Wenn wir hierzulande über Nutztiere sprechen, denken wir an Kühe, Schweine und Hühner, und dann kommt lange erstmal nichts. Nach Schafen, Gänsen und ein paar Enten ist dann irgendwann die Ziege an der Reihe.
Ein Tier, das in der Landwirtschaft wie auch in der Küche ein Schattendasein führt. Früher war sie einmal unentbehrlich, heute ist sie eher exotisch. Dabei ist sie genügsam, produktiv und erstaunlich modern, eigentlich das perfekte Tier für eine nachhaltige Zukunft. Nur scheint das bislang kaum jemanden zu interessieren.
Die Kuh des kleinen Mannes
Dabei hätte die Ziege alle Voraussetzungen, um in der ökologischen Landwirtschaft eine größere Rolle zu spielen. Sie kommt mit wenig Wasser und Futter aus, meidet keine steilen Hänge und sorgt durch ihre Beweidung dafür, dass Landschaften offen und artenreich bleiben. In Süddeutschland, besonders in Bayern und Baden-Württemberg, sind Ziegen ein wichtiger Bestandteil der Kulturlandschaftspflege. Doch warum stehen sie trotzdem meist im Schatten? Vielleicht, weil sie nicht wie die Kuh Symbol für Heimat, Milch und Wiesenidyll sind.
Das arme Schwein hat sein Image zwischen Grillfest und Wursttheke gefestigt. Die Ziege dagegen riecht angeblich zu streng und gilt als schwierig – ein dickes Imageproblem, das sich hartnäckig hält, obwohl es in Kuh- und Schweineställen nicht unbedingt besser duftet. Und eine Ziege liefert hervorragende Produkte: Milch, die leichter verdaulich ist, weil sie weniger Laktose enthält, Fleisch, das mager, zart und gesund ist, und Käse, der aromatisch und charaktervoll daherkommt. Ernährungsphysiologisch kommt das Zicklein weit vor Schweinenacken und Kalbsbäckchen, kulinarisch ist es aber kaum präsent.

Ziegenmilchprodukte gewinnen zwar an Popularität, aber von einem Massenphänomen sind wir weit entfernt. In Deutschland hat sich die Zahl der Ziegenmilcherzeugnisse in den vergangenen Jahren zwar vervielfacht, aber von einem sehr niedrigen Niveau aus. Ziegenjoghurt, Eis oder Butter finden sich vor allem im Biohandel. Im europäischen Vergleich ist das Segment in Deutschland winzig: Etwa drei Prozent der gesamten Milchproduktion Europas stammen von Schafen und Ziegen, und der Löwenanteil davon wird in Südeuropa erzeugt. Griechenland, Spanien, Frankreich, Rumänien und Italien liefern zusammen über neunzig Prozent der europäischen Ziegenmilch. Dort gehört sie ganz selbstverständlich zum kulinarischen Alltag.

Herrlich unaufgeregt
In Griechenland ist Ziegenmilch unter anderem die Grundlage für einige Fetasorten, in Spanien heißen die regionalen Sorten Garrotxa oder Majorero, in Italien gibt es unzählige Varianten, berühmt ist aber vor allem der Pecorino, und die französische Ziegenkäserolle kennt tatsächlich fast jeder. In diesen Ländern ist die Ziege Teil der Landschaft und der Kultur, man riecht sie auf abgelegenen Almen, man hört ihr Glockengeläut, man trifft sie auf kleinen Straßen an und man schmeckt sie im Käse oder in rustikalen Eintöpfen. Dort vermittelt sie uns Entschleunigung, dort ist sie so herrlich unaufgeregt, einfach, aber nicht armselig, sondern vollendet.
Ähnlich wie bei den Milchprodukten sieht es beim Fleisch aus: Ziegenfleisch ist hierzulande ein Nischenprodukt, etwas für ethnische Märkte oder neugierige Feinschmecker. Dabei hat es eine hervorragende Qualität; es ist mild, eiweißreich und fettarm. Nur: Es fehlt die Gewohnheit. Der durchschnittliche Deutsche isst pro Jahr etwa 55 Kilogramm Schwein, 14 Kilogramm Geflügel, aber kaum 100 Gramm Ziege. Der Markt ist so klein, dass man ihn in den Statistiken meist unter „Sonstiges“ findet, ein Wort, das fast schon zum Symbol für die Stellung der Ziege geworden ist – wie traurig.
Dass die Ziege trotzdem überlebt, liegt an ihrer Anpassungsfähigkeit. Sie braucht keinen Luxus, keinen Stall mit Klimasteuerung, keinen Sojaimport. Sie frisst, was wächst, und verwandelt es in Milch und Käse. Die Tiere sind robust und genügsam, ihre Verdauung robust, ihr Wesen eigenwillig. Vielleicht ist es gerade dieser Eigensinn, der sie aus dem Rampenlicht fernhält: Ziegen lassen sich nicht so einfach einordnen, nicht so leicht kontrollieren. Sie springen über Zäune, klettern auf Dächer, ignorieren Regeln. Ein Schwein bleibt im Stall, eine Kuh bleibt auf der Weide, aber eine Ziege tut, was sie will.
Und doch wäre sie prädestiniert für eine Zeit, in der Landwirtschaft wieder kleinräumiger, vielfältiger, nachhaltiger gedacht wird. Ziegen könnten helfen, verwilderte Flächen zu pflegen, regionale Wirtschaftskreisläufe zu schließen, gesunde Milchprodukte herzustellen. Ein schönes Beispiel für die unterschätzten Fähigkeiten der Ziege lieferte kürzlich die englische Fernsehlegende Jeremy Clarkson in seiner Amazon Prime-Serie „Clarkson’s Farm“: Als weder Traktor noch Mähraupe die von Brombeerbüschen überwucherte Fläche bändigen konnten, löste schließlich eine Herde Ziegen das Problem – gründlich, effizient und mit jener stoischen Selbstverständlichkeit, die Ziegen schon immer auszeichnet.
Kulinarisch hat die Ziege weit mehr zu bieten, als ihr Ruf vermuten lässt. Ihr Fleisch ist zart, mager und aromatisch, irgendwo zwischen Lamm und Reh, aber mit eigener Würze. In Südfrankreich schmort man sie als Chevreau au vin blanc, auf Sizilien landet sie mit Tomaten, Oliven und Kräutern im Schmortopf, in Griechenland wird sie als Katsikaki sto fourno mit Zitrone und Oregano im Ofen gegart. Und wer einmal ein in Apfelmost geschmortes Zicklein mit Älbler-Linsen und Spätzle auf der Schwäbischen Alb gegessen hat, der weiß, wie extravagant bäuerliche Küche sein kann.

