Berliner Koalition

Schwarz-Rot in Berlin: Die SPD streitet, die CDU lehnt sich zurück und schaut zu

Bei der SPD entscheidet die Basis über Schwarz-Rot. Doch was macht die CDU? Sie nimmt schweigend zur Kenntnis. Kritik kommt nur von einem notorischen Querkopf.   

Kai Wegner und Franziska Giffey
Kai Wegner und Franziska GiffeyMonika Skolimowska/dpa

Kai Wegner und die Berliner CDU sind obenauf. Laut einer Umfrage des Instituts Insa käme sie jetzt, knapp zwei Monate nach der Wiederholungswahl, auf 30 Prozent. Am 12. Februar hatte sie noch bei 28,2 Prozent gelegen. Läuft also bei der CDU. Dennoch bleiben Fragen.

Wie groß war der Anteil der Vornamendebatte nach den Silvesterkrawallen an dem Wahlsieg? Genau wird man es nie wissen. Doch klar ist: Für CDU-Chef Kai Wegner war die Debatte Teil eines zugespitzten Wahlkampfs. Und dieser ist, wie Wegner selbst immer wieder sagt, seit dem Wahlabend vorbei. Seitdem gehe es darum, pragmatisch „das Beste für Berlin“ zu suchen. So steht es im Titel des Koalitionsvertrags, den CDU und SPD unterzeichnet haben und dem viele eine sozialdemokratische Handschrift attestieren. Sollen die Themen und Positionen des CDU-Wahlkampfs jetzt also nicht mehr gelten? Und was sagt eigentlich die Partei dazu?

Anders als die von internen Grabenkämpfen geplagte SPD mit ihrem Mitgliederentscheid, baut die CDU auf das Delegiertenprinzip. Der Fahrplan steht fest: Die SPD-Befragung endet am Freitag, den 21. April, um 23.59 Uhr. Danach wird ausgezählt. Das Ergebnis soll am Sonntag (23. April) verkündet werden. So werden die Delegierten für den CDU-Landesparteitag am 24. April schon wissen, was auf sie zukommt – ihre Zustimmung gilt als Formsache. In den Tagen danach präsentieren beide ihre Kandidaten für ihre Senatsressorts, ehe am 27. April das Abgeordnetenhaus Kai Wegner zum Regierenden Bürgermeister wählen soll - als ersten Christdemokraten, seit Eberhard Diepgen 2001 den Posten räumen musste. 

Bis es soweit ist, müssen sich Berlins CDUler also noch gedulden. Und haben umso mehr Zeit, sich intensiver mit dem vorliegenden Koalitionsvertrag zu beschäftigen. 

Derzeit schaut die CDU, so sieht es aus, dem sozialdemokratischen Treiben mit demonstrativem Desinteresse zu. Lieber nicht noch Öl ins Feuer gießen und damit die SPD womöglich zu noch mehr Widerspruch reizen. Hauptsache, am Ende geht alles gut – und die CDU führt den Senat an.

Kai Wegner macht die Verwaltungsmodernisierung zur Chefsache – das ist riskant

Doch auch zum Vertrag selbst, ist aus der CDU wenig zu hören. Dabei gäbe es Anlass. Da holt sich Wegner Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung ins Rote Rathaus. Das klingt nach „Chefsache“ und Tatkraft eines Regierenden, birgt aber insbesondere bei der Verwaltungsreform akute Gefahren. An diesem dem Namen nach so unsexy Thema haben sich schon viele versucht, Erfolg hatten wenige. Messbare Verbesserungen wie mehr und raschere Termine in Bürgerämtern, den Abbau des Zuständigkeitswirrwarrs zwischen Land und Bezirken oder auch die Verschlankung von Entscheidungsprozessen brauchen Zeit. Doch in dreieinhalb Jahren ist schon wieder Wahl.

In der Arbeits- und Sozialpolitik hat sich die SPD beim Landesmindestlohn (er soll „dynamisiert“ werden, also automatisch steigen), mehr aber noch bei der von der Wirtschaft bekämpften Ausbildungsplatzumlage durchgesetzt. Sollten nicht zusätzlich 2000 betriebliche Azubi-Plätze entstehen, müssten Unternehmen eine Abgabe bezahlen. Ein Unding, heißt es von Wirtschaftsverbänden, schließlich sei es Aufgabe des Staates, ein angemessenes Bildungsniveau an Schulen sicherzustellen, damit sich Arbeitgeber aus dem Reservoir bedienen könnten. 

