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Am 21. Mai 2024 lehnte das spanische Parlament nach einer langjährigen Debatte ein Verbot der Prostitution in der Form eines „Sexkaufverbots“ ab. Noch im Herbst 2021 hatte sich sogar der spanische Premierminister Pedro Sánchez für das Verbot ausgesprochen und damit eine breite Diskussion über die Rechte und den Schutz von Sexarbeitenden ausgelöst. Die Initiative für das Verbot kam aus den Reihen der Sozialistischen Partei (PSOE), die seit 2018 an der Regierung ist.
Der Gesetzentwurf zielte darauf ab, Menschenhandel und Prostitution durch härtere Strafgesetze zu bekämpfen. Das Problem war, dass die PSOE, wie andere Anti-Prostitutions-Bewegungen weltweit, Prostitution mit Menschenhandel gleichsetzt und glaubt, dass härtere Strafen für Kunden und die Kriminalisierung der Vermietung von Räumlichkeiten für Prostitution notwendig seien, um die Ausbeutung von Frauen zu verhindern. Die sozialistische Abgeordnete Andrea Fernández Benéitez verteidigte das Verbot in ihrer Rede im Parlament damit, dass Prostitution niemals selbstbestimmt sein könne.

Der Gesetzentwurf zur Verschärfung des Strafrechts gegen Zuhälterei stieß im spanischen Parlament auf heftige Kritik. Abgeordnete verschiedener Parteien warnten davor, dass das Gesetz die ohnehin prekäre Situation von Sexarbeitenden weiter verschlechtern könnte. Vor allem Vertreter des links-grünen Bündnisses Unidas Podemos, des separatistischen linken Euskal Herria Bildu und liberalen Junts per Catalunya argumentierten, dass die Ausweitung des Begriffs „Zuhälterei“ und die Verfolgung von Kunden Sexarbeit in die Illegalität drängen und damit die Sicherheit und Existenzgrundlage der Betroffenen massiv gefährden würden. Diese Maßnahmen, so die Befürchtung, könnten Sexarbeitende in eine noch stärkere Marginalisierung und Abhängigkeit von kriminellen Netzwerken treiben.
Die Abgeordnete Pozueta Fernández von Euskal Herria Bildu machte während der Debatte deutlich, dass Menschenhandel und Prostitution nicht gleichgesetzt werden dürften. Sie betonte, dass ihre Fraktion entschlossen gegen Menschenhandel vorgehe, aber Sexarbeit nicht durch das Strafrecht geregelt werden sollte. Ein solcher Ansatz sei der falsche Weg.
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Stattdessen brauche es eine umfassende Gesetzgebung, die soziale Schutzmechanismen, berufliche Integration, Zugang zu Wohnraum und Unterstützungsangeboten für Sexarbeitende beinhalte. Fernández forderte eine breite Debatte und vor allem die Einbeziehung der betroffenen Sexarbeitenden, um ihre Perspektiven und Bedürfnisse zu verstehen, bevor über ihre Zukunft entschieden werde.
Die Realität der Prostitution in Spanien ist komplex. Eine rechtliche Regulierung gibt es nicht. Wie zahlreiche europäische Länder hat auch Spanien die Prostitution bewusst unreguliert gelassen, um dem Gewerbe keinen Vorschub zu leisten. Doch dadurch sind Sexarbeitende auch rechtlos – gegenüber Kunden, wenn diese z.B. nicht zahlen wollen, aber auch gegenüber denen, die Arbeitsräume vermieten, weil es keine Regeln dafür gibt.
Die Ursachen bekämpfen: wirtschaftliche Not, illegaler Migrationsstatus
Viele der Betroffenen sind Migrantinnen, die aufgrund ihrer rechtlichen und sozialen Situation in die Prostitution gedrängt werden. Es bedarf eines umfassenden sozialpolitischen Ansatzes, der die Ursachen der Prostitution, wie wirtschaftliche Not und illegalen Migrationsstatus, bekämpft. Dies erfordert Reformen in der Migrationspolitik, Zugang zu Bildung und wirtschaftliche Unterstützung, um den Betroffenen echte Alternativen zu bieten. Ein Verbot, wie es die PSOE forderte, ändert nichts an der Rechtlosigkeit, sondern verstärkt lediglich die Kriminalisierung des Umfeldes, in dem Sexarbeit stattfindet.