Zicklein geschmort in Märkischem Cidre mit Spätzle und Apfel-Linsen-Salat
Zutaten (für ca. 4 Personen)
Für das Zicklein: ca. 1,5 kg Zicklein-Schulter oder -Keule (in grobe Stücke geschnitten, zu bekommen bei ausgewählten Metzgern oder direkt vom Erzeuger, etwa dem Capriolenhof), 2 EL Öl zum Anbraten, 2 große Zwiebeln, grob gewürfelt, 2 Knoblauchzehen, angedrückt, 1 Zweig Rosmarin, 3 Zweige Thymian, 2 Lorbeerblätter, 250 ml märkischer Cidre (alternativ naturtrüber Apfelsaft), 250 ml Kalbsfond (oder milder Geflügelfond), 1 EL Apfelessig, 1 TL Honig, Salz, Pfeffer
Für den Linsensalat: 200 g Älbler-Linsen, 1 kleine rote Zwiebel, fein gewürfelt, 1 kleiner Apfel, in feine Würfel geschnitten, 1 kleines Stück Lauch (etwa 10 cm), in feine Ringe geschnitten, 1 kleine Karotte, fein gewürfelt, 3 EL Apfelessig, 4 EL kaltgepresstes Rapsöl, 2 TL grober Senf, Salz, Pfeffer, etwas frischer Majoran oder Petersilie
Für die Spätzle: 300 g Mehl (Typ 405), 4 Eier, 80 ml Wasser oder Milch, 1 Prise Salz, Butter zum Schwenken
Zubereitung: Zuerst das Fleisch vorbereiten: Die Zicklein-Stücke salzen, pfeffern und in heißem Öl in einem schweren Schmortopf rundum kräftig anbraten, bis sie Farbe angenommen haben. Dann die Zwiebeln und den Knoblauch zufügen und kurz mitrösten, bis sie leicht karamellisieren. Anschließend den Honig dazugeben, mit dem Cidre ablöschen und den Bratensatz sorgfältig lösen. Nun den Kalbsfond angießen, die Kräuter und Lorbeerblätter einlegen und den Deckel schließen.
Jetzt das Ganze bei milder Hitze etwa 2 Stunden schmoren lassen, bis das Fleisch weich und saftig ist. Zwischendurch gelegentlich wenden und, falls nötig, etwas Flüssigkeit nachgießen. Gegen Ende den Apfelessig hinzufügen, um dem Gericht eine feine, frische Säure zu verleihen. Dann den Deckel abnehmen und die Sauce so lange einkochen lassen, bis sie ordentlich eingedickt ist.
Während das Zicklein schmort, die Linsen in reichlich ungesalzenem Wasser etwa 25 Minuten weich kochen (bitte Packungsangaben berücksichtigen, gelegentlich dauert es deutlich länger). Anschließend abgießen und etwas abkühlen lassen. Inzwischen die rote Zwiebel, den Apfel, den Lauch und die Karotte fein schneiden und dann in einer Pfanne mit einer Flocke Butter anschwitzen. Dann in eine Schüssel geben, die Linsen hinzufügen, mit Apfelessig, Öl, Senf, Salz, Pfeffer und Majoran abschmecken und lauwarm durchziehen lassen, so verbinden sich die Aromen besonders gut.


