Menschenhandel und die damit verbundenen Ausbeutungsformen muss man bekämpfen, das würde außer den Profiteur:innen wohl niemand bestreiten. Sexuelle Ausbeutung ist traditionell die häufigste Ausbeutungsform, sie findet überwiegend als Zwangsprostitution statt. Freier sorgen wohl oder übel für ein einträgliches Geschäft und stehen daher zunehmend im strafrechtlichen Fokus. Denn wie verboten wäre Zwangsprostitution, wenn ihre Inanspruchnahme erlaubt wäre?
Diverse Abkommen geben mittlerweile Antwort auf diese Frage, zuerst das sogenannte Palermo-Protokoll vom 15. November 2000. Es verpflichtet die aktuell 181 Staaten, die es ratifiziert haben, gesetzgeberische Maßnahmen zu treffen oder zu verstärken, „um der Nachfrage entgegenzuwirken, die alle Formen der zum Menschenhandel führenden Ausbeutung von Personen, insbesondere von Frauen und Kindern, begünstigt“.
Die Europaratskonvention zur Bekämpfung des Menschenhandels vom 16. Mai 2005 schließt sich hier an. Laut Konvention sollen die Vertragsparteien erwägen, mittels gesetzgeberischer Maßnahmen die Nutzung von Diensten unter Strafe zu stellen, die in dem Wissen beansprucht werden, dass Menschenhandelsopfer sie erbringen. Eine Gruppe unabhängiger Expert:innen soll die Umsetzung der Konvention überwachen.
Einige Jahre darauf ist es die EU-Menschenhandelsrichtlinie vom 5. April 2011, die jene Forderung an die Staaten untermauert, nämlich Maßnahmen zu erwägen, mit denen die wissentliche Inanspruchnahme von Diensten aus Ausbeutungsverhältnissen als strafbare Handlung eingestuft wird. Die EU-Kommission soll alle zwei Jahre einen Fortschrittsbericht vorlegen.
Vorsatz oder Leichtfertigkeit?
Die Richtlinie wurde mit einiger Verspätung in deutsches Recht übertragen, das entsprechende Gesetz trat am 15. Oktober 2016 in Kraft. Bei der Freierstrafbarkeit waren sich die Sachverständigen, die man im Bundestag angehört hatte, uneins: Sollte nur der Vorsatz bestraft werden, wenn also ein Freier wissentlich dort Sex kauft, wo Zwang im Spiel ist? Oder sollte zwecks Auferlegung einer „Prüfpflicht“ schon Leichtfertigkeit bestraft werden, wenn also das Wissen beim Freier hätte vorhanden sein können?
Die Entscheidung fiel gegen die Leichtfertigkeit, doch sie war damit nicht vom Tisch. Zwar konnten Freier von Zwangsprostituierten nun erstmals bestraft werden. Jedoch sprach die Schwierigkeit, ihnen das Wissen nachzuweisen, eher dafür, dass sie letztlich straffrei ausgehen würden und die beabsichtigte Senkung der Nachfrage nach Zwangsprostitution ausbliebe.
So kam es, dass sich der Bundestag am 24. Juni 2021 für die Ausweitung der Freistrafbarkeit aussprach. Zuvor hatte der Bundestags-Rechtsausschuss in seinem Bericht erklärt: „Die Strafbarkeit soll auf die Begehungsform der Leichtfertigkeit ausgedehnt werden, um Strafbarkeitslücken zu schließen und die betreffenden Prostituierten besser zu schützen.“
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat die Ausweitung rückwirkend befürwortet. Im Auftrag des Bundesjustizministeriums hatte das Institut im November 2020 damit begonnen, das Gesetz von 2016 zu evaluieren. Dabei stellten die Forscher:innen fest, dass das Risiko für Freier, wegen einer Tat nach dem neuen Strafrechtsparagrafen verfolgt zu werden, „gegen Null“ ging. Der Gesetzgeber habe allerdings die „fehlende praktische Bedeutung der bislang normierten Freierstrafbarkeit“ erkannt und kurz vor Abschluss des Forschungsprojekts die Anforderungen an die Freierstrafbarkeit abgesenkt.

„Verantwortlicher Konsum“
Heute müssen Freier also genauer beim Sexkauf hinsehen. Anders als bei Zwangsarbeit bezahlen sie als „Endverbraucher“ für den intimen Kontakt mit möglichen Opfern. Um keine Strafe zu riskieren, müssen sie auf Anzeichen für Zwang, Ausbeutung und Gewalt achten. Geht das?
Zwangsprostitution zu erkennen sei schwer, sagen Fachberatungsstellen, geben aber Hinweise: Eine Person brauche womöglich Hilfe, wenn sie etwa alle Wünsche erfüllt, ohne zu verhandeln, wenn andere für sie die Bedingungen aushandeln, wenn sie übermüdet wirkt, weil sie rund um die Uhr verfügbar sein muss, oder wenn Spuren körperlicher Gewalt sichtbar sind. Auch Sexkauf-Portale wie erotik.markt.de oder kaufmich.com klären ihre User über Zwangsprostitution auf und liefern Tipps.
