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Witze über Latinos bei Trump: Humor auf der falschen Bühne

Comedian Tony Hinchcliffe reißt auf einem Trump-Podium derbe Witze über Puerto-Ricaner. Ist das eine Form von Hass? Unser Autor, Doktorand der Columbia University, schätzt die Lage ein.

Tony Hinchcliffe spricht vor dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im Madison Square Garden in New York.
Tony Hinchcliffe spricht vor dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung im Madison Square Garden in New York.Evan Vucci/AP/dpa

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Letztlich ist es vielleicht gar nicht absurd, sondern schon geradezu erwartbar, dass in der präapokalyptischen Zeit, in der wir leben, nun wieder einem Hofnarren die Rolle des Königsmachers zukommen könnte. Dies wäre tatsächlich der Fall, sollte es geschehen, dass manche der zahlreichen puerto-ricanischstämmigen Wähler im größten US-Swing-State Pennsylvania sich von der „unerhörten Begebenheit“, die sich am Sonntagabend bei Donald Trumps letzter großer Wahlkampf-Kundgebung im New Yorker Madison Square Garden zutrug, so sehr vor den Kopf gestoßen fühlen, dass sie nun ins Lager von Kamala Harris wechseln – gesetzt den Fall, dass sie vorher überhaupt geplant hatten, für Trump zu votieren oder der Wahl fernzubleiben.

Einer der Vorredner Trumps, der Comedian Tony Hinchcliffe, war wohl engagiert worden, um das Publikum etwas „in Stimmung zu bringen“. Während seines Auftritts fragte Hinchcliffe seine Zuhörer, ob sie wüssten, dass es eine mitten im Ozean schwimmende („floating“) Müllinsel („island of garbage“) gebe, und fügte dann hinzu: „Ich glaube, man nennt sie Puerto Rico.“

Es ist bezeichnend, dass diese Äußerung selbst vielen der anwesenden, hartgesottenen Republikaner kein heiteres Lachen, sondern unangenehm berührte Stoßseufzer abnötigte. Wie die Reaktionen der Demokraten ausfielen, muss wohl kaum erwähnt werden, während auch einige puerto-ricanisch(stämmig)e Prominente – darunter die Superstars Bad Bunny, Jennifer Lopez und Ricky Martin – vor Wut schäumten und sich (noch einmal) klar zu Harris bekannten.

Die Frage ist: Was dachte sich das Trump-Team dabei?

Die große Frage ist aber eher: Was dachte sich das Trump-Team dabei? Und was dachte sich Hinchcliffe? Letzterer ist in den USA vor allem als „Insult Comic“ oder „Roast Comic“ bekannt, als Komiker, dessen Hauptziel es ist, bei seinen Auftritten so beleidigend und bewusst übertrieben geschmacklos zu sein wie möglich. Bei der Roast Comedy – bei der die „Opfer“ der Witze also metaphorisch geröstet oder verbrannt werden sollen – handelt es sich meist nicht um bloßen Sadismus, sondern um Sado-Masochismus, weil die Roasts in der Regel reziprok sind: Der eine roastet den anderen, und der schlägt zurück, so etwa bei den vielfach auf YouTube übertragenen und auch in Comedyclubs organisierten „Roast Battles“.

Man hat immer wieder versucht, solche Roasts auch im deutschsprachigen Raum beliebt beziehungsweise salonfähig zu machen, was bisher aber offenkundig nicht wirklich gelungen ist. In den USA hingegen werden professionelle und durchkommerzialisierte Roasts, bei denen ein Prominenter das Hauptopfer ist (z.B. Bruce Willis, Justin Bieber, Pamela Anderson, David Hasselhoff oder auch – vor seiner Politikerkarriere – Donald Trump persönlich) oft von einem Millionenpublikum mit Begeisterung geschaut.

Der letzte große Roast (Football-Superstar Tom Brady stand im Fokus) wurde im Frühling dieses Jahres sogar von Netflix organisiert. Und es war bei diesem Event, dass der vorher eher nur bei Comedy-Fans bekannte Hinchcliffe zum ersten Mal einem größeren Mainstream-Publikum gegenüberstand.

