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Die digitale Transformation schreitet weltweit voran – und trifft in Deutschland auf strukturelle Engpässe. Besonders im IT-Sektor ist der Fachkräftemangel eklatant: Laut dem Branchenverband Bitkom fehlen hierzulande rund 110.000 qualifizierte Softwareentwickler, Systemintegratoren und Data Scientists, die für die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Integration von KI dringend benötigt werden. Die Personallücke wird zunehmend zum Problem des Standorts Deutschland insgesamt.
„Sie können IT-Services direkt bei unseren Start-ups ordern“, sagt Bekhzod Sidikov, der im IT-Park Usbekistan, dem nationalen Start-up-Akzeleralor, für Exporte verantwortlich ist, bei einem Fachforum in der usbekischen Botschaft in Berlin. Hier, im digitalen Ökosystem des Landes, seien Hunderte lokale und internationale Firmen aktiv, die nahezu jede Software- und IT-Dienstleistung abdecken.
IT-Produkte aus Usbekistan? Damit hätte man wohl kaum gerechnet. Gängige Klischees hierzulande zeichnen das Bild eines fernen Landes entlang der alten Seidenstraße, bekannt für Früchte, Baumwolle, Seide und Gold. Doch digitale Dienstleistungen? Daran denken bislang wohl die Wenigsten.
Die Realität sieht längst anders aus. Seit Reformstart 2017 gilt Usbekistan als aufstrebender Investitionsstandort in Zentralasien. Der Übergang zu einem offenen, diversifizierteren Wirtschaftsmodell, das auf Industrie, Innovation und Integration in globale Wertschöpfungsketten setzt, verläuft bemerkenswert zügig. Das BIP wächst seit Jahren stabil um mehr als fünf Prozent, 2024 lag das Plus bei 6,5 Prozent. Auch der Dienstleistungssektor entwickelt sich dynamisch – allen voran der Bereich IT-Exportservices.

IT-Exporte im Wert von über einer Milliarde US-Dollar
Der IT-Sektor, ein zentraler Baustein der nationalen Strategie „Digital Uzbekistan – 2030“, steht wie kein anderer für die „usbekische Zeitenwende“. Dass Präsident Shavkat Mirziyoyev die gestiegene Bedeutung der Branche regelmäßig in seinen öffentlichen Auftritten als Wachstumstreiber hervorhebt, zeigt, wie stolz die Staatsführung auf die neuen technologischen Kompetenzen der usbekischen Volkswirtschaft ist. Die Zahlen sprechen für sich: 2024 überschritten die nationalen IT-Exporte erstmals die Marke von einer Milliarde US-Dollar. Man sei entschlossen, diesen Kurs beizubehalten, betonte Mirziyoyev beim Tashkent International Investment Forum (TIIF). „Wir verfügen über ausreichend Potenzial und Möglichkeiten, das Exportvolumen bis 2030 zu verfünffachen“, erklärte er in seiner Ansprache vor Gästen aus 100 Ländern.
Um dieses Ziel zu erreichen, investiert die Regierung massiv in digitale Infrastruktur und Glasfasernetze. Koordiniert wird das Vorhaben vom 2022 geschaffenen Ministerium für Digitaltechnologien unter Leitung von Sherzod Shermatov, einem Yale-Absolventen mit Erfahrung an der Schnittstelle von Digitalpolitik, Verwaltungsmodernisierung und Talentförderung. Die Fortschritte sind messbar: Im E-Government Development Index der Vereinten Nationen rangiert Usbekistan aktuell auf Platz 63 mit dem Ziel, in die Top 30 aufzusteigen.

Saudische Firma baut grüne Rechenzentren in Taschkent
Bis 2030 sollen zwanzig Rechenzentren mit über 500 Megawatt Gesamtkapazität gebaut werden, was allerdings nur mit umfangreichen Investitionen in Energie- und Netzausbau realisierbar wäre. Erste Deals sind bereits eingefädelt. Das saudische Unternehmen DataVolt baut bereits ein Rechenzentrum auf dem IT-Park-Gelände in Taschkent. Ende 2026 soll es ans Netz gehen, betrieben mit erneuerbarer Energie. Weitere Standorte sind in Buchara und New Tashkent im Gespräch.
