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„Querdenker“, „Putinversteher“: So wird Sprache zur Waffe gegen kritisches Denken

Früher galten „Querdenker“ als mutige Widerständler, heute als realitätsfern. Doch solche Bedeutungsverschiebungen hemmen den kritischen Diskurs, warnt unser Autor.

Friedensdemonstration in München im Feburar 2023, organisiert vom Bündnis „München steht auf“, das sich während der Corona-Pandemie gründete.
Friedensdemonstration in München im Feburar 2023, organisiert vom Bündnis „München steht auf“, das sich während der Corona-Pandemie gründete.Wolfgang Maria Weber/imago

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Wer heute als Querdenker bezeichnet wird, gilt meist als irrational, verschwörungsgläubig, antidemokratisch. Dabei war der Begriff historisch ein Lob: Querdenker waren Menschen, die gängige Sichtweisen infrage stellten – oft gegen Widerstand, aber im Dienst von Erkenntnis oder Gerechtigkeit. Namen wie Galileo Galilei, Rosa Luxemburg oder Edward Snowden fallen einem ein. Doch spätestens seit der Corona-Pandemie ist „Querdenker“ zur Vokabel der Herabwürdigung geworden.

Diese Bedeutungsverschiebung ist kein Zufall – sie ist Ergebnis gezielter sprachlicher Rahmung: sogenanntes Framing. Der Begriff stammt aus der Linguistik und Kommunikationspsychologie und beschreibt, wie Sprache unsere Wahrnehmung prägt. Was als „kritischer Bürger“ beginnt, wird durch Wiederholung und Kontextualisierung zum „Schwurbler“. Und die Botschaft ist klar: Wer so genannt wird, hat sich aus dem demokratischen Konsens verabschiedet – mit ihm muss man nicht mehr argumentieren.

Edward Snowden wird 2019 via Videoverbindung während des Web Summit in Lissabon interviewt.
Edward Snowden wird 2019 via Videoverbindung während des Web Summit in Lissabon interviewt.ZUMA Press/imago

Der „Verschwörungsideologe“: Zweifel als Pathologie

Ein weiteres Schlagwort, das zunehmend verwendet wird, ist „Verschwörungsideologe“. Es ersetzt den früheren Begriff „Verschwörungstheoretiker“, der bereits abwertend gemeint war. Doch was heißt das eigentlich? Meist wird damit jemand bezeichnet, der „offizielle Narrative“ zu geopolitischen oder gesellschaftlichen Ereignissen infrage stellt – ob zu 9/11, dem Krieg in der Ukraine oder dem Einfluss von Konzernen auf die Politik. Doch ist das schon ideologisch? Oder ist es nicht im Kern das, was kritisches Denken leisten soll: hinterfragen, prüfen, neue Perspektiven zulassen?

Die Abwertung durch Begriffe wie „Verschwörungsideologe“ verhindert genau das. Die Diskussion wird emotionalisiert, statt rational geführt. Zweifel wird zur Krankheit erklärt – und nicht zum notwendigen Bestandteil einer demokratischen Öffentlichkeit.

Das „System“ – eine Beschreibung, keine Verschwörung

Aber gibt es wirklich ein „System“, das ein Interesse daran hat, öffentliche Kritik kleinzuhalten? Wohl kaum als geheime Verschwörung, sondern eher in Form einer Verflechtung von Macht, Medien und Kapital – insbesondere durch westliche Finanz- und Rüstungsinteressen, die über Think-Tanks, Stiftungen und PR-Institute maßgeblich Debatten prägen.

Diese Beobachtung ist empirisch gut belegt. Studien zur Medienkonzentration zeigen, dass wenige große Akteure den öffentlichen Diskurs dominieren. Dass Sicherheits- und Rüstungsinteressen medial stark präsent sind, ist ebenfalls nachvollziehbar – sie verfügen über PR-Budgets, politische Verbindungen und strategische Narrative, die Sicherheit versprechen. Die These, dass das „System“ einen Status quo verteidigt, in dem kritische Stimmen marginalisiert werden, ist kein „Glauben“ – sie ist eine Analyse. Der Vorwurf der „Verschwörungsideologie“ dient in vielen Fällen genau dazu, solche strukturelle Kritik abzuwehren.

