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Architektur der Macht: Die Spuren von Hitlers „Welthauptstadt“-Wahn in Berlin

Während der NS-Zeit sollte Berlin zu einer „Welthauptstadt“ nach dem Vorbild Roms umgestaltet werden. Die Gebäude erfüllten dabei propagandistische Zwecke.

Germania, die geplante Reichshauptstadt der Nazis
Germania, die geplante Reichshauptstadt der Nazispa/Prisma

„Rom hat mich ergriffen“, soll ein bewegter Adolf Hitler bei einer nächtlichen Plauderei im Führerhauptquartier rund einen Monat nach Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ seiner Umgebung verraten haben. Diese setzte sich aus einem exklusiven Kreis der engsten politischen und militärischen Vertrauten sowie den Sekretärinnen des „Führers“ zusammen, der nach kraftzehrenden Arbeitstagen Erholung und Entspannung in geselliger, handverlesener Runde zu finden suchte.

In den die aktuellen weltpolitischen Geschehnisse vermeidenden Gesprächen, die eigentlich Monologe darstellten, erging Hitler sich in Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend, erörterte die Bedeutung einer ausgewogenen Ernährung, dozierte über die philologischen Unterschiede des Deutschen und Englischen, um sodann zu ethnographischen Beobachtungen ihrer Sprecher zu wechseln. Mit ausgesprochener Vorliebe tat er der überschaubaren Tischgesellschaft sein Verständnis von Kunst kund, wobei vor allem musikalische und architektonische Fragen dominierten.

So auch in besagter Unterredung in der Nacht vom 21. auf den 22.7.1941, in der Hitler von der Schönheit italienischer Städte schwärmt und insbesondere Roms Paläste, Kirchen und Burgen rühmt. Paris hingegen kann im Vergleich nicht bestehen, habe es doch abgesehen vom Triumphbogen nichts dergleichen, das sich mit der italienischen Hauptstadt messen lassen könne. Es war der Mangel an Großem, Erhabenem, Kolossalem, das der Diktator in der französischen Metropole vermisst hatte und daraufhin umso entschlossener den Beschluss fasste, in Berlin dieses Defizit nicht entstehen zu lassen.

Tatsächlich nahm das monumentale Element eine kardinale Position in Hitlers Vorstellungen einer idealen Architektur ein, die gleichermaßen funktionalen wie ideologischen Aufgaben gerecht werden sollte. Bereits in ,,Mein Kampf“ finden sich Belege für die dem Städtebau zukommenden Bestimmungen unter propagandistischen Gesichtspunkten. Nur Orte, die über den „magischen Zauber“ eines Rom verfügten, könnten „auf die Dauer einer Bewegung Kraft schenken, die in der inneren Einheit und der Anerkennung einer diese Einheit repräsentierenden Spitze begründet liegt“, gab sich der Autor überzeugt.

„Repräsentation, Indoktrination, Legitimation“: Architektur als Propaganda

Als er weniger als ein Jahrzehnt später nach Verfassen dieser Zeilen das Amt des Reichskanzlers antrat, wandte er sich umgehend der Verwirklichung seiner Überzeugungen zu. Von ihrer praktischen Umsetzung finden sich auch heutzutage noch unzählige Spuren im Berliner Stadtbild. Politische und architektonische Anschauungen gingen in Hitlers wahnhaftem Weltbild eine Symbiose ein, die ihren gestalterischen Niederschlag in der Errichtung von Neubauten fand, welche als Leistungsnachweise für die Tat- und Entschlusskraft des Nationalsozialismus zu gelten hatten.

Folglich waren die zwölf Jahre des Dritten Reiches durch eine rege Bautätigkeit geprägt, welche als ein systematisches eingesetztes Propagandamittel fungierte. Die heimische Bevölkerung wie ausländische Besucher sollten angesichts monumentaler Bauwerke in Ehrfurcht geraten und dem herrschenden Regime Anerkennung zollen. Zudem erlaubten Anlagen, welche Massenveranstaltungen ermöglichten, eindrückliche Demonstrationen von der wortreich beschworenen Geschlossenheit der Nation, wodurch sowohl innen- als auch außenpolitische Signale ausgesendet werden konnten.