Im Frühling wurde Hinchcliffe noch gefeiert

Bei dem Brady-Roast funktionierte das überraschend gut. Gegenüber den Witzen, die Hinchcliffe dort vom Stapel ließ und die sich gegen alle nur erdenklichen Menschengruppen richteten (auch gegen Weiße), erscheinen der Puerto-Rico-Spruch und andere Zoten vom Sonntag noch geradezu harmlos. Der Unterschied: Im Frühling wurde Hinchcliffe dafür eher gefeiert und die Bereitschaft aufseiten von Netflix, ihn überhaupt auftreten zu lassen, selbst von eher neutralen Beobachtern als Zeichen dafür gewertet, dass die Post-Woke-Ära nun auch bei den großen Streamingdiensten angebrochen sei.

Manche Verteidiger Hinchcliffes argumentieren daher, dass die Aufregung und Kritik, die nach seinem Auftritt vom Sonntag geäußert worden sind, einen Rückschritt ins halbwegs überwunden geglaubte Zeitalter der puritanischen Humorlosigkeit bedeuteten. Doch eine solche Argumentation unterschlägt natürlich den zentralen Umstand, dass Hinchcliffe am Sonntag nicht vor einem Roastcomedy-Publikum, sondern im Rahmen einer Wahlkampfveranstaltung aufgetreten ist, bei der Comedians sonst, wenn sie überhaupt dort in Erscheinung treten, hochgradig zahmes und vorher von den Organisatoren geprüftes Material zum Besten geben.

Einige Beobachter machen sich über die Republikaner lustig

Deshalb zurück zu unserer Eingangsfrage: Was dachte sich das Team von Trump und was dachte sich Hinchcliffe dabei? Das wird sich in den nächsten Tagen vielleicht noch genauer klären, doch bisher gibt es dahingehend natürlich verschiedene Hypothesen, und es ist durchaus verlockend, selbst bei diesem Ratespiel mitzumachen.

So könnte es sein, dass das Trump-Team vergessen hat, Hinchcliffes Witze vorher zu überprüfen, was eine geradezu grobe „Sicherheitspanne“ darstellen würde. Einige Beobachter, darunter Jon Stewart, der in den USA äußert einflussreiche Host der klar linksorientierten Comedy-Newssatire „Daily Show“ (die glücklicherweise nicht den grausigen Spießerhumor ihrer Welke’schen Kopie, der „heute-show“, teilt), nehmen daher auch weniger Hinchcliffe in die Verantwortung, als sich über die vermeintliche Naivität der Republikaner lustig zu machen: Wenn man ausgerechnet einen der radikalsten Roastcomedians einlade, müsse doch klar sein, was dieser dann von sich geben würde.

Vielleicht war das Trump-Team aber auch vollends darüber im Bilde, dass Hinchcliffe entweder dieselben oder eben ähnliche Witze bringen würde – ohne dafür aber mit einer solchen Reaktion gerechnet zu haben. Oder man hat, so könnte man konspirativ weiterspinnen, genau auf diese wütenden Reaktionen gehofft, um angesichts dessen nun wieder ein Lied davon singen zu können, dass die Demokraten sich an Oberflächlichkeiten wie geschmacklosen Witzen abarbeiteten, anstatt sich um „die wirklichen Probleme“ der Gesellschaft zu kümmern.

Auch eine Trump-Pressesprecherin distanziert sich

Dass die Republikaner all das wirklich schon einkalkuliert hatten, ist aber eher zweifelhaft, weil sich nun selbst eine offizielle Trump-Pressesprecherin von Hinchcliffe distanziert hat (dessen Äußerungen spiegelten nicht die Meinung von Trump selbst wider). Trump selbst legte nach, er kenne Hinchchliffe nicht und habe auch seinen Auftritt nicht gesehen.

Superstar Bad Bunny (mit Hut) vor etwas mehr als zwei Jahren bei der 65. Puerto Rican Day Parade in New York
Superstar Bad Bunny (mit Hut) vor etwas mehr als zwei Jahren bei der 65. Puerto Rican Day Parade in New YorkZuma Press Wire/Imago

Es ist also eher davon auszugehen, dass es sich hier um ein Eigentor der Republikaner handelt, die ja eigentlich gerade in diesem Wahlkampf – durchaus erfolgreich – versucht haben, Anleihen bei Latinos und Afroamerikanern zu machen und daher zu offensichtlichen Rassismus zu vermeiden.

Und Hinchchliffe selbst? Der äußerte sich auf X beleidigt darüber, dass unter anderem der demokratische Vizepräsidentenkandidat Tim Walz ihm Rassismus vorgeworfen hat. Dieser habe keinen Sinn für Humor und Hinchcliffes Puerto-Rico-Witz aus dem Kontext gerissen. So zeigt sich denn auch, dass es für Hinchcliffe den oben genannten Kontextunterschied zwischen Comedyclub und politischer Kundgebung wohl nicht gibt.