Wissenschaftlerinnen, Menschenrechtsorganisationen sowie Organisationen gegen Menschenhandel betonen immer wieder, dass zwischen Menschenhandel und Prostitution bzw. Sexarbeit zu unterscheiden ist. Die Gleichsetzung dieser beiden unterschiedlichen Sachverhalte durch die PSOE verschleiert nicht nur die sozio-ökonomische Dimension der Sexarbeit, sondern missachtet auch die Autonomie und Rechte von Sexarbeitenden und trägt zur weiteren Stigmatisierung und Kriminalisierung dieser Berufsgruppe bei.
Menschenhandel ist eine Straftat, bei der Menschen unter Zwang und oft unter Anwendung von Täuschung und Gewalt nicht nur in der Prostitution, sondern auch in zahlreichen anderen Branchen (Bau, Landwirtschaft, Haushalt, Pflege usw.) ausgebeutet werden. Prostitution bzw. Sexarbeit hingegen ist eine Form der Arbeit, bei der sich Erwachsene bewusst dazu entschließen, sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung anzubieten. Nicht die Art der Arbeit macht den Menschenhandel aus, sondern die Art der Ausbeutung.
Die ökonomischen Zwänge, die Menschen in die Sexarbeit drängen, sind aber die gleichen ökonomischen Zwänge, die zahlreiche Migranten und Migrantinnen in die Pflege, die Reinigungsindustrie, in die Landwirtschaft auf Spargel-, Erdbeer- und Gemüsefelder treiben. Auch dort grassieren Ausbeutung und (sexuelle) Gewalt. Es sind oft auch die gleichen Menschen, die zwischen diesen Branchen wechseln. Sexarbeit unter Bedingungen ökonomischer Prekarität ist dabei genauso (un-)freiwillig wie andere Jobs, die Menschen in Armut ausüben.
Es ist daher auch kein Zufall, dass prekäre Arbeitsbedingungen in diesen anderen Branchen für viele Frauen den Hauptgrund für die Sexarbeit darstellen. Aber wenn es um diese anderen Branchen geht, werden häufig bessere Löhne und Arbeitsrechte gefordert. Bei Sexarbeit hingegen fordern Menschen ein Vergütungsverbot, ein Verbot, Arbeitsorte zu mieten – also eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Dass die Kriminalisierung der Kunden an der Armut zahlreicher Sexarbeitender nichts ändert, ist offensichtlich. Denn Armut bekämpft man durch Sozialpolitik, bessere Löhne in anderen Jobs und durch den Abbau globaler Ungleichheiten.

Kriminalisierung erhöht Gefahr für Ausbeutung
Eine kriminalisierende Gesetzgebung trägt nicht zur Verbesserung der Lebensbedingungen von Sexarbeitenden bei, sondern erhöht die Gefahr für Ausbeutung und Menschenrechtsverletzungen. Stattdessen sollten Maßnahmen ergriffen werden, die ihre Rechte stärken und ihnen Alternativen bieten. Dazu gehört der Zugang zu Gesundheitsdiensten, rechtlicher und ökonomischer Unterstützung. Die Kriminalisierung von Kunden und Arbeitsorten verstärkt die Stigmatisierung und erschwert den Zugang zu Unterstützungsangeboten.
Erfahrungen aus Ländern wie Norwegen, Schweden und Frankreich, die ähnliche Gesetze eingeführt haben, zeigen, dass die Kriminalisierung von Kunden die Situation von Sexarbeitenden oft verschlechtert. In Frankreich ist zudem seit Einführung der Kundenkriminalisierung ein massiver Anstieg der Prostitution Minderjähriger zu verzeichnen. Anstatt die Nachfrage zu reduzieren, wird die Tätigkeit in gefährlichere und weniger sichtbare Bereiche verdrängt. Dies führt zu einer Zunahme von Gewalt und Ausbeutung, da Sexarbeitende in einer rechtlichen Grauzone arbeiten müssen. Erst kürzlich hat die Menschenrechtskommissarin des Europarats in einem Papier betont, dass ein Verbot – auch die Kriminalisierung der Kunden – den Prostituierten nicht hilft. Ähnlich sieht es das Hohe Kommissariat für Menschenrechte der Vereinten Nationen.
Auch innerhalb der feministischen Bewegungen hat die Gesetzesinitiative zu Spaltungen geführt. Während einige Feministinnen für die Abschaffung der Prostitution eintreten, plädieren andere für die Anerkennung der Rechte von Sexarbeitenden. Die Kriminalisierung von Kunden wird von vielen als paternalistisch und bevormundend empfunden, da sie indirekt den Sexarbeitenden die Fähigkeit abspricht, Entscheidungen über Sex und Sexarbeit treffen zu können und sie damit für unmündig erklärt.
Die Ablehnung des sogenannten Sexkaufverbots in Spanien ist ein wichtiger Erfolg für die Rechte von Sexarbeitenden. Sie zeigt, dass eine differenzierte und menschenrechtsbasierte Politik notwendig ist, um den komplexen Herausforderungen im Bereich der Prostitution zu begegnen. Mit der Ablehnung der Gleichsetzung von Menschenhandel und Prostitution hat das Parlament zugestanden, dass Verbote keine Lösung für diese vielfältige Branche sind. Ein menschenrechtsbasierter Ansatz, der auf Schutz, Unterstützung und Alternativen setzt, ist der einzige Weg, um sicherzustellen, dass die Betroffenen in Würde und Sicherheit leben können.
Es bleibt zu hoffen, dass die nächste Regierung einen solchen Ansatz verfolgen wird und endlich auch in Spanien Rahmenbedingungen für Sexarbeit schaffen wird, die im Sinne der Prostituierten sind und sie nicht von vornherein abschaffen wollen.