Die positive Dynamik bestätigt Garry Poluschkin vom German Economic Team: Seit 2020 wächst der IT-Sektor jährlich um rund 42 Prozent, sein Anteil an der Bruttowertschöpfung hat sich verdreifacht. Die Exporte stiegen von 42 Millionen US-Dollar im Jahr 2020 auf 447 Millionen US-Dollar 2023 – damit ist Usbekistan inzwischen Nettoexporteur von IT-Services, vor allem in die USA und nach Großbritannien. Sollte sich der Trend fortsetzen, sei das Ziel von fünf Milliarden US-Dollar bis 2030 durchaus realistisch, so Poluschkin, sofern die Reformagenda fortgeführt wird.
Der IT-Park spielt in der usbekischen Digitalagenda eine zentrale Rolle – als Innovationsmotor und Brückenbauer für Investoren mit Interesse an IT-Offshoring. Lässt man sich dort als Start-up registrieren, profitiert man von einem Sonderregime aus Infrastruktur, Steuererleichterungen und regulatorischen Vorteilen, darunter IT-Visa für ausländische Fachkräfte. Förderprogramme wie Zero Risk, Softlanding, One-Stop-Shop und Enterprise Uzbekistan erleichtern den Markteintritt erheblich. Aktuell sind über 3000 Firmen im IT-Park registriert, davon mehr als 800 mit internationaler Beteiligung. Gemeinsam beschäftigen sie laut Sidikov rund 45.000 Mitarbeiter und exportieren digitale Leistungen in über 90 Länder. Zu den Aushängeschildern zählen Fintechs wie Payme (mobile Banking), das erste usbekische Einhorn Uzum (E-Commerce) und United Soft, das Animationen und visuelle Effekte für Kunden wie Samsung und Ubisoft produziert.
Das „Neue Usbekistan“ soll, so der politische Anspruch, eine zukunftsorientierte Nation sein, die offen für Investitionen und Kooperationen ist. Doch der Imagewandel im Ausland bleibt eine Herausforderung – auch in Deutschland, wo das Land oft lediglich als klassischer Rohstoff- oder Agrarstaat wahrgenommen wird. Hinsichtlich Rohstoffe ist Usbekistan zweifellos ein relevanter Partner. Es verfügt über große Vorkommen an Uran, Gold, Kupfer, Wolfram sowie kritische Mineralien wie Lithium, Magnesium, Molybdän, Germanium und Vanadium, die für die deutsche Industrie und im Kontext der Energiewende unverzichtbar sind.

Die Fachkräfte sind jung, hochmotiviert, gut ausgebildet
Doch die wohl wichtigste Ressource Usbekistans ist sein Humankapital: Mit fast 40 Millionen Einwohnern – davon 45 Prozent unter 25 Jahren – ist es das größte Land Zentralasiens. Die Bevölkerung ist jung, gut ausgebildet, digital affin und hochmotiviert. Diese Stärke ist inzwischen auch in Deutschland bekannt. Beim Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Samarkand 2024 wurde ein Migrations- und Mobilitätsabkommen unterzeichnet, das jungen Usbeken einen geregelten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht. Auch entwicklungspolitisch zeichnet sich ein Kurswechsel ab: Der Anfang Oktober von Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan vorgestellte Aktionsplan stellt klar, dass künftig Interessen deutscher Unternehmen sowie belastbare Partnerschaften mit aufstrebenden Ländern – etwa zur Rohstoffsicherung und Fachkräftegewinnung – im Zentrum der Entwicklungszusammenarbeit stehen sollen.
