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Rund um den Nürburgring wird gefeiert, als gäbe es kein Morgen. Musik wummert über den Campingplatz, der Geruch von Grillfleisch und Bier liegt schwer in der Luft. Tausende Menschen feiern: laut, ausdauernd, ausgelassen. Eigentlich steht hier der Motorsport im Mittelpunkt. Doch mitten im Trubel merke ich, dass ich mich klein mache.
Nicht, weil es zu laut oder zu eng ist. Sondern wegen der Blicke. Wegen der Sprüche. Wegen der Männergruppen, die auf ihrem selbstgebauten Thron über die Wege wachen – Mikrofon in der Hand, Lautsprecher angeschlossen, bereit für den nächsten sexistischen Kommentar, den sie Frauen hinterherrufen.
Überall hängen Darstellungen nackter Frauen an Pavillons und Bauzäunen, als gehörten sie zur Standarddekoration. An einem Fahnenmast baumelt eine aufgeblasene schwarze Sexpuppe mit grellroten Lippen und grotesken Proportionen. Auf einem Bildschirm läuft ein Porno, direkt neben dem Grill. Einige lachen, manche filmen. Niemand sagt etwas.
Ich sehe nicht nur Übergriffigkeit, die zur Unterhaltung verklärt wird, sondern auch politische Symbole, die irritieren: T-Shirts mit fragwürdigen Aufdrucken, Autos verziert mit Runen, Sprüchen und Parolen, die weniger nach Partylaune als nach rechter Gesinnung klingen. Klare Symbole fehlen oft, stattdessen wird mit Bedeutungen gespielt, Grenzen werden ausgelotet, verschoben, manchmal bewusst verwischt. Es ist nicht überall so, aber dort, wo es so ist, scheint es niemanden zu stören.
In einem Gespräch begrüßt mich ein Besucher freundlich. Endlich einmal „nur Deutsche auf einem Fleck“, sagt er, „kein einziges Kopftuch weit und breit“. Er betont sofort, kein Rassist zu sein, aber in seinen Augen lebten „viel zu wenige Deutsche“ in Deutschland. Ich hake nach, frage, was er mit „deutsch“ meine. Er zuckt mit den Schultern, nennt vage Begriffe: „Wurzeln“, „Kultur“, „Mentalität“. Es ist die Art von Gespräch, in der viel gesagt wird, ohne dass etwas Konkretes ausgesprochen wird - und genau darin liegt eine Strategie. Begriffe wie „Tradition“ oder „Heimat“ stehen im Raum, unklar umrissen, aber mit deutlicher Abgrenzung nach außen.
Es sind nicht die lauten Parolen, sondern beiläufige Gespräche
Viele hier wirken harmlos, freundlich, offen. Es sind nicht die lauten Parolen, nicht die offengezeigte Aggression, die auffallen. Es ist das Normale, das Selbstverständliche, mit dem alles geschieht. Die Leichtigkeit, mit der rechtsoffene Symbole getragen und rechte Narrative beiläufig in Gespräche gestreut werden.
Und diese Selbstverständlichkeit zeigt sich nicht nur politisch, sondern auch im Umgang mit Frauen. Auch hier werden Grenzen verschoben oder einfach ignoriert. Männer, die mir ungefragt zu nahekommen, die mir Sex anbieten, als wäre das ein willkommener Teil des Freizeitprogramms. Manche erzählen dabei beiläufig von ihren Töchtern, fast stolz, als wollten sie damit ihre Normalität unter Beweis stellen.
Später komme ich mit einer Gruppe junger Frauen ins Gespräch. Keine von uns bleibt verschont, jede hat etwas erlebt, das sich falsch anfühlt und doch ständig geschieht. Eine erzählt, wie ihr ein Fremder langsam durch die Locken strich. Ohne ein Wort, als hätte er das Recht dazu. Eine andere wurde gefragt, ob sie „auch so turnen könne wie seine Tochter“. Eine Dritte schildert, wie ein Mann nach einem kurzen Gespräch sagte, er fände es schöner, wenn sie jetzt ohne Oberteil vor ihm stünde.
Es war kein Scherz. Es war auch keine Provokation. Es war einfach gesagt, mitten im Gespräch, als wäre es nichts Besonderes.
Was uns verbindet, ist nicht nur, dass wir solche Erlebnisse teilen. Es ist die Beiläufigkeit daran. Die Selbstverständlichkeit. Die Annahme, dass so etwas Ordnung sei. Oft eingeleitet mit einem Lächeln, einem Kompliment, einem scheinbar freundlichen Ton. Und trotzdem: übergriffig. Grenzverletzend. Erniedrigend.
Frauen werden nur als Projektionsfläche gesehen
Wir reden mehrere Stunden und es wird klar: Es geht nicht um einzelne Männer oder um Alkohol. Es geht um eine Atmosphäre, in der solche Sätze Raum haben. In den Frauen nicht als Gesprächspartnerinnen gesehen werden, sondern als Projektionsfläche. Für Fantasien, für Erwartungen, für Besitzansprüche. Für Abwertung in höflicher Verpackung.
Ich verlasse das Gelände, als die letzten Töne über die Wiese hallen. Hinter mir ein Chor aus Applaus, Gelächter, Stimmen, die sich im Dunkeln verlieren. Alles wirkt friedlich. Aufgeräumt. Als wäre hier nichts gewesen außer Musik, Bier und ein bisschen Folklore.
Das Unbehagen verflüchtigt sich nicht, obwohl alles längst vorbei zu sein scheint. Nicht laut, nicht dramatisch, eher wie ein feiner Riss in der Oberfläche. Denn es nicht das Offensichtliche, das nachwirkt, sondern das, was sich tarnt: in Höflichkeit, Tradition, harmlosen Sprüchen. Und in Berührungen, die nie eingeladen waren.
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Zurück bleibt kein klarer Gedanke, sondern ein schwer greifbares Gefühl. Ein Unbehagen darüber, wie leicht sich manche Dinge sagen lassen, ohne dass jemand widerspricht. Wie schnell Grenzen verschwimmen, wenn man sie oft genug verschiebt. Und wie wenig es braucht, damit aus einem Ort der Gemeinschaft ein Ort der Ausgrenzung wird.


