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Sensation im Weltraum: Als Amerikaner und Sowjets im All zusammenarbeiteten

Jahrzehntelang lieferten sich die Amerikaner und Sowjets einen Wettlauf ins All. Trotzdem wagten die Supermächte 1975 ein spektakuläres Treffen im Weltraum.

Kosmonaut Alexei Leonow (M.) mit den Astronauten Thomas Stafford und Donald Deke Slayton
Kosmonaut Alexei Leonow (M.) mit den Astronauten Thomas Stafford und Donald Deke SlaytonRIA Novosti/imago

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Es waren nur kleine Schritte für die zwei Menschen, aber es hätten große für die Menschheit werden können. Vor 50 Jahren, am 17. Juli 1975, trafen sich Thomas Stafford und Alexei Leonow in einer Art Röhre, begrüßten sich und schüttelten sich die Hände. Das mag auf den ersten Blick nicht klingen wie ein spektakuläres Ereignis – die besonderen Umstände machten das Treffen aber dazu. Denn der eine der beiden war ein US-Amerikaner, der andere ein Sowjetrusse.

Und bei beiden handelte es sich um Männer mit einem ganz speziellen Beruf: Der eine war Astronaut, der andere Kosmonaut. Aber zu einem wirklich besonderen Ereignis wurde das Treffen erst durch den Ort, an dem es stattfand – 229 Kilometer über der Erde in einer gut drei Meter langen Röhre, die als Brücke die sowjetische Raumkapsel Sojus 19 und die amerikanischen Apollo 18 verband.

War das Rendezvous im Weltall schon als solches eine technologische Meisterleistung der beiden führenden Raumfahrtnationen, so lag der größte Wert darin, dass es trotz der politischen Spannungen zwischen den beiden damaligen Supermächten überhaupt stattfinden konnte. Mitten im Kalten Krieg, der auf der Erde das Verhältnis zwischen Ost und West beherrschte und jederzeit in einen heißen umkippen konnte, herrschte im All Frieden und Verständigung.

Die sowjetisch-amerikanische Sojus-Apollo-Raumfahrt-Mannschaft: Kapitän Alexei Leonow, rechts in der hinteren Reihe, und Ingenieur Waleri Kubassow, rechts in der vorderen Reihe, sowie die Astronauten Thomas Stafford, Donald Deke Slayton und Vance Brand im April 1975
Die sowjetisch-amerikanische Sojus-Apollo-Raumfahrt-Mannschaft: Kapitän Alexei Leonow, rechts in der hinteren Reihe, und Ingenieur Waleri Kubassow, rechts in der vorderen Reihe, sowie die Astronauten Thomas Stafford, Donald Deke Slayton und Vance Brand im April 1975SNA/imago

So ist es auch kein Wunder, dass die Welt das Ereignis mit größtem Interesse verfolgte. Und beide Länder warteten noch mit einer weiteren Sensation auf: Das Treffen von Sojus 19 und Apollo 18 wurde live im Fernsehen übertragen. Während die Amerikaner schon die Mondlandung sechs Jahre zuvor direkt in Millionen Haushalte übertragen hatte, war das für die Sowjets eine echte Neuerung, denn nie zuvor hatten sie auch nur den Start live gezeigt – und nun erlaubten sie sogar Live-Aufnahmen aus ihrer Sojus.

An Bord waren zwei Kosmonauten: Alexei Leonow und Waleri Kubassow. Die Amerikaner schossen drei Astronauten – neben Stafford noch Deke Slayton und Vance Brand – in den Weltraum. Alle fünf Männer waren sehr erfahren und gehörten zum Besten, was ihre Länder aufbringen konnten.

Ein Wettrennen im Weltraum

Die Zusammenarbeit der beiden nationalen Weltraumbehörden war eine echte Sensation. Eigentlich standen die beiden Staaten nicht nur ideologisch in einem Wettbewerb, sondern auch bei der Eroberung des Alls. Es stand, so könnte man sagen, zu dieser Zeit 1:1. Denn hatte zunächst die Sowjetunion in Führung gelegen, als sie 1957 den Sputnik ins All geschossen hatte, so waren die Amerikaner mit der ersten Mondlandung zwar zwischenzeitlich in Führung gegangen, aber die Sowjets schafften es dafür 1971, die erste Weltraumstation Saljut ins All zu bringen; die Amerikaner folgten mit ihrer Skylab erst zwei Jahre später.