Bundeskanzler Friedrich Merz wird von Mark Rutte, Generalsekretär der Nato, und Dick Schoof (l.), Ministerpräsident der Niederlande, beim Nato-Gipfel empfangen.
Bundeskanzler Friedrich Merz wird von Mark Rutte, Generalsekretär der Nato, und Dick Schoof (l.), Ministerpräsident der Niederlande, beim Nato-Gipfel empfangen.Kay Nietfeld/dpa

Ein Framing zur Stabilisierung von Deutungshoheit

Der Trick besteht darin, nicht die Inhalte, sondern die Sprecher zu diskreditieren. Wer sich gegen Aufrüstung, Pandemie-Maßnahmen, US-Außenpolitik oder transnationale Machteliten äußert, landet schnell in der Ecke der Querdenker oder Verschwörungsideologen. Die individuelle Motivation spielt dabei kaum eine Rolle.

Die Strategie zielt darauf, die Deutungshoheit zu bewahren. Denn wer als irrational gilt, ist aus dem Diskurs ausgeschlossen. Wer dagegen mit Begriffen wie „Demokrat“, „wissenschaftsbasiert“ oder „Verantwortungsträger“ versehen wird, genießt Vorschussvertrauen – selbst wenn sich seine Position später als falsch herausstellt.

Der kritische Bürger als Risikofaktor?

Die traurige Ironie: Der wirklich kritische Bürger, der sowohl staatliche als auch marktwirtschaftliche Macht kritisch beleuchtet, wird oft als „radikal“ wahrgenommen – während konformistische Positionen als „vernünftig“ gelten. Doch Geschichte lehrt: Fortschritt kam oft von außen – von jenen, die gegen herrschende Überzeugungen argumentierten. Dass heute der Zweifel pathologisiert, das Hinterfragen lächerlich gemacht und Kritik an Machtinteressen als ideologisch diffamiert wird, sollte uns zu denken geben. Es geht nicht um naive Gleichsetzung aller abweichenden Meinungen mit Wahrheit – sondern darum, Diskursräume offen zu halten.

Sprache entscheidet: Wer darf überhaupt noch zweifeln? Der inflationäre Gebrauch von Kampfbegriffen wie „Schwurbler“, „Leugner“, „Verschwörungstheoretiker“, „Putinversteher“ oder „Querfront“ ist ein Warnsignal. Sie markieren nicht nur Andersdenkende – sie ersetzen Argumente durch Etiketten. Der Diskurs wird moralisch, statt sachlich geführt. Diese Entwicklung ist gefährlich. Nicht, weil jeder Zweifel automatisch berechtigt wäre – sondern weil ohne Zweifel keine demokratische Kontrolle, keine Aufklärung, kein Fortschritt möglich ist.

Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen im November 2020 vor dem Brandenburger Tor
Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen im November 2020 vor dem Brandenburger TorMarkus Wächter/Berliner Zeitung

Ein neues Verhältnis zu Kritik an Medien, Politik, Machteliten oder geopolitischen Strategien sollte nicht mit abwertenden Etiketten belegt werden. Wer Kritik delegitimiert, statt ihr zu begegnen, verhält sich nicht demokratisch, sondern autoritär. Wir brauchen eine neue Kultur des Zweifelns, die offen ist, ohne naiv zu sein – und die anerkennt: Nicht jede abweichende Meinung ist Verschwörung. Und nicht jedes Framing ist Wahrheit.

Florian Kolle lebt in München. Er verbrachte zehn Jahre in Thailand, wo er im Tourismus arbeitete, derzeit macht er eine Umschulung zum Tourismuskaufmann. Mit Beginn der Aufrüstungsdebatte und der wachsenden Kriegsgefahr in Europa engagiert er sich politisch für ein friedliches Deutschland.

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