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Wehrpflicht: Wie bereit ist die Gen Z, Deutschland kriegstüchtig zu machen?

Händeringend sucht die Bundeswehr derzeit nach freiwilligen Rekruten. Die Geschichte zeigt: Das Verhältnis der Deutschen zur Kriegsbereitschaft war immer komplex.

Rekruten des Logistikbataillons 171 üben auf dem Standortübungsplatz Burg den Zeltbau.
Rekruten des Logistikbataillons 171 üben auf dem Standortübungsplatz Burg den Zeltbau.Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

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Die Debatte um den freiwilligen Dienst an der Waffe oder Wehrpflicht dürfte nicht besonders ergebnisoffen sein, denn die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass es der Bundeswehr nicht gelungen ist, genügend Nachwuchs anzuwerben. Die geplante Erweiterung wird also zumindest einen deutlichen Pflichtanteil brauchen, denn nach dem neuen politischen Konsens über die russische Bedrohung wird eine Truppenstärke von 260.000 plus 200.000 Reservisten notwendig.

Immerhin konnte Deutschland trotz der knappen Personaldecke zwischen 2001 und 2021 in einem rotierenden System rund 93.000 Soldatinnen und Soldaten nach Afghanistan entsenden. Laut Statista sind davon 53 gefallen und mindestens 245 verwundet worden. Der Einsatz war freiwillig, allerdings lockte eine nach Gefährdungsstufen gestaffelte steuerfreie Zulage zum Sold von 48 bis zu 145 Euro pro Tag.

Auf der Seite der Alliierten kämpften erhebliche Kontingente von Söldnern, gestellt von den großen Private Military Companies (PMCs), mit Tagesgagen von 1000 Dollar und mehr. Mithilfe des Sondervermögens könnte die Bundeswehr eine wesentlich attraktivere Vergütung anbieten als bisher. In der Planung ist inzwischen ein Sold von mindestens 1800 Euro.

Deutsche Soldaten im Feldlager der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF in Kabul, 2002
Deutsche Soldaten im Feldlager der internationalen Afghanistan-Schutztruppe ISAF in Kabul, 2002Thomas Koehler/imago

Die Jugend ist an ein Leben ohne Wehrpflicht gewöhnt

Das Ende des Kalten Krieges und die Friedensdividende haben nicht nur den Rückbau der Bundeswehr eingeleitet, sondern auch alles Soldatische weitgehend aus dem öffentlichen Leben verschwinden lassen. In den übriggebliebenen Garnisonsstädten und den US-Stützpunkten wie Ramstein oder Wiesbaden spielen sie noch eine wirtschaftliche Rolle, aber Uniformen sieht man eher im Fernsehen als im Straßenbild.

Die Jugend hat sich längst daran gewöhnt, dass die Wehrpflicht ausgesetzt ist. Allerdings sieht sie die russische Bedrohung, wie sie die Politik gerade darstellt, auch mit Besorgnis. Nach einer neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung unter dem Namen „Security Radar 2025“ glauben 26 Prozent der Deutschen an die Möglichkeit eines dritten Weltkriegs, 43 Prozent schließen das aus – so wie auch 61 Prozent der befragten Russen.

Die tägliche Berichterstattung über den Ukrainekrieg und Gaza, auch wenn eher Explosionen aus der Ferne und brennende Häuser gezeigt werden als verwundete Soldaten, beunruhigt trotzdem die Bevölkerung. Welche Schlüsse die Generation Z aus der Bedrohungslage zieht, wird unterschiedlich bewertet. Eine Untersuchung des Augsburger Instituts für Generationenforschung sieht wenig Bindung zu Deutschland und entsprechend keine oder sehr geringe Bereitschaft, die Heimat zu verteidigen.

Zu einem anderen Ergebnis kommt das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw), das jährliche Befragungen durchführt. Der Anteil der wehrbereiten jungen Menschen sei im Vergleich zu 2021 um zehn Prozentpunkte gestiegen. Eine deutliche Mehrheit der Männer unter 30 Jahren, 60 Prozent der Befragten, wäre bereit, im Verteidigungsfall mit der Waffe zu kämpfen und auch jede fünfte junge Frau würde sich militärisch engagieren.