Doch Anfang der Siebzigerjahre gerieten sowohl die amerikanische Weltraumbehörde Nasa als auch die Sowjets in eine Krise. Houston hatte noch mit den Nachwirkungen der Beinahe-Katastrophe der Apollo 13 aus dem Jahr 1970 zu kämpfen, Baikonur musste den Tod dreier Kosmonauten verkraften, die am 29. August 1971 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre ums Leben gekommen waren. Zeit, es vielleicht mal zusammen zu versuchen, dachten sich sowohl US-Präsident Richard Nixon als auch der sowjetische erste Mann Leonid Breschnew. Im Mai 1972 besiegelten sie während eines Besuch Nixons in Moskau den Plan eines Treffens im Weltall.

Die Sojus 19 aus einem Fenster der Apollo 18 aus gesehen, am 18. Juli 1975
Die Sojus 19 aus einem Fenster der Apollo 18 aus gesehen, am 18. Juli 1975piemags/imago

Die Idee war damals schon rund zehn Jahre alt, doch das Vorhaben stockte und erst nach der Vereinbarung von 1972 setzten intensive Gespräche auf Expertenebene ein. Die technologische Herausforderung bestand darin, die zwei unterschiedlichen Systeme kompatibel zu machen, denn der Plan war, die zwei Raumkapseln im Weltraum aneinander zu koppeln. Tausende amerikanische und sowjetische Wissenschaftler nahmen an den Arbeiten teil und erstaunlicherweise gaben beide Seiten der anderen viele Einblicke in ihre technologischen Entwicklung, die bis dahin strenger Geheimhaltung unterlegen war.

Diese Arbeit wirkte sich auf die Wissenschaftler beider Seiten sehr positiv aus, denn durch das Kennenlernen legten sie viele Vorurteile ab und lernten, die anderen schätzen – als Wissenschaftler und als Menschen. Brand erinnerte sich im Jahr 2000 in einem Interview: „Wir hielten sie für ziemlich aggressive Menschen und … sie hielten uns wahrscheinlich für Monster. Wir haben diese Barrieren sehr schnell durchbrochen, denn wenn man mit Menschen aus der gleichen Branche zu tun hat und nur kurze Zeit mit ihnen zusammen ist, erkennt man, dass auch sie Menschen sind“. Ein schönes Beispiel dafür, wie verbindend wissenschaftliche Arbeit sein kann. Um sich verständigen zu können, hatte alle fünf intensiv die jeweils andere Sprache gepaukt.

Das größte technische Problem lag im eigentlichen Andockverfahren der beiden Kapseln. Notwendig war die Entwicklung eines gemeinsamen Kopplungsmoduls, denn weil die Atmosphären in beiden Kapseln unterschiedlich waren, konnten sie nicht direkt gekoppelt werden. Die Experten ersannen eine Luftschleuse, an die die beiden Raumkapseln auf je einer Seite andockten und die für einen allmählichen Ausgleich sorgte. Vor dem Übertritt in die jeweils andere Kapsel mussten die Männer sich eine Stunde in dieser Schleuse aufhalten. Sie wurde somit zur Brücke zwischen zwei Systemen – im praktischen Sinn wie auch im übertragenen.

Alexei Leonow und Thomas Stafford bei gemeinsamer Arbeit
Alexei Leonow und Thomas Stafford bei gemeinsamer ArbeitSputnik Russia/imago

Das geplante Treffen wurde schließlich für den 17. Juli 1975 festgelegt. Beide Kapseln wurden zwei Tage vorher, also am 15. Juli, mit Raketen ins All geschossen. Die Sojus startete um 8.20 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit auf dem Kosmodrom Baikonur in Kasachstan, was 18.20 Uhr in Baikonur bedeutete. Die Apollo 18 (die Kennzeichnung 18 war inoffiziell, formell hatte die Kapsel keine Nummerierung) folgte um 15.50 Uhr Ostküstenzeit vom Startkomplex 39 im Kennedy Space Center in Florida.

