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Mein Sohn Konstantin ist jetzt fast 34 Jahre alt. Er ist seit seiner Geburt geistig behindert und braucht Unterstützung in fast allen Lebenslagen. Weil wir Eltern nicht ewig am Leben sein werden, sollte er eigentlich längst in einer betreuten Wohngemeinschaft leben. Doch Corona hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht - wir haben kein Vertrauen mehr in den Staat und die Träger solcher Einrichtungen.
Konstantin ist trotz seiner Behinderung ein lebensfroher junger Mann. Schon als kleines Kind fiel er durch seine unbändige Fröhlichkeit auf. Mit großer Begeisterung sang er als Achtjähriger die Lieder von Pippi Langstrumpf und träumte davon, mit ihr, Tommy und Annika in der Villa Kunterbunt zu wohnen.
Eine wunderbare Gabe
Sein von den Ärzten diagnostiziertes Marker X-Syndrom hat dazu geführt, dass Konstantin nicht lesen und schreiben kann, aber er hat die U-Bahnstationen vom Elsterwerdaer Platz bis zum Alex auswendig gelernt, erkennt die Stationen an den Wortbildern und weiß, wie Aldi und Netto oder Penny geschrieben werden. Er liebt es einzukaufen, am liebsten allein - eben so, wie es Gleichaltrige tun.
Als ich mir letzten Sommer bei einem Urlaub an der polnischen Ostsee den Fuß brach, ging er dort einkaufen, ohne jede Angst vor der Fremdsprache. Konstantin hat die wunderbare Gabe, ohne Scheu auf Menschen zugehen zu können. Ein Einkauf in Polen war für ihn kein Problem.

Betreuung ermöglicht Konstantin ein relativ selbstständiges Leben
Deswegen waren wir Eltern immer sehr optimistisch, dass der Umzug vom Elternhaus in eine Wohngemeinschaft kein besonders großes Problem sein würde. Natürlich würde es wehtun, das war klar, aber Konstantin sollte auch sein eigenes Leben leben dürfen.
Wir schlossen einen Vertrag mit einer kirchlichen Einrichtung. Konstantin bekam zwei Betreuer an die Seite gestellt, mit denen er lernte, Wege von der Arbeit zu den Eltern oder zum Behindertensportverein, in dem Konstantin seit Jahren in Köpenick mit anderen behinderten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen trainiert, zu erlernen.
Das ist gar nicht so einfach, denn wir, seine mittlerweile getrennt lebenden Eltern, wohnen weit voneinander entfernt. Der Vater wohnt in Kaulsdorf, ich, die Mutter, bin nach Mittenwalde in Brandenburg umgezogen. Will Konstantin zu mir, muss er mit der S-Bahn bis Königs Wusterhausen fahren und hier am Bahnhof den richtigen Bus finden. Eine Herausforderung!
Das zuständige Amt in Hellersdorf unterstützt dieses Wegetraining mit finanzieller Hilfe. Klar, die täglichen Transporte von zu Hause zur Arbeit und umgekehrt mit einem Fahrdienst sind sehr teuer. Im Vordergrund stand aber vor allem das Ziel, dass Konstantin einmal entsprechend seiner Entwicklung ein relativ selbstständiges Leben führen können soll - in einer betreuten WG.
Die Betreuerin fühlte sich zur Kündigung gedrängt
Wie immer schloss Konstantin seine beiden Betreuer schnell in sein Herz, vor allem Marie Perler (Name von der Redaktion geändert). Lange Zeit hatte sie auch allein die Betreuung von Konstantin übernommen. Doch dann kam Corona mit schweren Einschnitten vor allem im Gesundheitswesen. Auch die Arbeit von Marie mit Konstantin gehörte in diesen Bereich. Der Lockdown, das Tragen der Masken erschwerten den Kontakt, doch die dann beschlossene Impfpflicht für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Gesundheitswesen machte dem Wegetraining ein Ende, denn die Betreuerin hatte Bedenken gegen die Impfung und fühlte sich schließlich in die Kündigung gedrängt.
„Hätte ich nicht selbst gekündigt, wäre ich spätestens im August 2022 gekündigt worden“, sagt sie heute. Das Gesundheitsamt hatte ihr zuvor immer wieder zugesetzt, sie möchte den Impfnachweis erbringen. Es war die Pistole auf der Brust. Sie verstand die Welt nicht mehr, es ging ihr sehr schlecht - und meinem Sohn auch, denn er hatte eine sehr wichtige Bezugsperson verloren. Die Traurigkeit wollte lange Zeit kein Ende nehmen.

Behinderte in einer WG litten besonders unter Corona-Maßnahmen
Viele Behinderte wurden einfach mit den neuartigen Corona-Impfstoffen geimpft - oftmals war das die Voraussetzung für das Verbleiben in den Einrichtungen oder auch das Arbeiten in einer Behindertenwerkstatt. Konstantin war und ist bis heute bei der USE im Bootsbau beschäftigt.
Gleichzeitig erfuhren wir Eltern, was in den Einrichtungen und Wohngemeinschaften für behinderte Menschen los war in der Corona-Zeit. Besuchsverbote, Ausgangsverbote, das Tragen von Masken sogar in den Zimmern, Betreuer, die plötzlich keine Gesichter mehr hatten wegen der Masken, Berührungen wenn überhaupt nur durch Einmalhandschuhe hindurch, mit Polizeiband abgesperrte Sessel und Couchecken, keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr - all das ließ mich als Mutter tief erschrecken. Wie konnte der Staat, der bis dahin so viel tat für behinderte Menschen, das nicht nur zulassen, sondern fordern?
Behinderte können all das nicht verstehen. Sie bekommen Angst und erhielten in dieser Situation keine Unterstützung. Die Eltern oder nahe Verwandte durften sie über Wochen und Monate nicht besuchen oder nur unter Einhaltung strenger Abstandsregeln, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Einrichtungen mussten sich an die Verordnungen halten. Die Behinderten blieben sich mit ihren Ängsten oftmals allein überlassen, und nicht nur das, sie vereinsamten.
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So etwas können wir unserem über alles geliebten Sohn nicht zumuten. Er würde das nicht überleben; wir Eltern würden daran zugrunde gehen.
Die EU-Kommission hat gerade wieder Millionen Corona-Impfdosen gekauft. Immer wieder wird in den Nachrichten von der Gefahr neuer Pandemien gesprochen. Vor diesem Hintergrund wird unser Sohn, solange wir Eltern leben - wir sind jetzt Anfang 60 - und in der Lage sind, für ihn zu sorgen, nicht in eine Wohngemeinschaft umziehen. Unser Vertrauen ist weg!


