Was hätte Wolfram Siebeck wohl über Giuseppe Moi zu Papier gebracht? Sicherlich nicht, dass die Austerntheke in einem Charlottenburger Hinterhof zu seinen Lieblingsplätzen gehört, wie Deutschlands bekanntester und vor einigen Jahren verstorbener Restaurantkritiker einst über jenen Teil der sechsten Etage des KaDeWe anmerkte. Weil, wer dort zwischen Creuse, Lijmford und Loch Fyne Austern zu unterscheiden wisse, schrieb Siebeck weiter, könne kein ganz schlechter Mensch sein.
Nun besteht die „Austerntheke“ in besagtem Hinterhof aus nicht mehr als einem rohen Holztisch, auf dem lediglich eine Sorte in einer Schachtel kredenzt wird.
Moi und seine Entourage nehmen sich reihum eine Muschel, pressen einen Spritzer Saft aus der Zitrone darüber und schlürfen ihr Amuse-Gueule aus. Heruntergespült wird mit Riesling, aus Pappbechern, versteht sich. Einer von Mois Mitstreitern probiert zum ersten Mal eine Auster, verzieht ein wenig das Gesicht und spuckt Teile davon wieder aus. Kurzes Gelächter.
Rap zum Rezept: Giuseppe Moi 100.000 Follower bei Instagram
Sekunden später kommt einer von Mois Freunden mit einem Topf voll Wasser aus der Kneipe zurück, die auf der Vorderseite des Hauses im Erdgeschoss beheimatet ist. „Ich küss doch dein Herz“, sagt Moi in Richtung des Kumpels, und man bekommt einen ersten Eindruck davon, welche Sprache hier gesprochen wird. „Eine positive“, sagt Moi, denn „Straße bedeutet ja nicht immer Kriminalität“. Er halte sich aus allen Problemen raus, sei einfach nur der Koch. „Wenn ich jedoch nicht kochen würde, würde ich wahrscheinlich Drogen verkaufen“, sagt Moi, halb im Scherz in Hinblick auf die Klischees, die sich über bestimmte Viertel der Stadt hartnäckig halten.
Er kocht lieber. Der Strom für die Elektrokochplatte kommt dabei aus einer Kabeltrommel, deren Kabel an der Hauswand entlang über ein offenes Fenster in den zweiten Stock einer Wohnung führt. Moi kramt in einer Lidl-Tüte nach einem Schneebesen, findet ihn nach einiger Zeit unter der Austernschachtel auf dem Holztisch. Weniger Glück hat er bei den Avocados. Moi hat vergessen, welche zu besorgen, und muss noch einmal los. Dass er etwas nachkaufen müsse, passiere häufiger.
Dass diese Szenerie eine Quelle kulinarischer Freuden ist, glaubt man erst so richtig, wenn man Mois Speisen gekostet hat. Oder seine zusammengebastelten Videos auf Instagram sieht. Dort beispielsweise schauen Gio1Neun – die Zahlenkombination steht für die Postleitzahl des Charlottenburger Kiezes, aus dem Moi stammt – inzwischen über 100.000 Menschen dabei zu. Das Besondere an seinen kurzen Clips: Moi rappt die Rezepte und Zubereitungen seiner Gerichte im Anschluss über das Videomaterial. Dabei garniert er beinahe jeden zweiten Satz am Ende mit den Worten „Abonnier mich“, was als seine Trademark angesehen werden kann.

Wer Mois Rezepte nachkochen will, muss seine Videos in voller Länge anschauen. „Wenn ich die Rezepte posten würde, machen meine Follower einen Screenshot davon und gucken meine Videos nicht zweimal“, erklärt Moi seine Strategie. Es ist wohl die einzige, die sich der 32-Jährige vorab rund um seinen Food-Kanal zurechtgelegt hat. Er treffe Entscheidungen oft aus dem Bauch heraus, mache sich nicht allzu viele Gedanken. Eher lebt er in den Tag, kocht mehrmals wöchentlich ab dem frühen Nachmittag im Hinterhof eines Hauses für Freunde und Bekannte.
Warum all das so gut bei seinen Followern ankommt? „Weil es echt ist, weil es anders ist“, sagt Moi. „Gutes Essen, abgefuckte Kulisse, es sind die Kontraste.“ Diese ziehen sich, wenn auch hier und da in unterschiedlicher Ausprägung, durch das Leben von Moi.
Mit 13 absolviert er sein erstes Praktikum als Koch, später macht er sowohl eine Ausbildung als Koch als auch als Tontechniker, um anschließend doch erst mal auf einer Baustelle zu arbeiten. Von der Gastronomie hat er die „Schnauze voll“, zudem erkennt er, dass seine Berufung auch nicht darin liegt, Tontechniker zu sein. Beides hilft ihm jedoch für seine heutigen Videos. Und seine Liebe zum HipHop.
