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Am 8. November wurde Rodrigo Paz vereidigt, Sohn eines ehemaligen Präsidenten, der noch weiß, wie Macht riecht – eine Mischung aus kaltem Kaffee, verschwitzten Hemden und ewigen Kompromissen. Bolivien bekommt also wieder einen Paz (zu Deutsch Frieden). Es gibt Familien, die vererben Silber, andere Schulden – und manche vererben die Präsidentschaft.
Doch dieser Rodrigo ist anders. Während seine Konkurrenten Feuerwerke, Popstars und Hochglanz-Slogans zündeten, zog er los – zu Fuß, mit Handschlag, Blickkontakt und diesem leicht therapeutischen Lächeln, das sagt: „Erzählen Sie mir von Ihrer Kindheit, compañero.“ So wurde der Wahlkampf zur Gruppentherapie. Die Nation auf der Couch.
Die anderen schrien in Mikrofone, Rodrigo nickte verständnisvoll. Die anderen sprachen vom „Plan 2030“, Rodrigo fragte: „Wie fühlen Sie sich damit?“ Und siehe da – wer zuhört, gewinnt. Nicht mit Politik, sondern mit Psychologie.
Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren wird der Präsident nun nicht mehr von der linksgerichteten Partei Movimiento al Socialismo (MAS) gestellt – Rodrigo kommt aus den Reihen der konservativen Christdemokraten. Sein Vize Edmundo Lara, ein ehemaliger Polizeibeamter, der sich als Whistleblower versuchte und dabei oft klang, als hätte er mehr Adrenalin als Filter, sorgt seit Wochen für Schlagzeilen. Paz findet ihn „authentisch“, andere nennen ihn „einfach unberechenbar“.
Ein halbes Land hypnotisiert
Und plötzlich klatschten die gleichen Hände, die gestern noch „MAS“ riefen, heute für „Paz“. Er hat sie nicht überzeugt – er hat sie analysiert. Ein halbes Land hypnotisiert, die andere Hälfte andere beruhigt, und alle glauben, sie hätten ihn gewählt. Vergangene Woche wurde er vereidigt und da steht er – umgeben von Milei, dem argentinischen Apostel der Marktwirtschaft, von Peña, dem paraguayischen Banker im Präsidentenanzug, und von Boric, dem linksliberalen Idealisten aus Chile, der sich noch wundert, warum er eingeladen wurde.
Ein Trio, das symbolisch wirkt wie ein Gruppentherapieraum: rechts ein Libertärer mit chronischer Hyperaktivität, links ein Idealist in sozialem Dauerbrennen, und in der Mitte – Rodrigo Paz, ruhig, mit Notizblock und einem milden Lächeln. Er hört zu. Er nickt. Er verschreibt keine Medizin. Nur Nähe.
Seine Strategie ist keine Ideologie, sondern eine emotionale Architektur: Er baut Brücken, um darauf zu tanzen. Er lädt Rechte ein, um ihnen zuzuzwinkern, und Linke, um ihnen zu versichern, dass das Zwinkern rein professionell war.

Diagnosen statt Parolen
Von seinem Vater, Jaime Paz Zamora, hat er die Kunst geerbt, links zu reden und rechts zu regieren, aber er tut es leiser, fast therapeutisch. Er beruhigt die Märkte mit dem gleichen Tonfall, mit dem man einem nervösen Patienten sagt: „Atmen Sie tief durch – es wird nur ein kleiner Schnitt.“
Und vielleicht ist das seine größte Begabung: Während Lateinamerika in Parolen spricht, spricht er in Diagnosen. Er versteht, dass Macht heute nicht über Ideen funktioniert, sondern über emotionale Kompatibilität. Man muss kein Held mehr sein – nur jemand, dem man seine Erschöpfung anvertrauen kann.