Und dann ist da das Kapitel „Stadt der Vielfalt“: Die Einführung eines Queerbeauftragten, das Bekenntnis zu einer stärkeren Förderung der Ausbildung von Imamen in Berlin oder auch die Betonung des Kampfes gegen Islamfeindlichkeit hätte wohl nicht jeder in einem von der CDU mitgezeichneten Papier vermutet.  

Dennoch gibt es kaum vernehmbare Kritik aus der Berliner CDU. Doch was ist mit Mitbestimmung à la SPD? Und was sagt eigentlich die Nachwuchsorganisation Junge Union – deren Gegenpart Jusos ist bekanntlich stets besonders kritisch?  

Die Berliner Junge Union hat nichts zu kritisieren

„Wir spüren innerhalb der Berliner Jungen Union eine sehr große Zustimmung - sowohl zur schwarz-roten Koalition als auch zum Koalitionsvertrag“, sagt Landesgeschäftsführer Salahdin Koban im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Es geht uns nicht darum, wer sich bei welchen Themen durchgesetzt hat, sondern allein um den besten Weg für Berlin. Und diese Koalition ist genau das: Das Beste für Berlin.“

Und wie wäre es mit einem Mitgliederentscheid? „Die Satzung sieht vor, dass die CDU darüber auf ihrem Parteitag entscheidet. Und das ist auch der richtige Weg“, so Koban.

Ob er auch so gesprochen hätte, wenn es womöglich um ein schwarz-grünes Bündnis ginge, steht auf einem anderen Blatt. Mit der SPD jedenfalls, so sagen viele CDUler, habe kaum jemand in der Partei ein ernsthaftes Problem.

CDU-Querkopf Rainer Wendt kritisiert den Berliner Koalitionsvertrag

So braucht es schon einen streitbaren Kopf, wie den Polizeigewerkschafter (und Christdemokraten) Rainer Wendt, um wenigstens eine stabile Kontra-Stimme zu bekommen. In einem Gastkommentar für das Magazin Focus zeigt sich Wendt schwer enttäuscht vom Koalitionsvertrag.

Polizeibeauftragter, Antidiskriminierungsgesetz, Studien zu womöglich strukturellem Rassismus in der Berliner Polizei – für Wendt alles Zeichen eines grundsätzlichen Misstrauens des linken Milieus. Dass die CDU diese „Zumutungen“, wie er sie nennt, nun im Koalitionsvertrag nicht abgeräumt habe, sei blamabel.  

Und auch zu der Ankündigung von Schwarz-Rot, das ASOG (Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz) überarbeiten zu wollen, hat Wendt eine Haltung: „Angesichts der Tatsache, dass die SPD das Innenressort behält, darf dies getrost als Drohung empfunden werden.“

Dass Wendt mit seiner harschen Kritik selbst in der CDU isoliert ist, mag damit zusammenhängen, dass der Koalitionsvertrag in Wahrheit auch eine ganze Menge CDU-DNA enthält. Das neue Wahlpflichtfach Religionen/Weltanschauungen, das Eintreten für einen bis zu fünftägigen Polizeigewahrsam (bisher sind es maximal zwei Tage), oder mehr Bodycams und Taser für die Polizei kann die Partei durchaus als Erfolge für sich verbuchen.

Und dann ist da noch die Einschätzung von Falko Liecke, Sozialstadtrat von Neukölln –  einer der CDU-Verhandler und im übrigen übermäßiger Rücksichtnahme auf die politische Konkurrenz des lieben Friedens willen unverdächtig. Ein solcher Vertrag sei immer ein Kompromiss, niemand setze sich zu 100 Prozent durch, sagte er im Gespräch mit der Berliner Zeitung. Dennoch habe die CDU viele gute Punkte hineinverhandelt. Und: „Unsere Grundhaltungen und Positionen sind weiterhin da“, so Liecke, das werde sich im konkreten, alltäglichen Regierungshandeln schon ausreichend zeigen.