Zwei Freier ließen sich davon nicht überzeugen. Sie haben letztes Jahr Verfassungsbeschwerde gegen die Ausweitung der Freierstrafbarkeit eingelegt. Dabei werden sie vom „Bundesverband Sexuelle Dienstleistungen“ unterstützt, der unter bringt-das-in-ordnung.de eine Petition dazu aufgesetzt hat. Die Petition richtet sich an Bundesjustizminister Marco Buschmann: Er solle die Leichtfertigkeit wieder aus dem Gesetz streichen. Denn, so der Bundesverband: „Ein Kunde kann nicht erkennen, ob eine Frau zur Prostitution gezwungen wird.“
Es gibt folglich, was das Erkennen von Zwang anbelangt, zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass es geht. Dann würde die Freierstrafbarkeit bleiben, wie sie ist. Freier müssten im Zweifel, um nicht leichtfertig zu handeln, ihre Dienstleistung im seriösesten Bordell der Stadt kaufen.
Soll es gehen, dass es nicht geht?
Die zweite Möglichkeit ist, dass es nicht geht. Das lässt Raum für Spekulation. Was könnte der Gesetzgeber dann für die Freier tun? Ihr Wunsch ist offenbar, dass sie von ihrer „Prüfpflicht“ entbunden werden. Aber könnte man, wenn sich aus dem höchstrichterlichen Urteil ableiten ließe, dass es gar kein Wissen geben kann, zur Bestrafung der „wissentlichen“ Inanspruchnahme zurückkehren? Klingt widersprüchlich.
Eine Strafnorm nach dem Vorbild von England, Wales und Zypern würde immerhin den Widerspruch aufheben. Dort werden Freier von Zwangsprostituierten ganz unabhängig von ihrem Wissen bestraft, eine Form der verschuldensunabhängigen Haftung. Für Freier hierzulande würde es dann allerdings erst recht „Augen auf beim Sexkauf“ heißen.
Sie würden sich aber vielleicht darauf einlassen, wenn als einzige Option sonst nur ein Sexkaufverbot bliebe. Die Frage ist ja: Wie könnte man, wenn Zwangsprostitution und Prostitution quasi verfassungsgerichtlich bestätigt „gleich aussehen“, wirksam die Inanspruchnahme von nur einem verbieten? Man müsste die Inanspruchnahme von beidem verbieten.
So oder so haben die zwei Freier und der Bundesverband etwas in die Öffentlichkeit getragen, das längst breit debattiert werden müsste: dass Zwangsprostituierte problemlos mit Prostituierten „verwechselt“ werden können. Das wiederum bedeutet, dass täglich Hunderte, vielleicht Tausende Vergewaltigungen „im Namen des Konsums“ passieren. Statt das zu hinterfragen, nicken wir es mit „Zwangsprostitution ist schon verboten“ schulterzuckend ab.
Kognitive Dissonanz
Zwangsprostitution wird abgespalten, existiert gedacht in einem Vakuum, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Zugleich verkünden wir im Brustton der Überzeugung, dass Gewalt gegen Frauen in unserer Gesellschaft keinen Platz habe. Doch, in der Domäne der Freier hat sie Platz. Hier gibt es keine Gleichstellung, nur Notfallknöpfe, zumindest im Bordell. Dass wir darüber nicht reden, gehört zur „freiergerechten Stadt“.
Wie werden sich die Bundesverfassungsrichter:innen dazu verhalten? Es bleibt spannend. Die Beschwerde der Freier ist bei den vorvergangene Woche veröffentlichten wichtigen Verfahren, in denen Karlsruhe dieses Jahr eine Entscheidung anstrebt, nicht dabei. Unterdessen manifestiert sich hier und da vermehrt auch eine andere Frage: Wie verboten ist Prostitution im Sperrbezirk, wenn ihre Inanspruchnahme erlaubt ist?
In Bayern, wo vergangenen Mai eine Anhörung zur Situation der Prostituierten im Freistaat stattfand, setzen sich CSU und Freie Wähler dafür ein, dass im Zuge der nächsten Bundesgesetzgebung Bußgelder für Freier eingeführt werden, die im Sperrgebiet agieren. Bündnis 90/Die Grünen haben die Staatsregierung aufgefordert, schon jetzt zu prüfen, wie bayrische Freier in solchen Fällen zur Kasse gebeten werden können. Wo Sperrbezirk ist und wo nicht – das zumindest kann jeder, der will, zweifelsfrei feststellen.
Die Autorin legt Wert auf die Verwendung des Doppelpunkts zur Sichtbarmachung aller Geschlechter.