Nicht von ungefähr waren es Sportstätten, die in totalitären Staaten mit besonderer Aufmerksamkeit angegangen wurden, vereinigten sie doch schon ihrem Wesen nach ideologische wie praktische Funktionen. Während Athleten unter dem Banner des jeweiligen Systems die Überlegenheit desselbigen im sportlichen Wettkampf zu beweisen hatten, sollte dieser in Arenen stattfinden, die mehrere Zwecke gleichzeitig erfüllten: Repräsentation, Indoktrination, Legitimation.

Sportliche Tätigkeit verkam somit zum Appendix politischer Erwägungen. Im vergangenen Jahrhundert erbrachten der deutsche und italienische Faschismus nachdrückliche Bestätigung für die Vereinnahmung des Sports unter weltanschaulichen Vorzeichen. So entstand ab Mitte der 1920er zunächst in Rom in mehreren Bauabschnitten ein kolossaler Sportkomplex, als dessen Auftraggeber sich der seit 1922 regierende Benito Mussolini erwies.

Im Vordergrund: Eine steinerne Weltkugel und Platz mit Marmor-Mosaiken. Im Hintergrund ist der Mussolini-Obelisk mit der lateinischen Inschrift "Mussolini Dux" zu sehen, daneben das Foro Italico, Sportstättenkomplex, erbaut zwischen 1928 und 1938, Rom, Italien. 
Im Vordergrund: Eine steinerne Weltkugel und Platz mit Marmor-Mosaiken. Im Hintergrund ist der Mussolini-Obelisk mit der lateinischen Inschrift "Mussolini Dux" zu sehen, daneben das Foro Italico, Sportstättenkomplex, erbaut zwischen 1928 und 1938, Rom, Italien. imago

Antiken Vorbildern nacheifernd, die der ,,Duce“ als stilgebend für seine als moderne Neuauflage des römischen Imperiums empfundene Herrschaft ansah, nahm im Westen der italienischen Hauptstadt ein gigantisches Projekt Gestalt an: das ,,Foro Mussolini“. Zum zehnten Jahrestag des Machtantritts seines Namensgebers eingeweiht wirkte es mit dem von 22 Marmorstatuen umrundeten Stadion, den dahinterliegenden Pinienhaien und dem säulenverzierten Eingangsbau wie eine zeitgenössische Entsprechung des olympischen Ideals. Auch der 17 Meter hohe Obelisk im Vorfeld war eine Reminiszenz an das Altertum, gleichsam der lateinischen Inschrift, die die Worte ,,Mussolini Dux“ barg.

Sollten noch Zweifel bestanden haben, unter wessen Ägide der Sportbetrieb zu erfolgen hatte, wurden diese in Folge eines weiteren Bauabschnitts gänzlich beseitigt; 1937 konnte der 280 Meter lange Vorplatz hinter dem Obelisken eröffnet werden. Tausende Mosaiken verkündeten den Besuchern, die diese Strecke auf ihrem Weg zu den Sportstätten zwangsläufig nehmen mussten, von den heroischen Entwicklungsstufen des italienischen Faschismus und seines Begründers, dessen Name nicht weniger als 265-mal Erwähnung fand. Nirgendwo sonst konzentrierten sich im Stadtbild Roms in derartigem Maße Geschichtspolitik, Personenkult und Funktionalität an einem einzigen Ort.

Sport und Politik: Das Berliner Olympiastadion

Das nationalsozialistische Pendant hierzu wurde ebenfalls in der Hauptstadt errichtet und lag gleicherweise im Westteil. Noch vor Beginn des Ersten Weltkriegs war das Gebiet nördlich des Grunewaldes für sportliche Zwecke erschlossen und zu Weimarer Zeiten mit mehreren Sportanlagen ergänzt worden. Nach 1933 kam es zu einer grundlegenden Umgestaltung jenes Geländes, das alsbald zum sogenannten Reichssportfeld avancierte.

Für die anstehenden Olympischen Sommerspiele 1936 musste eine würdige Bühne her, die dem inszenatorischen Schauspiel eines Tausendjährigen Reiches genügen sollte, weshalb frühzeitig umfangreiche Baumaßnahmen einsetzten. Ihnen zugrunde lag ein Konzept, das sportliche Aspekte explizit hinter das politische Primat stellte; eine Ausrichtung, die maßgeblich auf Hitler zurückging, der sich zeitlebens als verkannten Architekten begriff, nun aber über Mittel und Möglichkeiten verfügte, seine Vorstellungen in die Wirklichkeit umzusetzen.

