“ gekommen. Belege dafür konnte sie naturgemäß nicht beibringen.
Auf die Frage, ob es überhaupt klug gewesen sei, in dieser verhärteten Zeit Franziska Giffey als Rednerin einzuladen, verweist Dahne auf Abstimmungen im Vorfeld. Vertreter aller acht Einzelgewerkschaften seien einverstanden gewesen. „Keiner hat sich dagegen ausgesprochen. Und wir haben uns gefreut, dass sie zugesagt hat.“
Gewerkschaft hat keine eindeutige und gemeinsame Haltung zur Enteignung
Bleibt die Frage, wie der DGB selbst es mit Enteignungen hält. Bisher hat der Dachverband keine erkennbare, gemeinsame Haltung zu dem gesellschaftlich so brisanten Thema. Vor allem bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gibt es Anhänger. Und die Tatsache, dass die Spitze der Bildungsgewerkschaft GEW der Linkspartei angehört, erlaubt Spekulationen.
In Giffeys Umfeld ist man derweil um Differenzierung bemüht. So seien die vorab angekündigten Proteste an der Hochschule in Hellersdorf am Montag fair und absprachegemäß verlaufen. Um den Festakt zu Ehren des 150. Geburtstages der Namensgeberin der Schule nicht zu beeinträchtigen, habe Giffey die Protestierer zu einem anschließenden Gespräch eingeladen. So kam es dann auch.
Am Sonnabend spricht Giffey bei Straßenfesten, am Sonntag erneut beim DGB
Im Übrigen hindern Proteste Franziska Giffey aber offenbar ohnehin nicht daran, ihre Termine wahrzunehmen. Am Sonnabend will sie nacheinander zur Eröffnung des „30. Fests auf der Bölsche“ in Friedrichshagen und anschließend zur Eröffnung der Rudower Frühlingsmeile in Alt-Rudow sprechen.

