Die Verordnung über die Wiederherstellung der Natur droht aktuell im EU-Parlament zu scheitern. Sie sieht vor, dass Renaturierungsziele von jedem EU-Mitgliedstaat erstmals rechtlich bindend eingehalten werden müssen. Auf diese Weise sollen Europas Natur und Biodiversität wiederhergestellt werden.
Die Gegner rund um die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) unter Vorsitz des CSU-Politikers Manfred Weber stemmen sich gegen das Vorhaben. Sie treiben eine Desinformationskampagne voran, die die Verordnung als schädlich für die Ernährungssicherheit und die Wirtschaft Europas darstellt.
So behaupten sie, die Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft zu verteidigen, obwohl diese durch verheerende Auswirkungen des Klimawandels und die Zerstörung der Ökosysteme massiv bedroht sind.
Infolge der Blockade des Gesetzes durch die EVP entkam der Gesetzentwurf am 15. Juni mit 44:44 Stimmen nur knapp einer Ablehnung im Umweltausschuss. Nun liegt die Entscheidung beim Europäischen Parlament. Die bevorstehende Plenarabstimmung am 12. Juli ist die letzte Chance, das Naturwiederherstellungsgesetz zu verabschieden.
Die sich abzeichnenden Schäden, die entstehen würden, sollte das Gesetz nicht verabschiedet werden, alarmieren eine breite Allianz von Unterstützern des Gesetzesvorhabens. Wissenschaftler, Konzerne, Landwirte, Jäger, Angler, der Sektor der erneuerbaren Energien, Städte, Nichtregierungs- und Jugendorganisationen haben sich ausdrücklich für die vorgeschlagene Verordnung ausgesprochen.
Die Weltnaturschutzunion (IUCN) äußerte sich „tief besorgt“ über die Ablehnung der Gesetzesvorlage im Umweltausschuss. Mehr als 3000 Wissenschaftler haben sich zusammengetan und in einem offenen Brief festgehalten, dass den Aussagen der Verordnungsgegnern nicht nur die wissenschaftliche Basis fehlt, sondern dass regelrecht Falschinformationen verbreitet werden.
Anhand des offenen Briefes aus der Wissenschaft rücken wir hier zurecht, was oftmals falsch dargestellt wird: Das Wiederherstellungsgesetz ist nicht schädlich, sondern enorm wichtig für Wirtschaft und Ernährung sowie für Natur, Gesellschaft und Klima.
Liegt die eigentliche Bedrohung der Ernährungssicherheit woanders?
Gegner behaupten, die Verordnung gefährde die Ernährungssicherheit in Europa und der Welt durch eine Produktionsminderung. Tatsächlich ist die globale Ernährungssicherheit jedoch hauptsächlich durch den fortschreitenden Klimawandel und das Artensterben bedroht.
Mehr als die Hälfte aller Kulturpflanzen ist auf bestäubende Insekten angewiesen – die Verordnung würde deren Vorkommen sichern. Der Schutz landwirtschaftlicher Lebensräume würde die Ernährungssicherheit unterstützen, da die Lebensmittelproduktion langfristig an den Klimawandel angepasst und somit resilienter gestaltet würde.
Eine weitere zu widerlegende Behauptung ist, dass der Schutz mariner Gebiete der Fischereiwirtschaft schaden würde. Wissenschaftliche Studien zeigen deutlich, dass geschützte und insbesondere streng geschützte Meeresgebiete einen stark positiven Effekt auf Fischereierträge haben, da sich Fischpopulationen in den Schutzgebieten effektiv erholen, vermehren und verbreiten können. Jener positive Effekt bleibt auch unter Betracht zukünftiger Klimawandelszenarien erhalten.
Naturwiederherstellung als Arbeitgeber
Auch in gesellschaftlichen und sozialen Themenbereichen birgt die Verabschiedung vielerlei Chancen – entgegen den Behauptungen ihrer Gegner. Bisher treiben strukturelle Veränderungen und neue Technologien einen Jobschwund im Agrarbereich voran. Die Wiederherstellung der Natur könnte in den kommenden Jahren zu einem Milliardengeschäft werden und neue Arbeitsplätze schaffen!
Der Umbau zu einer extensiveren Landwirtschaft sowie die Unterstützung von Innovationen für nachhaltige Ökoagrarpraktiken bieten langfristig vielfältige neue Perspektiven. Bei der Abstimmung am 12. Juli müssen die Abgeordneten erkennen, wie wichtig das Gesetz für Unternehmen ist, die von stabilen landwirtschaftlichen Versorgungsketten und dem Zugang zu wichtigen Ökosystemleistungen abhängig sind.
Nutzen überwiegen Kosten um das Zwölffache
Gegner befürchten außerdem, dass die neue Verordnung eine finanzielle Belastung für die Gesamtgesellschaft darstellen würde. Ökonomische Berechnungen lassen aber erwarten, dass die Vorteile, die durch den Schutz und die Wiederherstellung degradierter Land- und Meeresflächen der EU entstehen, dem Zwölffachen der Schutz- und Wiederherstellungskosten entsprechen.
Hinzu kommt, dass klimawandelbedingte Ernteverluste allein in Deutschland im Jahr 2018 circa sieben bis acht Billionen Euro kosteten, zuzüglich Kompensationszahlungen an die Landwirte. Die Wiederherstellung der Natur, so wie es die Verordnung vorsieht, kann also als außerordentlich kosteffiziente Investition für Wirtschaft, Gesellschaft und Natur betrachtet werden.
Scheitern der Verordnung: Verheerende Folgen?
Es ist mehr als kritisch zu sehen, dass die EVP und ihre Verbündeten im Europaparlament wissenschaftlich fundierte Kenntnisse nicht als solche annehmen und stattdessen eine große Zahl an Falschinformationen streuen, um kurzsichtige Partei- und Machtinteressen zu bedienen.
Es wäre verheerend, sollte die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur am 12. Juli im Europäischen Parlament scheitern. Die Weltnaturschutzunion bezeichnet das Gesetz als die einmalige Chance einer Generation, mittels Naturschutz Resilienz gegen den Klimawandel aufzubauen, die Wirtschaft auf grünem Wege zu stärken und den Verpflichtungen der EU für globale Umweltabkommen nachzukommen.