Das Archivfoto vom 12.07.1997 zeigt eine Luftaufnahme des Berliner Olympiastadions.
Das Archivfoto vom 12.07.1997 zeigt eine Luftaufnahme des Berliner Olympiastadions.dpa

Eindeutig ist seine Handschrift in den Entwürfen zu erkennen, die schließlich steinerne Formen annahmen. In weniger als zwei Jahren Bauzeit entstand ein monumentales Ensemble, das allein durch seine wuchtige Erscheinungsform auf Eindruck und Achtung abzielte. Im Mittelpunkt befand sich das Olympiastadion – ein massiver Großbau aus Naturstein, scharfkantig umrissen, streng proportioniert. Wurde es über den östlich gelegenen Haupteingang betreten, musste der davor liegende olympische Platz überschritten werden, der von einer bemerkenswerten Kargheit geprägt ist.

Umso gewaltiger erscheint deshalb dem Besucher das dahinterliegende Stadion, das mit jedem Schritt vorwärts an Größe zunimmt. Hat man es erreicht, erlaubt eine visuelle Sichtachse den Blick gen Westen durchs Marathontor über das Maifeld – mehr als 100.000 Quadratmeter Aufmarschgelände – auf den Glockenturm, der den baulichen Schlusspunkt setzt. Von Hitler angeordnet, von den Bauherrn umgesetzt entsprach diese orchestrierte Anordnung einer sorgfältigen propagandistischen Inszenierung, die „erstmals militärisches Gedenken und heroisierenden Opferkult mit einer Sportanlage“ verband, wie es auf einer Informationstafel in der Langemarckhalle heißt.

Diese sich unterhalb des Glockenturms befindenden Räumlichkeiten waren dem Andenken der in der gleichnamigen Schlacht des Ersten Weltkriegs gefallenen Freiwilligenverbände gewidmet worden, wodurch zum einen der Tod für das Vaterland mystifiziert, zum anderen eine perfide Verbindungslinie von sportlicher zu militärischer Aktivität gezogen wurde. Im Turm selbst war ein ,,Führerstand“ angebracht, der einen ungetrübten, weitreichenden Panoramablick über den gewaltigen Komplex gewährte.

Das Reichssportgelände mit seinen markanten Bauten bildete den Auftakt für die gigantomanischen Pläne, die das Antlitz der Reichshauptstadt nachhaltig verändern sollten. Mittels überdimensionalen Bauwerken, Prunkachsen und Plätzen, deren Entwürfe an zu Papier gebrachten Größenwahn gemahnen, war nichts Geringeres als die buchstäbliche Zementierung des nationalsozialistischen Anspruchs auf eine dem Dritten Reich ziemende urbanistische Repräsentation beabsichtigt. Gebäude und Straßenzüge wurden mit der dezidierten Intention angelegt, Bewohner und Besucher gleichermaßen zu beeindrucken und einzuschüchtern.

„Berlin wird als Welthauptstadt nur mit dem alten Ägypten, Babylon oder Rom vergleichbar sein“, ließ Hitler im Frühling 1942 seine Umgebung im Zuge einer der vielen nächtlichen Zusammenkünfte gewohnt pathetisch wissen. Abermals versank der oberste Entscheidungsträger in architektonischen Grübeleien, um sich Ablenkung von der stetig kritischer werdenden Kriegslage zu verschaffen. Bis zuletzt versuchte er, Trost und Zerstreuung in solcherlei Hinwendung aufzufinden; noch im Bunker unter der Reichskanzlei in den letzten Kriegstagen wandte er seine Aufmerksamkeit städtebaulichen Angelegenheiten zu.

Am Ende lagen seine vermessenen Vorstellungen wortwörtlich in Trümmern, Berlin war in eine Ruinenlandschaft verwandelt worden. Einige von Hitlers Prestigebauten hatten den Krieg jedoch weitestgehend unbeschadet überstanden und sind daher noch – von den einschlägigsten Inschriften und Symbolen gesäubert – im heutigen Stadtbild präsent. Lautlos und stumm stellen sie ein unübersehbares Erbe der Vergangenheit dar.

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