Kolumne

Lautes Schweigen: Warum sagen wir eigentlich nichts?

Oft fällt es uns schwer zu sagen, dass wir mit etwas nicht einverstanden sind. Im Netz hingegen wird die Meinung überlaut rausposaunt. Aber warum ist das so?

„Das Gefühl, an der falschen Stelle geschwiegen zu haben, sitzt unangenehm im hinteren Teil des Kopfes.“ Im Netz hingegen wird jede Meinung überlaut rausposaunt.
„Das Gefühl, an der falschen Stelle geschwiegen zu haben, sitzt unangenehm im hinteren Teil des Kopfes.“ Im Netz hingegen wird jede Meinung überlaut rausposaunt.Roshanak Amini für Berliner Zeitung am Wochenende. Bilder: imago

In den sozialen Medien ist es mittlerweile das Salz in der Suppe: Kein Tag vergeht auf Instagram, Facebook, oder Twitter (jetzt X) ohne Streitereien, hitzige Diskussionen und oft auch leider Beleidigungen. Man hat nicht das Gefühl, dass es Menschen im Internet schwerfällt, ihre Meinung zu vertreten, sei sie noch so fragwürdig. Hauptsache, irgendjemand wird übertönt.

Man könnte das Gefühl bekommen, dass man in einem Land lebt voller selbstbewusster Menschen, die kein Problem damit haben, mit Rückgrat für ihre Meinung einzustehen. Dachte ich bislang immer. Ich, der im Privaten auch keiner Konfrontation aus dem Weg geht. Aber vor ein paar Tagen hatte ich ein Erlebnis, besser gesagt: eine Reihe Erlebnisse, die mich an meiner Meinungsstandhaftigkeit zweifeln ließ.

Ich sagte nichts, obwohl ich mich ekelte

Ich gehe jeden Morgen zum selben Bäcker in Stadtmitte. Am Ende des Verkaufsraums steht meistens dieselbe Frau hinter einer Glasscheibe, vor sich Brötchen, Butter und was eben so auf Brot und Brötchen gelegt wird. Sie schmiert und belegt und macht nichts anderes. Aber sie trägt nie Handschuhe. Ich habe ein Problem damit, spätestens seit Corona wissen wir, wie Viren sich übertragen und ich muss mir immer vorstellen, wie die Frau in ihre Hand niest und dann wieder die Backwaren berührt.

Es wäre ein Leichtes, gegen die Scheibe zu klopfen und die Frau höflich darum zu bitten, doch bitte Handschuhe bei ihrer Arbeit zu tragen. Nichts spricht dagegen, immerhin geht es ja auch um die Gesundheit ihrer Kundschaft. Jedes Mal verspüre ich diesen Impuls, mache es aber nie. Irgendetwas hemmt mich und ich kann nicht wirklich benennen, was es ist. Aber vielleicht kennen Sie dieses Gefühl. Manchmal hat man es in Bekleidungsgeschäften. Man ist sich nicht wirklich sicher, ob einem das Teil, das man anprobiert, wirklich gefällt. Aber der Verkäufer oder die Verkäuferin bestätigen einem nachdrücklich, wie toll man darin aussehe, vorteilhaft, ganz wunderbar, und ehe man sich versieht, steht man an der Kasse und bezahlt etwas, von dem man genau weiß, dass es wohl die meiste Zeit ungetragen bleiben wird. Das Gefühl, an der falschen Stelle geschwiegen zu haben, sitzt unangenehm im hinteren Teil des Kopfes.

Es gibt Menschen, denen fällt das alles nicht schwer. Die tun ihre Meinung kund und stehen dabei mit beiden Beinen fest auf dem Boden des Geschehens. Ich vermeide solche Situationen oft und habe mich schon dabei erwischt, wie ich mit dem Gedanken spielte, einfach zu einem anderen Bäcker zu gehen. Einem, bei dem ich den Arbeitsraum nicht einsehen kann. Dort würden dann alle Handschuhe beim Baguette-Belegen tragen. Da bin ich mir ganz sicher.