Wie weit der berühmte Slogan der Friedensbewegung, „Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“, der in den Siebzigerjahren aus den USA nach Deutschland kam, heute noch die Generation Z beeindruckt, ist ungewiss. Das könnte klarer werden, wenn die Bundesregierung Beschlüsse zur Wehrpflicht gesetzlich verankert und Einberufungen dann spürbar werden. Ob das allerdings auch die Kriegstüchtigkeit im Sinne einer persönlichen Bereitschaft schafft, für Deutschland zu sterben, ist nicht ausgemacht.

Demonstration für Frieden in Vietnam, Dortmund, 1973
Demonstration für Frieden in Vietnam, Dortmund, 1973Klaus Rose/imago

Die Kriegsbegeisterung in Deutschland beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs verflog rasch in den zerbombten Mondlandschaften und Schützengräben Nordfrankreichs und war nach der Niederlage 1918 gänzlich verschwunden. Der Zweite Weltkrieg begann weitgehend ohne Begeisterung, auch wenn die Blitzsiege die Stimmung am Anfang verbesserten.

1945 waren acht Millionen Deutsche und 27 Millionen Russen tot, die Mehrheit gefallene Soldaten. Die Bereitschaft, sein Leben einzusetzen oder zu opfern, widerstrebt dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb. Deshalb geht es auf dem Schlachtfeld, im Deutschen ohnehin eine unangenehm zweideutige Bezeichnung, um das eigene Überleben, oft genug durch das Töten der Gegner.

Soldaten leiden vermehrt unter psychischen Problemen

Der amerikanische Ranger-Veteran und Psychologe Dave Grossman hat 1995 in seinem Buch „On Killing“ die psychologischen Folgen analysiert, die das Töten bei Soldaten auslöst. Die natürliche Tötungshemmung könne zwar durch Drill, Kameradschaft, Ideologie, Drogen und den Ernstfall unterdrückt werden. Der persönliche Preis für die Veteranen werde aber immer höher, für viele mit psychischen Problemen und hohen Selbstmordraten.

Nach Grossman nutzten im Zweiten Weltkrieg nur 15 bis 20 Prozent der amerikanischen Soldaten ihre Gewehre, um zu töten. Im Korea-Krieg schossen schon 55 Prozent gezielt auf den Feind, in Vietnam 90 bis 95 Prozent. Die Lehren aus Grossmans neuer Forschungsrichtung „Killologie“ sind längst in die Ausbildung der US-Armee integriert, bei der Bundeswehr sollten sie wenigstens bekannt sein, aber bisher ohne wirkliche Ernstfall-Szenarien.

In den angelsächsischen Armeen steht AWOL für „absent without leave“ oder unerlaubtes Fernbleiben von der Truppe. Nach 30 Tagen Abwesenheit wird von Desertion ausgegangen, die USA setzen dazu noch die Absicht voraus, nicht wiederzukommen. Die Strafen reichen von Soldentzug bis zur unehrenhaften Entlassung und Gefängnis.

Die ukrainische Armee hat seit längerem erhebliche Probleme mit AWOL und Deserteuren. Je unwahrscheinlicher ein Sieg gegen Russland erscheint, desto schwieriger wird es, die Kampfmoral an der Front aufrecht zu erhalten und genügend weitere Kämpfer auszubilden. Seit Februar 2022 haben nach Schätzungen des UNHCR fast sieben Millionen Ukrainer das Land verlassen. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums leben rund 260.000 wehrpflichtige ukrainische Männer in Deutschland.

Die deutschen Medien berichten drastisch über die „Menschenfänger“ der ukrainischen Wehrbehörden, die Männer auf der Straße verhaften und an die Front bringen. Nach ukrainischen Quellen sind zum 1. Juni 2025 insgesamt 213.722 Desertationen offiziell registriert worden. Im letzten Jahr wurden fast 90.000 neue Strafverfahren eröffnet, dreieinhalbmal mehr als 2023.  Beklagt wird vor allem die korrupte Praxis, sich von Stellungsbefehlen mit Geld freizukaufen.