Laut einer Bitkom-Umfrage ziehen viele deutsche IT-Unternehmen internationale Rekrutierung in Betracht – vorausgesetzt, Bewerber bringen Soft Skills und Fremdsprachenkenntnisse mit. Bitkom plädiert für den Aufbau einer zentralen Plattform als Anlaufstelle für ausländische Fachkräfte. Ein Arbeitsaufenthalt in Deutschland sei für viele junge Menschen aus seinem Heimatland attraktiv, bestätigt Dilshod Akhatov, der usbekische Botschafter in Berlin. Besonders gefragt seien duale Programme, die Ausbildung, Arbeit und Spracherwerb miteinander verbinden, etwa die Projekte von GP Günter Papenburg in Halle oder der Simson Private Akademie gemeinsam mit der IHK Südthüringen. Die Universitätsklinik Freiburg bietet in Kooperation mit der deutsch-usbekischen Medizingesellschaft Koch-Avicenna (DUMGKA) Weiterbildungskurse für usbekische Ärzte und Pflegekräfte.
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Doch während Kfz-Mechaniker, Elektriker oder Pflegekräfte relativ unkompliziert ins Ausland entsendet werden können, ist die Lage im Fall hochqualifizierter Arbeitskräfte anders. Das Land braucht Informatiker, Systemarchitekten und KI-Experten, also jenes Set an Talenten, das notwendig ist, um die Transformation voranzutreiben und neue wirtschaftliche Eckpfeiler aufzubauen. Ohne ihre Fähigkeiten und Innovationskraft lässt sich die Strategie „Digital Uzbekistan – 2030“ kaum verwirklichen. Daher setzt die Regierung gegenüber internationalen Partnern auf einen Kompromiss: IT-Outsourcing „Made in Usbekistan“. Für deutsche Unternehmen heißt das, auf die Expertise usbekischer Teams zurückzugreifen, ohne dass das Land seine Talente verliert. Auch von den Kosten her ist das Modell attraktiv, denn die IT-Gehälter sind moderat, wenngleich sie indes das Dreifache des Landesdurchschnitts betragen. Kulturelle Nähe zu Europa ist ebenfalls von Vorteil: Im Vergleich zu klassischen Outsourcing-Destinationen wie Indien fällt es usbekischen Fachkräften nachweislich leichter, sich an europäische Geschäftsgepflogenheiten und Kommunikationsstile anzupassen.

Teilmobilmachung trieb russische IT-Spezialisten nach Usbekistan
Für den jüngsten Entwicklungsschub im usbekischen IT-Sektor spielte ein externer Faktor eine entscheidende Rolle: der Zuzug russischer Fachkräfte infolge des Ukrainekriegs. Hunderttausende bestens ausgebildeter Spezialisten verließen nach Beginn der „Sonderoperation“, besonders nach der Teilmobilmachung im September 2022, fluchtartig ihr Heimatland. Viele dieser „Relokanten“ ließen sich in Taschkent und anderen usbekischen Großstädten nieder. Die Integration auf dem postsowjetischem Raum verlief weitgehend reibungslos – nicht zuletzt aufgrund der kulturellen Nähe und der bis heute, vor allem in urbanen Zentren, verbreiteten russischen Sprache.
Davon profitierte die lokale Tech-Community erheblich: Bis Ende 2023 wuchs sie, je nach Quelle, um rund 10.000 Computerspezialisten. Auffällig stark war auch der Zuwachs ausländischer Neuregistrierungen, vor allem mit russischer Beteiligung, im IT-Park und anderen Start-up-Inkubatoren. Das führte zu einem spürbaren Kompetenzschub innerhalb der usbekischen Tech-Szene und stärkte die Exportfähigkeit ihrer Produkte, die nun schneller skaliert werden konnten. Wie viele russische Relokanten im Land bleiben, ist derzeit offen. Manche kehrten nach Russland zurück – nicht zuletzt, weil befürchtete weitere Einberufungswellen ausblieben. Andere sahen Usbekistan lediglich als Zwischenstation und zogen weiter in andere Länder.
Usbekistan hat offensichtlich ein Momentum. Die Reformen greifen, die Wirtschaft wächst, das Land zeigt sich offen, reformbereit und integrationswillig. Der Weg bleibt ambitioniert – und nicht frei von Herausforderungen: bürokratische Hürden, eingefahrene Strukturen, gelegentlich alter Klüngel, Transparenzdefizite im öffentlichen Vergabewesen und eine teils mangelhafte Wettbewerbspolitik. Doch der politische Wille, diese Hemmnisse abzubauen, ist erkennbar.



