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Europa zeigt sich in diesen Wochen unerklärlich überrascht von Donald Trumps konsequenter Umsetzung seiner MAGA-Versprechen und beginnt nun verspätet, die strategischen Versäumnisse der letzten Jahrzehnte zu analysieren. Neben dem Fokus auf Wiederbewaffnung und Kriegstüchtigkeit werden die Diskussionen über Europas seit Jahrzehnten bestehende Abhängigkeit im zukunftsweisenden digitalen Bereich lauter. Nicht nur in Freie-Software-Kreisen wird ernsthaft über europäische Alternativen zu den amerikanischen IT-Diensten und Plattformen diskutiert.
Erwartungsgemäß zeigt sich bei solchen Selbstversuchen schnell ein ernüchterndes Bild. Die meisten getesteten Alternativen entpuppen sich lediglich als sympathische und unterstützenswerte Freie-Software-Projekte. Sie können mit den US-Plattformen, die von globalen Netzwerkeffekten und massiver Infrastruktur profitieren, nicht mithalten. Am Ende eignen sie sich vorwiegend nur für Technik-Enthusiasten oder als Ausdruck digitalen Snobismus.

Jenseits der Endbenutzerdiskussionen werden auch die geopolitischen Aspekte und Schwächen jetzt klar und dringlich erkannt und ernsthaft angesprochen. Das niederländische Parlament hat gerade gefordert, die Abhängigkeit von amerikanischen Software-Giganten einzuschränken, zum Teil als Reaktion auf die US-Sanktionen gegen den in Den Haag ansässigen Internationalen Strafgerichtshof. Die deutsche Gesellschaft für Informatik (GI) hat im letzten Monat lautstark gegen die aktuellen Bemühungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) protestiert, in enger Zusammenarbeit mit Google eine „souveräne“ Cloud für Bundesbehörden zu zertifizieren.
In dem kämpferisch geschriebenen Stellungspapier mit dem Titel „Digitale Souveränität adé“ wird festgestellt: „Umfangreiche europäische und nationale Anstrengungen, um digitale Souveränität zu stärken, werden durch die Zusammenarbeit von Google und BSI zunichte gemacht.“
Europa kann mit den Hyperscalern nicht mithalten
Ob die bisherigen Anstrengungen als „umfangreich“ zu bezeichnen sind, ist fraglich. Die greifbaren Ergebnisse, das ist schwer zu bestreiten, sind mehr als bescheiden. In Sachen global dimensionierter Cloud-Infrastruktur ist Europa praktisch nicht existent. Kleinere, lokale Anbieter sind zwar vorhanden, doch sie agieren in einer ganz anderen Liga als die dominierenden amerikanischen Hyperscaler.
Die Bezeichnung „Hyperscaler“ mag sich amerikanisch-hyperbolisch anhören, in diesem Fall trifft sie aber zu. Die rein physischen, infrastrukturellen Ausmaße der führenden Anbieter Amazon und Microsoft sprechen für sich. Beide Konzerne betreiben jeweils ein privates, kontinent- und ozeanübergreifendes Glasfasernetz mit einer Gesamtlänge von über 600.000 Kilometern. Weltweit unterhält AWS 114 Verfügbarkeitszonen, wobei jede Zone aus mindestens drei physisch getrennten, hochgesicherten Riesenrechenzentren besteht. Microsoft besitzt 300 Rechenzentren in über 60 Regionen rund um den Globus.
Diese infrastrukturelle Übermacht, entstanden in den letzten 15 Jahren, gewinnt im Zeitalter der generativen Künstlichen Intelligenz zusätzliche Bedeutung, da riesige Rechen- und Netzwerkkapazitäten die Voraussetzung für deren Weiterentwicklung sind.