Soldaten der ukrainischen Armee
Soldaten der ukrainischen ArmeeDmytro Smolienko/imago

Über wehrpflichtige Russen, die sich dem Einsatz in der Ukraine durch Absetzen ins Ausland entzogen haben, gibt es weniger Erkenntnisse. Der Verein Connection, der international Kriegsdienstverweigerung unterstützt, schätzt, dass 250.000 wehrpflichtige Russen das Land verlassen haben. Nach Angaben des Bundesamts für Migration haben etwa 3500 dieser Russen in Deutschland Asyl beantragt, in der EU um die 10.000, aber die allermeisten werden abgelehnt.

Desertion im Zweiten Weltkrieg kam einem Todesurteil gleich

Desertionen waren auch im Zweiten Weltkrieg ein erhebliches Problem für die Armeeführungen in Deutschland und in der Sowjetunion. Aus der Wehrmacht desertierten 350.000 bis 400.000 Soldaten. Die Militärjustiz verurteilte davon rund 30.000 zum Tode, etwa 23.000 Urteile wurden auch vollstreckt. Andere wurden in Strafbataillone versetzt, was einem Todesurteil fast gleichkam.

Die Feldgendarmerie, wegen ihrer dicken Halsketten auch Kettenhunde genannt, fahndete in Sonderkommandos hinter der Front nach Deserteuren. Wehrkraftzersetzung oder Feigheit vor dem Feind waren schwere Delikte, deren Strafmaß verschärft wurde, je länger der Krieg dauerte. Auch die Rote Armee ging mit äußerster Härte gegen „Feigheit“ und „Defätismus“ vor, indem sie Spezialverbände des NKWD, der Sicherheitsbehörde Stalins, hinter den eigenen Truppen einsetzte, um Deserteure und zurückweichende Soldaten zurück an die Front zu zwingen oder zu erschießen.

Der Mangel an Freiwilligen und die gleichzeitige Überalterung des Personalbestands der Bundeswehr zwingen zu neuen Lösungen. Das Verteidigungsministerium arbeitet an einem sogenannten Auswahlwehrdienst, der mithilfe eines Fragebogens die „fittesten, geeignetsten und motiviertesten“ jungen Menschen auf freiwilliger Basis rekrutieren will. Dem Grundwehrdienst von sechs Monaten soll sich dann, ebenfalls freiwillig, eine Spezialausbildung von bis zu 23 Monaten anschließen, um die Absolventen dann in die Reserve aufzunehmen.

Wehrmachtssoldaten im 2. Weltkrieg
Wehrmachtssoldaten im 2. Weltkriegpiemags/imago

Die Aufgabe ist schwierig, denn seit Beginn des Ukrainekrieges sind die Bewerbungen zurückgegangen und Zeitsoldaten sind frühzeitig ausgestiegen. Die demografische Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat den Anteil der unter 25-Jährigen an der Gesamtbevölkerung auf zehn Prozent fallen lassen. Eingebürgerten Deutschen mit Migrationshintergrund steht die Bundeswehr offen, aktuelle Zahlen sind aber kaum zu finden. Laut einer internen Studie der Bundeswehr von 2016 haben 14,4 Prozent der Beschäftigten einen Migrationshintergrund, 26 Prozent sind es in den Mannschaftsgraden.

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Der geplante „Aufwuchs“ der Truppe wird sich auf absehbare Zeit schwierig gestalten, ebenso wie die Umstellung auf neue Waffensysteme nach den Erfahrungen im Ukrainekrieg. Noch ist die Nato insgesamt der Russischen Föderation militärisch überlegen, mit der Truppenstärke ein wenig, aber bei Panzern, Flugzeugen und Marine sehr deutlich, auch ohne den Schutzschirm der USA.

Wolfgang Sachsenröder hat als Politikberater in Asien, im Mittleren Osten und in Südosteuropa gearbeitet. Seit 2009 lebt er wieder in Singapur und hat Artikel sowie Sachbücher zur regionalen Politik veröffentlicht.

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