Venedig Biennale

Wie Maria Eichhorn in Venedig deutsche Nazi-Architektur dekonstruiert

Maria Eichhorn wollte den deutschen Pavillon auf der Venedig-Biennale schlicht abbauen lassen. Das klappte nicht, also legt sie seine Tiefenschichten frei

Italien, Venedig: Der deutsche Pavillon vor der 59. Kunstbiennale (23.4.–27.11.) beim Preview Opening.
Italien, Venedig: Der deutsche Pavillon vor der 59. Kunstbiennale (23.4.–27.11.) beim Preview Opening.Felix Hörhager

Der deutsche Pavillon steht auf einer Anhöhe, felsenfest gemauert auf seinem Fundament. Geradezu unverrückbar wirkt er in den Giardini in Venedig. Nun wäre durchaus vorstellbar, dass dieses mit Geschichte und künstlerischer Sinnsuche immer wieder neu aufgeladene Gebäude mitsamt seinem NS-strotzenden Säulenportiko weg wäre. Einfach weg. Und hier stattdessen eine Leerstelle klaffte. Mit Gebüsch und Erde und einem freien Blick zu den umgebenden Pavillons – dem britischen, kanadischen, dem französischen.

So oder so ähnlich könnte der Versuch aussehen, Maria Eichhorns Gedankengänge nachzuvollziehen. Denn es war ihre Idee, den deutschen Pavillon schlicht verschwinden zu lassen, Aufladung durch Abwesenheit zu schaffen. Temporär – für die Laufzeit der Biennale bis November. Dadurch entstünde demnach ein Raum für barrierefreies Denken, für Bewegung, Reflexion und Auseinandersetzung mit den Bedingungen, welchen die Kunst im Kontext der Biennale mit ihren nationalen Pavillons ausgesetzt ist. Erst recht der deutsche Pavillon mit seiner NS-Geschichte.

Eichhorn verfolgt ein radikales Konzept

So weit hat bisher noch keiner gedacht. Nicht einmal Hans Haacke, der in seiner Arbeit „Germania“ 1993 den Marmorboden des Innenraums aufriss wie eine große Wunde. Dass Eichhorn ein radikales Konzept verfolgt, wurde erwartet. Da enttäuscht es fast, dass der Pavillon jetzt doch noch dasteht, und innen vor allem eins ist: leer.

Wären da nicht diese breiten Bruchlinien in den cleanen weißen Wänden. Wäre der Putz dort nicht abgeschlagen bis hoch zu den Oberlichtern. Und klafften da nicht tiefe Löcher im Boden, die in ein Fundament aus Ziegelmauern und sie durchbohrende Balken aus Stahlbeton blicken lassen. Man sieht, auch Maria Eichhorn hat sich an dem Pavillon abgearbeitet – indem sie seine Schichten freilegt. In welchem Ausmaß, das ergründet sich erst nach und nach. Die Idee der Versetzung und eines Rückbaus des Pavillons bildet den Kern ihres Kunstwerks. So wie die Analyse der Gebäudestruktur.

Über ein Jahr hat Eichhorn sich in alle Archive vertieft, die Unterlagen zum deutschen Pavillon gesammelt haben, von Venedig bis ins Auswärtige Amt in Berlin. 1909 als „Bayrischer Pavillon“ gebaut, wurde er 1938 von den Nationalsozialisten vergrößert. Eichhorn fand Baupläne, die das ganze Ausmaß zeigten und sie dazu veranlassten, den Boden aufzubrechen und die Fundamente freizulegen.

