In all den Jahren, in denen ich auf der Intensivstation als Pfleger arbeite, habe ich die unterschiedlichsten Patienten kennengelernt. Ich sage es ganz deutlich: Der Großteil der mir anvertrauten Menschen ist freundlich und sehr dankbar für unsere Arbeit – aber es gibt auch eine andere Seite, die man nicht verschweigen darf:
Der ständig wachsende Personalmangel macht es immer schwieriger, den Bedürfnissen der Patienten gerecht zu werden. Das führt regelmäßig zu Frustration, die sich nicht selten am Pflegepersonal entlädt. Wir arbeiten täglich am Limit, um die klaffende Personallücke auszugleichen, kommen oft nicht dazu, vom Pausenbrot abzubeißen oder stehen stundenlang mit voller Blase am Patientenbett.
Hinzu kommt, dass viele Patienten ihre Selbstständigkeit beim Betreten der Klinik scheinbar beim Pförtner abgeben und die Notklingel als Serviceknopf missbrauchen. Alle paar Minuten wird die Schwester oder der Pfleger für Dinge gerufen, die man selbst erledigen könnte. „Schwester, können Sie mein Kissen aufschütteln ... Wasser holen ... das Kopfteil verstellen?“
Die Nerven liegen also auf beiden Seiten blank, der Geduldsfaden ist dünn. Konfrontationen und Auseinandersetzungen sind so natürlich vorprogrammiert.

Für eine Zeitarbeitsfirma springt Lange in Berliner Krankenhäusern ein, in denen die Personalnot am größten ist. Im Januar hat er ein Buch über den Pflegenotstand veröffentlicht: „Intensiv: Wenn der Ausnahmezustand Alltag ist – Ein Notruf“ (dtv). Er ist Kolumnist der Berliner Zeitung.
Frustration ist aber nicht das Einzige, was man als Pflegekraft einstecken muss: Ich war selbst schon das ein oder andere Mal in der Notaufnahme, weil ich zum Beispiel von einem Patienten gebissen wurde und eine HIV- oder Hepatitis-Infektion ausgeschlossen und die Wunde versorgt werden musste.
Psychische Erkrankungen, Verwirrtheit und Demenz oder Alkohol- und andere Drogenprobleme der Patienten sind häufige Ursachen für Gewalt gegen das Pflegepersonal.
Gewalt in der Klinik: Ein Alkoholiker rastet aus
Ich erinnere mich noch an die Situation, als eine Kollegin weinend und blutüberströmt aus dem Patientenzimmer taumelte. Ein Alkoholiker auf Entzug hatte ihr beim Waschen ohne Vorwarnung den Bettgalgen mit voller Wucht ins Gesicht geschlagen. Sie hatte eine klaffende Wunde über dem Auge, die in der Notaufnahme genäht werden musste. Ein Bild, das sich in das Gedächtnis einbrennt und das man so schnell nicht wieder aus dem Kopf bekommt.
Ich selbst habe schon Schwerverbrecher, Mörder und Kinderschänder gepflegt und geholfen, ihr Leben zu retten. Vor einiger Zeit wurde ein schwer verletzter Gewalttäter eingeliefert, der von der Polizei mit einem gezielten Schuss gestoppt werden musste. Das OP-Personal war an diesem Tag, wie so oft, deutlich unterbesetzt – daher habe ich während der Notoperation im Hintergrund agiert, die nötigen Blutkonserven geholt, Blutgasanalysen durchgeführt und Geräte besorgt. Wir hatten Erfolg – wir konnten ihn retten und anschließend auf unserer Intensivstation weiterbehandeln.
Und der Dank? Als er nach einigen Tagen aus dem künstlichen Koma erwachte, wurden die Polizisten, die ihn bewachten, und auch das gesamte medizinische Personal von ihm verbal angegriffen und bedroht. Auch ich hatte an diesem Tag Dienst und war für diesen Patienten zuständig. Jedes Mal, wenn ich das Zimmer betrat, spuckte er in meine Richtung und gab mir zu verstehen, dass ich an der Reihe bin, sobald er freikommt.
Während der Pandemie erreichten die Aggressionen eine neue Dimension. Hygienemaßnahmen, Mundschutz und PCR-Tests waren für viele ein absolutes Reizthema. Auch bei uns auf der Intensivstation gab es strenge Regeln, die wir als medizinisches Personal durchsetzen mussten. Das führte immer wieder zu Diskussionen und unschönen Beschimpfungen wie „unsympathische Dreckschlampe“ und auch Drohungen von Angehörigen waren keine Seltenheit. Auch die Patienten waren nicht immer einsichtig und teilweise sehr aggressiv.
Unterschiedliche Kulturen machen den Pflegealltag ebenfalls nicht immer einfach. Es kommt immer wieder vor, dass Patienten die Betreuung durch weibliches Pflegepersonal vehement ablehnen. Eine Kollegin hatte zum Beispiel einen männlichen Patienten, der wegen eines multiresistenten Keims im Isolierzimmer lag. Er war so weit stabil und nur zur Überwachung bei uns. Die Kollegin musste ihn immer wieder auffordern, im Zimmer zu bleiben, da er sonst den Keim auf der Station verteilen und andere Patienten gefährden könnte. Daraufhin stellte er sich provokativ vor sein Bett, pinkelte auf das Laken und die Decke und forderte sie auf, die Schweinerei zu beseitigen. Ich kam ihr zu Hilfe und habe ihm daraufhin frische Bettwäsche in die Hand gedrückt und ihm gesagt, dass er selbst entscheiden könne, ob er sich in ein vollgepisstes oder in ein trockenes Bett legen wolle.
Sexuelle Belästigung ist ein zusätzliches Problem, das immer wieder auftritt. Oft sind es ältere Herren, die einer Schwester beim Betten gerne in den Hintern kneifen oder sie auffordern, ihr steifes Glied anzufassen. Erst kürzlich erzählte mir eine gute Freundin, ebenfalls Krankenschwester, wie ihr ein Patient sein bestes Stück ins Gesicht drückte, als sie ihm nach dem Duschen die Füße abtrocknen wollte. Aber auch unter Kollegen gibt es Situationen, die ich persönlich als sehr grenzwertig empfinde. „Scharfe Schere, scharfe Schwester“ oder „Darf ich dir in die Brüste beißen“ sind Sätze, die ich von Ärzten gegenüber einer Pflegekraft schon öfter gehört habe.