„Ich komme aus der HipHop-Kultur“ sagt Moi. Er fängt im Alter von neun Jahren mit Breakdance an, malt wenig später erste Graffitis, gelangt auch an Turntables und bleibt dann am Rap hängen. An sein erstes Kochvideo, das vom Oktober 2017 datiert und das man noch auf seinem Kanal findet, wenn man entsprechend nach unten scrollt, kann sich Moi noch gut erinnern. Es gab Lammburger mit Ziegenkäse und Feige. „Die Kombination war voll geil, safe“, sagt er. „Ich hatte damals schon die Idee, Kochvideos mit eigenen Beats zu machen.“
Bis Moi Videos wie am Fließband nachlegt, dauert es aber noch mal fast fünf Jahre. Die Beats stammen dabei vom Produzenten Nesto, der an diesem Nachmittag auch in der Runde anwesend ist und Moi insbesondere für seine erstklassigen Mayonnaisen lobt.
Zwei Tage Arbeit für einen Clip
Für die trennt Moi nun Eigelb, das Eiweiß fließt auf eine bereits benutzte Essschale. Moi plant einen Garnelen-Avocado-Cocktail, den er in einer ausgehöhlten Grapefruit servieren möchte. Die Garnelen hat er bereits in jenem Wasser erhitzt, das sein Kumpel von der Kneipentoilette geholt hat, und die Avocados in mundgerechte Stücke gewürfelt. Die Kombination schmeckt so frisch und fruchtig, dass einer von Mois Kumpels, der gerade eben erst dazugestoßen ist, in die Runde wirft: „Ich glaube, ich werde mir nie wieder die Zähne putzen.“
Überhaupt ist es im Hinterhof ein Kommen und Gehen. Immer wieder verschwinden manche, kehren mit Küchenutensilien in der Hand oder Joint im Mund wieder oder laufen telefonierend durch den Hinterhof. Moi bleibt bei dem ganzen Getöse entspannt. Nervös macht ihn nur der Gedanke daran, dass er das Essen für seine Jungs versauen könnte. Diese Möglichkeit besteht gerade beim Hauptgang.

Moi will Gnocchi mit einer fruchtigen Tomatensoße auf die Pappschälchen bringen. Gnocchi macht er, trotz seiner italienischen Wurzeln, heute erst zum zweiten Mal in seinem Leben. Bereits gekochte Kartoffeln, Ei, Mehl, Salz, Parmesan – mehr braucht es für ihn nicht. Als sich mit einer Kartoffelpresse nicht die gewünschte Konsistenz erreichen lässt, hilft Moi mit einem Stampfer nach. Einer seiner Kollegen hat ihn aus seiner Küche geholt.
Bei der Tomatensoße hingegen gibt es für Moi nichts mehr zu retten. Sie ist ihm ein wenig angebrannt, für Moi kein akzeptables Ergebnis. Er überlegt kurz und improvisiert dann mit zwei Päckchen Butter und einem wohlschmeckenden Kraut: Moi schwenkt seine Gnocchi nun in Salbeibutter. Noch ein wenig nachsalzen, fertig.
Küche und HipHop: Giuseppe Moi hat bereits bei Sido vorgekocht
„Wo steht das Olivenöl?“, fragt einer der Kumpels. „Auf dem Boden neben dem Wasser zum Händewaschen“, antwortet Moi, und man ist geneigt, das Wortspiel zu machen, dass Moi hier eine bodenständige Küche präsentiert. Als Fine-Dining-Pionier sieht er sich auf keinen Fall. Vielleich ist das hier auch eine Location für eine neue Folge der TV-Sendung „Kitchen Impossible“? „Ach Quatsch“, sagt Moi. „Ich denke, hier könnte jeder kochen. Was mich von anderen unterscheidet, ist die Art und Weise, wie ich meine Videos präsentiere.“
Rein von den Clips leben kann Moi derzeit noch nicht, etwa zwei Tage braucht er von der Vorbereitung bis zu den abschließenden Voiceovers. In Zukunft sind jedoch einige Kooperationen geplant, die ihm eine wirtschaftliche Grundlage bieten sollen. Denkbar wären auch eigene Produkte. Ein Restaurant zu führen, reizt Moi indes nicht, weil er dann dauerhaft an einen Ort gebunden wäre. Lieber will er die gesamte HipHop-Szene in den Charlottenburger Hinterhof holen. Zwar kam Sido bislang nicht persönlich vorbei, Moi durfte dafür aber beim Rapstar zu Hause vorkochen.