Ursprünglich war der Pavillon nur halb so groß. Die abgeschabten Putzschichten an den Wänden lassen die Nahtstellen des Um- und Erweiterungsbaus zutage treten und zugemauerte Durchgänge erkennen. Ziegeln des Altbaus treffen auf durch die Nazis in Beton gebaute Apsis und Seitenschiffe. Die im Baumaterial verborgene Geschichte macht Eichhorn somit sichtbar, erfahrbar. Die Umformung von Architektur ist überhaupt ein Thema der Tiefenschürferin. Und einer der Gründe, warum der vom Außenministerium für den deutschen Pavillon bestallte Kurator Yilmaz Dziewior – Direktor des Museum Ludwig Köln – sich für sie als Künstlerin entschieden hat und sie auch intensiv bei den Recherchen begleitete.

Kunst fragt: Wem gehört der deutsche Pavillon?

Maria Eichhorn, 1962 in Bamberg geboren und bis 1990 Studentin von Karl-Horst Hödicke an der heutigen UdK Berlin, beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit deutscher Geschichte und hat viel zu Fragen von Restitution gearbeitet. Sie verhandelt die historische und politische Bedeutung des jeweiligen Ausstellungsorts – und seine architektonische Verfasstheit. Ihr Werk ist institutionskritisch, lakonisch und stringent. Auf der 14. Documenta etwa gründete sie 2017 in Kassel das „Rose Valland Institut“ und wandte sich in einer 100-Tage-Call-Aktion den unrechtmäßigen Verhältnissen von NS-Raubgut in ererbtem Besitz in Deutschland zu.

Es sind immer langlaufende Prozesse. So hat Maria Eichhorn in Venedig auch ihre Ursprungsidee der Versetzung des Pavillons – trotz seiner bis ins Detail errechneten Durchführbarkeit, aber zu hohen Kosten – nicht verworfen, sondern sie als einen mehrerer Komponenten in ihr Kunstwerk einverleibt. Der Titel „Relocating the structure“ ist buchstäblich zu verstehen. Denn das Versetzen von Gebäuden, zumal in Freilichtmuseen, ist eine durchaus übliche Praxis.

Von zwei Firmen ließ sie zwei Szenarien für einen Ab- und Wiederaufbau berechnen – eines davon mit Kran. 10 Millionen Euro hätte das gekostet und wäre bei einem Budget von circa 1,7 Millionen Euro – wovon 750.000 vom Auswärtigen Amt kommen, der Rest sind Sponsorengelder – undenkbar gewesen. All das führte Eichhorn zur Frage nach dem Status des Pavillons: Eigentümer ist das deutsche Auswärtige Amt. Das Land, auf dem es steht, gehört wiederum dem italienischen Staat. Die Denkmalpflege der Stadt Venedig wacht über den sorgsamen Umgang mit dem Gebäude, und zwar sehr streng.

Eichhorn holte daher eine ansässige Archäologin und einen Restaurator mit ins Boot. Die wiederum haben ihre Arbeit an der Freilegung im Katalog dokumentiert, der eine weitere wichtige Komponente hinzufügt. Doch um ihn studieren zu können, muss man ihn erst käuflich erwerben. Das ist ein kleiner Wermutstropfen an diesem komplexen Kunstwerk, das auch an den Grenzen des Grundstücks nicht Halt macht.

Denn draußen, den Hügel hinab und in die Stadt, lädt Eichhorn mit eigens organisierten Führungen zu Orten der Erinnerung und des Widerstands ein. In einer Art analogen „Augmented Reality“ öffnet sie Erzählräume, die die Widerstandskämpfe während der Okkupation Italiens durch die Nationalsozialisten gleichsam zum Anti-Narrativ dessen machen, was im Pavillon zu sehen ist. Da liegt etwa seit Jahr und Tag die bronzene „Partigiana“ – das Denkmal für die Partisaninnen Venetiens, am Wegesrand zu den Giardini im Wasser. Im Gebüsch steht die Büste Richard Wagners auf hohem Sockel. Der Komponist liebte Venedig, er starb in der Lagunenstadt. Und wie war das mit den Nazis? Maria Eichhorn hat es geschafft, mit ihrer Kunst die eigene Wahrnehmung zu schärfen.