Debatte

Xavier Naidoo: Meint er seine Entschuldigung ernst? Sollten wir ihm verzeihen?

Xavier Naidoo hat sich für die Verbreitung von Verschwörungstheorien entschuldigt. Ist das nur ein PR-Gag? Unser Autor hat eine klare Antwort.

Xavier Naidoo
Xavier Naidooimago

Am 19. April hat Xavier Naidoo ein Video auf Youtube veröffentlicht, in dem er sich dafür entschuldigt, „von Verschwörungserzählungen geblendet“ gewesen zu sein. Er habe sich „verrannt“ und „Dinge gesagt und getan“, die er heute bereue. Er distanzierte sich von „rechten und verschwörerischen Gruppen“ und betonte, dass deren Gedankengut nicht mit seinen Werten zu vereinen sei. Für viele kommt dieser Gesinnungswandel überraschend. Was ist davon zu halten?

Zur besseren Einschätzung meiner Position vorweg: Ich kann Xavier Naidoo nicht leiden. Damit meine ich nicht den Menschen, schließlich kenne ich den gar nicht, sondern den Künstler. Mag sein, dass Naidoo ein wirklich guter Sänger ist – mir geht seine Stimme auf die Nerven. Seine Musik ist eindeutig für eine andere Zielgruppe geschrieben und die Texte vieler seiner Songs berührten mich schon auf seinem Debüt „Nicht von dieser Welt“ unangenehm.

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Foto: Maren Kaschner
Zum Autor
Anselm Neft, geboren 1973 bei Bonn, studierte abseitige Fächer, schrieb seine Magisterarbeit über zeitgenössischen Satanismus, verschliss Jobs vom Tellerwäscher bis zum Unternehmensberater und lebt heute als freier Autor und Schriftsteller in Hamburg. Dort betreibt er den Literaturpodcast „laxbrunch“ und schreibt Artikel und Bücher. Sein neuester Roman heißt „Späte Kinder“ und ist im Rowohlt-Verlag erschienen.

Xavier Naidoo war ein Verschwörungstheoretiker

Neben klebrigen Texten wie „Führ mich ans Licht“ oder „Nicht von dieser Welt“ fand sich allerdings auf dem Erstling auch das lyrisch überraschend aggressive „Könnt ihr mich hören“, ein Song, in dem der multiethnische Musiker rassistischen Angreifern wortgewaltig mit gewaltvollem Widerstand droht. In der öffentlichen Wahrnehmung trat Naidoo aber vor allem als Apostel des Friedens und der Liebe auf – christlich inspiriert und mit einem Sendungsbewusstsein, das manche anzog, andere – zum Beispiel mich – abstieß.

Da ich kein Fan war, schockierte es mich nicht, als zunehmend klarer wurde, dass Naidoo öffentlich Thesen der extremistischen Reichsbürger verbreitete, den Holocaust leugnete und die antisemitische Hetzschrift „Die Protokolle der Weisen von Zion“ als eins der „wichtigsten Dokumente der Menschheitsgeschichte“ vorstellte.

Mit einem kurzen „Sorry“ sei es da nicht getan

Naidoo fabulierte schon 2012 gemeinsam mit Kool Savas auf einem Hiddentrack des Albums „Gespaltene Persönlichkeit“ in QAnon-Manier über satanistische Pädophilenringe der Elite, nannte Attila Hildmann einen „Bruder im Geist“ und startete noch 2021 mit dem Rechtsextremisten Hannes Ostendorf ein musikalisches Projekt namens „Die Konferenz“. Die Liste der rechtsextremen und verschwörungsgläubigen öffentlichen Aussagen von Naidoo ist lang und reicht bis zu seinem Plattendebüt von 1998 zurück.

Es gibt also guten Grund, Naidoos dreiminütigen Erklärvideo mit Skepsis zu begegnen, so wie es der Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit tut. Für Speit ist der Ausstieg aus der rechtsextremen Szene ein „lebenslanger Prozess“. Mit einem kurzen „Sorry“ sei es da nicht getan.

Jeder hat eine Chance verdient

Es mag sein, dass Naidoos Entschuldigung nicht ausreicht. Und es mag sogar sein, dass sie nicht ehrlich gemeint ist. Es besteht die Möglichkeit, dass der Sänger seinen Imageverlust im Mainstream zunehmend finanziell und sozial gespürt und nun zum Schein eingelenkt und sich von allen möglichen fragwürdigen Aussagen distanziert hat. Es ist nicht abwegig, der Entschuldigung eines Künstlers zu misstrauen, der über zwei Jahrzehnte ziemlich von seiner Sichtweise überzeugt gewesen zu sein schien und der gerne zu PR-Zwecken polarisiert.

Ich plädiere dennoch dafür, seine Entschuldigung anzunehmen und ihn im sozialen Sinne zu rehabilitieren. Was nicht heißt, dass er sich in Zukunft keiner Kritik für vergangene Aktionen stellen muss, mit denen er gewaltbereite Rechtsextreme in die Mitte der Gesellschaft geholt hat.

Für eine Rehabilitation spricht in meinen Augen eine menschenfreundliche und eine strategische Überlegung. Menschenfreundlich ist es, anderen das zu ermöglichen, was man sich für sich selbst wünscht. Und wer wünscht sich nicht, dass man ihm glaubt, wenn er seine Meinung ändert und sich von vergangenen Äußerungen und Handlungen distanziert?

Menschen können dazulernen

Wer steht heute zu jeder Haltung und Äußerung der vergangenen Jahre und möchte nicht gerne das eine oder andere ungeschehen machen? Klar, Naidoo ist ein extremer Fall, aber auf der anderen Seite ist er kein Serienmörder, der sich reumütig gibt und auf Freigang plädiert. Würde man Naidoo zu Unrecht glauben, wäre der Schaden überschaubar. Ein menschenfreundliches Verhalten ist in diesem Fall also recht günstig zu haben.

Strategisch erscheint mir eine Rehabilitation deswegen richtig, weil sie all den Menschen, die aus menschenfeindlichen Gruppierungen – seien es Naziorden, mafiöse Clans, gewalttätige Linksextremisten oder islamistische Terroristen – aussteigen wollen, Hoffnung macht. Während eine Unversöhnlichkeit gegenüber einem erklärten „Aussteiger“ wie Naidoo die verzweifelte Wagenburgmentalität von Extremisten verstärken dürfte.

Und schließlich: Wie traurig wäre es, wenn wir nicht daran glauben würden, dass Menschen ihre Meinung grundlegend ändern und dazulernen können?

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