Die gekonnte Lobbyarbeit der Amerikaner
Die weltumspannende Infrastruktur der Hyperscaler lässt sich nur unter Berücksichtigung des globalen geopolitischen Anspruchs der USA sowie einer gezielten, strategischen und tatkräftigen Unterstützung durch den amerikanischen Staat erklären. Entsprechend sollten die Gründe für die europäische digitale Bedeutungslosigkeit nicht nur in Markt- und Wirtschaftsfaktoren, sondern auch in der politischen Prioritätensetzung und Umsetzung gesucht werden.
Die transatlantischen Reflexe europäischer Entscheidungsträger haben dazu geführt, dass amerikanische Anbieter als unbedenklich gelten. Selbst nach den Enthüllungen von Edward Snowden im Jahr 2013 blieb dieser Trend weitgehend unverändert. Die gekonnte Lobbyarbeit der praktisch größten Unternehmen der Welt sowie ihr beachtlicher Vorsprung in technischen Fähigkeiten und Skalierbarkeit tragen ebenfalls zu diesem Ergebnis bei. Trotz der seit langem in informierten Kreisen bestehenden Sorge um die eigene IT-Schwäche in Europa werden ständig Kauf- und Investitionsentscheidungen getroffen, die die dominierende Stellung der Silicon-Valley-Anbieter zementieren.
So fungiert etwa die SAP-Tochter Delos als Zwischenhändler, um Microsofts Cloud-Dienste an deutsche Behörden zu vertreiben. Und auch das BSI hat nach dem Protest der Gesellschaft für Informatik auf seine umstrittene Kooperation mit Google reagiert – mit einer Stellungnahme, die die Kritik zwar anerkennt, zugleich aber die Entscheidung verteidigt. Die Gefahr einer vollständigen digitalen Abhängigkeit, so die Argumentation, könne durch vom BSI vorgegebene „souveräne Kontrollschichten“ entschärft werden.

Europäisches Cloud-Projekt scheitert an seinen Zielen
Ein besonders spektakuläres Beispiel für diese widersprüchliche Vorgehensweise ist Gaia-X, eine von Frankreich und Deutschland angeführte, schon im Jahr 2019 (während der ersten Trump-Amtszeit) ausgerufene Großinitiative, offene Cloud-Technologien und Standards im Sinne der europäischen digitalen Souveränität aufzubauen. Der damalige deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat die ambitionierten Ziele so definiert: „Nichts Geringeres als ein europäischer Moonshot in der Digitalpolitik.“
Schon im ersten Jahr der Initiative wurde die überraschende Entscheidung getroffen, die amerikanischen Hyperscaler mit an Bord zu nehmen und ihnen eine aktive Rolle in den zentralen Arbeitsgruppen zuzugestehen. Vorausgegangen war eine umgehende Bewerbung durch den Lobbyverband Digital Europe, dem auch mehrere US-Tech-Giganten angehören. Der kontroverse Schritt wurde breit kritisiert, was den Gaia-X-Koordinator der Bundesregierung dazu bewegt hat, ihn zu verteidigen: „Es macht keinen Sinn, die US-Konzerne auszuschließen.“ Ein Alleingang ohne Hyperscaler würde Europas Cloud-Pläne schwächen, so das Argument der Befürworter, die den Technologievorsprung der US-Unternehmen nutzen wollten.
Schon ein Jahr später zeichnete sich das Scheitern des ambitionierten Projekts ab: Erste europäische Gründungsmitglieder traten enttäuscht aus. Bis heute hat das Projekt keine greifbaren, wirtschaftlich relevanten Ergebnisse geliefert. In diesem Jahr ist auch der deutsche Referenzanbieter Nextcloud aus dem Projekt ausgestiegen. Der Kommentar seines Gründers war unmissverständlich: „Vom ursprünglichen Ziel, eine europäische Cloudalternative zu den amerikanischen Hyperscalern wie Amazon oder Microsoft auf die Beine zu stellen, ist heute nicht mehr die Rede.“ Gaia-X ist in seinen Zielen vollständig gescheitert.

Die Initiative ist repräsentativ für den Umgang mit dem Thema digitale Souveränität: Das offensichtliche Problem wurde nicht vollständig ignoriert, und die politische Rhetorik sowie die ambitionierten Absichtserklärungen gingen in die richtige Richtung. Es fehlen jedoch stets die geopolitisch mutigen und von der Lobby unabhängigen praktischen Schritte.
Der Wille, die einheimische Industrie bei der Gestaltung und dem Aufbau neuer Lösungen zu unterstützen, fehlt vollständig. Stattdessen versucht man, durch typische EU-Regulierungsmuster das Silicon Valley mit „EU-Kontrollschichten“ zu zähmen – ohne echte Konkurrenz zu schaffen. Oft sind die Souveränitätsinitiativen dadurch sogar kontraproduktiv.
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Europa ist in Bezug auf seine digitale Infrastruktur in einer bedenklichen Abhängigkeitssituation. Die verpassten Jahrzehnte, fehlende Mega-Investitionen und mangelnde politische Tatkraft machen es schwierig, diesen Rückstand aufzuholen.