Bankett mit Konserven-Eintopf

Sowohl Amerikaner als auch Sowjets mussten in den folgenden beiden Tagen Kurskorrekturen vornehmen und erreichten schließlich eine kreisförmige Umlaufbahn in 229 Kilometern Höhe. Zum historischen Treffen und Andocken der beiden Kapseln kam es schließlich am 17. Juli um 12:12 Uhr amerikanischer Ostküstenzeit, in Baikonur war es also 22:12 Uhr. Gut drei Stunden später, um 15:17 Uhr öffneten sich die Luken zwischen den Fahrzeugen und die ersten beiden Männer – Stafford und Leonow – begrüßten sich herzlich per Handschlag – live beobachtet von einem faszinierten Fernsehpublikum. Leonow schrieb viele Jahre später, er sei in diesem Moment „tief bewegt gewesen“, als ihn Thomas Stafford mit „Towarischtsch“ („Genosse“) auf russisch angesprochen habe.

Später überreichten sich die Besatzungsmitglieder gegenseitig Geschenke. KPDSU-Generalsekretär Leonid Breschnew schickte aus Moskau ein Glückwunschtelegramm ins All, US-Präsident Gerald Ford griff zum Telefonhörer und rief die Männer an. Dann luden die zwei von der Sojus die drei Amerikaner zum Essen ein – es gab Eintopf aus der Konserve.

Die nächsten Tage waren arbeitsreich, denn die fünf nutzten die Zeit, um gemeinsam eine Reihe von Experimenten und Versuchen durchzuführen. Brand begleitete Kubassow in der Sojus, Leonow begab sich mit Stafford und Slayton in die Apollo. Zu keinem Zeitpunkt aber war eine der beiden Kapseln unbesetzt. Insgesamt blieben die beiden Kapseln 47 Stunden angedockt.

Zum Abschied hatte Apollo-Kommandant Stafford für seine Kosmonauten-Kollegen noch eine Überraschung vorbereitet: Er hatte den amerikanischen Country-Star Conway Twitty gebeten, eine russische Version seines Hits „Hello Darlin“ aufzunehmen, und die spielte er nun ab. Ein Mitarbeiter der Mission Control in Houston witzelte, der Song klinge so, „als käme er aus dem äußersten Westen Oklahomas, aus der Nähe von Kiew“.

Ankunft der Astronauten im Pazifik
Ankunft der Astronauten im Pazifikpiemags/imago

Am 19. Juli, nach knapp 47 Stunden, entkoppelten sich beiden Kapseln wieder. Die Amerikaner kehrten am selben Tag zur Erde zurück, die Kosmonauten blieben noch bis zum 21. Juli im All, um Experimente durchzuführen.

Das Sojus/Apollo-Experiment war ein großer technischer Erfolg von Amerikanern und Sowjets. Noch viel wichtiger war aber, dass er gemeinsam errungen wurde. Was auf der Erde nicht klappte, funktionierte oben im Weltall ganz einfach: eine freundschaftliche, partnerschaftliche Zusammenarbeit der beiden Supermächte. Brand sagte später: „Ich glaube wirklich, dass wir eine Art Vorbild waren … für die Länder. Wir waren ein kleiner Funke oder ein Fuß in der Tür, der eine bessere Kommunikation ermöglichte“.

Doch bis sich die Tür das nächste Mal öffnete, sollte es 20 Jahre dauern – erst 1995 besuchte ein amerikanischer Space Shuttle die russische Raumstation Mir. Später gab es über viele Jahre eine Zusammenarbeit auf der Internationalen Raumstation ISS. Sie funktioniert trotz des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine derzeit noch, aber es ist abzusehen, dass sie mit der Außerdienststellung der ISS Ende dieses Jahrzehnts beendet sein wird. Dann gehen die USA und Russland wieder ausschließlich eigene Wege im Weltraum. Die Politik auf der Erde macht ein Zusammenwirken im All scheinbar unmöglich.

Armin Fuhrer ist Journalist, Historiker und Autor mehrerer Bücher.

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