Das mag erklären, warum er sich am Sonntag noch auf der Bühne verwundert über die eher sparsamen Reaktionen im Saal zeigte – als wäre das dortige Publikum ein speziell für brutale Comedy erschienenes, das sich nun nicht beschweren dürfe, wenn es auch mal hart zur Sache geht.

Stattdessen wird Hinchcliffe nun von etlichen Demokraten als hassenswerter, Trump fast noch überbietender Rassist bezeichnet, der die Bewohner einer ganzen Insel als Müll bezeichnet und damit vollends entmenschlicht habe, letztlich aber auch nur das ausgesprochen habe, was ja eh alle Republikaner insgeheim dächten (allerdings ist die Kritik an Hinchcliffe selbst von republikanischer Seite stark).

Hinchcliffe ist mit Sicherheit kein hartherziger Rassist

Wenn man die Karriere des Tony Hinchcliffe schon länger verfolgt (wie es der Autor dieser Zeilen getan hat), kann man über seinen Auftritt am Sonntag durchaus ein wenig traurig werden. Seine YouTube-Show „Kill Tony“, die in den letzten Jahren stetig beliebter geworden ist und inzwischen, vor allem seit dem Brady-Roast, ein Millionenpublikum erreicht, bietet jungen, unerfahrenen Comedians die Möglichkeit, sich auf einer größeren Bühne zu präsentieren und sich im Business zu etablieren. Unter den von Hinchcliffe Geförderten gibt es auch zahlreiche People of Color, Transpersonen und Schwerbehinderte, die zwar im Sinne des reziproken Roastings einiges abbekommen, aber dies zuweilen sogar als Zeichen dafür werten, dass im Comedybetrieb alle gleich sind, frei nach Somuncus Motto, dass jede Minderheit ein Recht darauf habe, diskriminiert zu werden.

Bei ihrem Auftritt in der Halbzeitpause des Super Bowls LIV gibt Jennifer Lopez einen eindeutigen Hinweis auf ihre Herkunft. 
Bei ihrem Auftritt in der Halbzeitpause des Super Bowls LIV gibt Jennifer Lopez einen eindeutigen Hinweis auf ihre Herkunft. Zuma Press Wire/Imago

Hinchcliffe ist also mit Sicherheit kein hartherziger Rassist und man darf ihm gerne glauben, dass er die Puerto-Ricaner nicht „wirklich“ beleidigen wollte. Doch nicht wahrhaben oder anerkennen zu wollen, dass Roastcomedy bei einer politischen Veranstaltung gänzlich verschieden wirkt als im „safe space“ des Comedyclubs, und dass das, was in Letzterem sogar die Inklusion vorantreiben mag, im Kontext der Ersteren schlicht beleidigend und kaltherzig erscheint, ist entweder äußerst kurzsichtig oder absolut fahrlässig und damit vielleicht doch ein allzu wohlfeiles, mutwilliges Augenverschließen vor der Wirklichkeit, in der wir leben.

Das alles hinterlässt einen üblen Nachgeschmack

Natürlich ist es auch möglich, dass Hinchcliffe sich all diese Reaktionen genauso erhofft hat: So ist er, der vorher immer noch ein Insider-Tipp war, nun in aller Munde und wird zumindest bei den Trump-Anhängern womöglich als Märtyrer gefeiert werden. Dass er aber als einer jener Comedians, die sonst eher das kritisch-sezierende Über-dem-Politischen-Schwebende des Humors herausstellen, sich zum einen so plakativ vor den Trump’schen Karren spannen lässt und bei dessen Veranstaltung auftritt, und zum anderen dann noch eine Performance hinlegt, die selbst beim allerbesten Willen kaum mehr als augenzwinkernd interpretiert werden kann, hinterlässt mehr als einen üblen Nachgeschmack.

Niklas Straetker promoviert an der Columbia University in the City of New York in Literaturwissenschaften und lebt in Berlin.

Das ist ein Beitrag, der im Rahmen unserer Open-Source-Initiative eingereicht wurde. Mit Open Source gibt der Berliner Verlag allen Interessierten die Möglichkeit, Texte mit inhaltlicher Relevanz und professionellen Qualitätsstandards anzubieten. Ausgewählte Beiträge werden veröffentlicht und honoriert.

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