Es gibt die Klagen seit Jahrzehnten, früher verhallten sie ungehört. Seit Corona lässt sich nicht mehr verdrängen, dass das beste Gesundheitssystem der Welt schon lange derart auf Kante genäht ist, dass die Versorgung gefährdet war – und immer noch ist.
Sowohl in Kliniken als auch in Altenheimen und bei ambulanten Pflegediensten fehlen so viele Pflegekräfte, dass die verbleibenden kaum krank werden dürfen, weil die dann wiederum Verbleibenden aufgrund der Mehrarbeit in der Folge auch krank werden – und dann kaum noch jemand für die Versorgung der eigentlich Kranken übrig bleibt.
Immer mehr Pflegekräfte werden krank
Nach aktuellen Daten der Techniker Krankenkasse (TK) nahmen die Krankschreibungen bei Pflegekräften 2022 im Vergleich zu 2021 um 40 Prozent zu. Mit durchschnittlich fast 30 Fehltagen lagen sie rund 57 Prozent über dem Durchschnitt aller Beschäftigten. Häufigste Diagnosen: psychische Erkrankungen, Atemwegsinfekte und Rückenleiden.
Viele Pflegekräfte machen das nicht lange mit, die Abbrecherquote sowohl in der Ausbildung als auch im Job ist hoch. Nachvollziehbar, dass man sich durch den Job nicht auf Dauer seine eigene Gesundheit ruinieren will, während man sich ständig um die Gesundheit anderer Leute sorgt.
Was macht die Politik, um dieses sehr aktuelle und brandgefährliche Problem zu lösen, das uns in Zukunft aufgrund der deutschen Alterspyramide und der bevorstehenden Boomer-Rente noch viel größere Probleme bereiten wird? Sie reist mal wieder ins Ausland, um Fachkräfte anzuwerben.
Schon Spahn reiste ins Ausland – hat nichts genutzt
Schon Jens Spahn (CDU) hatte vor der Pandemie 10.000 neue Pflegekräfte durch ein „Sofortprogramm“ versprochen und war dazu unter anderem in den Kosovo gereist. Die Bilanz fiel leider sehr dürftig aus. Nichtsdestotrotz machen es ihm nun Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) nach und befinden sich aktuell auf einer Reise durch Südamerika, um vor allem für die Pflege Fachkräfte in Brasilien anzuwerben. Das stößt dort auf gemischte Gefühle.
Die ARD berichtete im Vorfeld von jungen Menschen auf quasi gepackten Koffern, die sich schon freuten, anstelle ihres jetzigen Monatsgehalts von 400 oder 500 Euro in Deutschland künftig das Vier- oder Fünffache zu verdienen. Sie berichtete aber auch von Gewerkschaften, die sich beschwerten, in die Verhandlungen über solche Abwerbeprogramme nicht einbezogen worden zu sein, zitiert wird außerdem die Aussage: „Würden beide Länder ihre Pflegekräfte ordentlich bezahlen, hätte Deutschland weniger Bedarf und Brasilianer müssten ihr Land nicht verlassen.“
Wobei man sagen muss: Die Bezahlung ist in Deutschland schon länger nicht mehr das Problem. Vor allem Fachkräfte verdienen inzwischen – im Vergleich zu manch anderen Berufen – recht anständig. Wenn sie zusätzlich als Leiharbeiter arbeiten, werden je nach Personalnotstand pro Nase gar über 10.000 Euro vom Personaldienstleister abgerufen. Monatlich, wohlgemerkt. Und auch die un- oder angelernten Kräfte werden mittlerweile nach Tarif bezahlt.
Die Überkommerzialisierung und ihre Auswirkungen sind das Problem
Das Problem hierzulande ist vor allem das System, in dem sie arbeiten. Sowohl das Gesundheits- als auch das Pflegesystem wurden in den vergangenen Jahrzehnten dermaßen auf Gewinn getrimmt, dass sie ihrem eigentlichen Zweck nicht mehr gerecht werden, nämlich: Menschen gesund zu machen. Und Menschen würdevoll in den Tod zu begleiten.
Weil viele Pflegekräfte ihren Job aber erlernt haben, um Menschen zu helfen, brennen sie aus, wenn sie das nicht mehr können. Zudem herrscht untereinander oft eine vergiftete Kultur des Mobbings, die ebenfalls für viele Ausfälle und Erkrankungen sorgt. Kommen Fachkräfte aus dem Ausland hinzu, freuen sich viele Pflegekräfte erst mal über die Entlastung, sind aber dann auch schnell genervt, wenn die oder der Neue noch viel Hilfe braucht aufgrund unterschiedlicher Systeme, Sprachbarrieren oder kultureller Unterschiede. Auch deshalb reisen viele Neuankömmlinge bald wieder ab, vor allem Fachkräfte gehen zurück in ihre Heimat oder in andere Länder. Viele fühlen sich nicht wirklich integriert.
Auch Patientenschützer Eugen Brysch warnt davor, das Anwerben von Pflegekräften aus allen möglichen Teilen der Welt als Teil einer Lösung zu betrachten. Der Pflegekräftemangel sei vor allem ein innerdeutsches Problem. „Das werden auch die wenigen zusätzlichen Hundert brasilianischen Pflegerinnen und Pfleger nicht lösen“, sagt der Vorstand der Stiftung Patientenschutz. Die Anwerbezahlen seien seit über zehn Jahren „sehr ernüchternd“, demgegenüber gehen in den nächsten zehn Jahren rund 500.000 Pflegekräfte hierzulande in Rente.
Was stattdessen helfen würde
Was stattdessen helfen würde, so Brysch: „Die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten und sogar 60 Prozent der Ausgestiegenen könnten sich eine Rückkehr in den Beruf oder ein Aufstocken der Stunden vorstellen. Mindestens 300.000 stünden damit zusätzlich zur Verfügung.“ Dafür, so der Patientenschützer, müssten sich allerdings die Arbeitsbedingungen verbessern – unter anderem die Planbarkeit der Arbeitszeiten.




