Krieg gegen die Ukraine

Offener Brief: Herta Müller und andere Prominente fordern Waffen für die Ukraine

Nach dem von Alice Schwarzer initiierten offenen Brief, der Scholz zu Zurückhaltung aufruft, sagt ein neuer: „Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache!“

Die Literaturnobelpreisträgern Herta Müller ist unter den Erstunterzeichnern des neuen Briefs.
Die Literaturnobelpreisträgern Herta Müller ist unter den Erstunterzeichnern des neuen Briefs.www.imago-images.de

Wer die europäische Friedensordnung angreift, das Völkerrecht mit Füßen tritt und massive Kriegsverbrechen begeht, darf nicht als Sieger vom Feld gehen. Das steht in einem offenen Brief, der seit Mittwoch verbreitet wird. Gemeint ist der russische Präsident als Verantwortlicher für den Angriffskrieg auf die Ukraine, wie der nächste Satz erklärt: „Putins erklärtes Ziel war und ist die Vernichtung der nationalen Eigenständigkeit der Ukraine.“ Zeit Online veröffentlicht den Brief, am Donnerstag erscheint er auch in der gedruckten Ausgabe, auf Change.org ist er zu finden und auch zu unterzeichnen.

Das „Nie wieder!“ der Deutschen

Dort trägt das Schreiben gleich zwei Überschriften. „Die Sache der Ukraine ist auch unsere Sache!“, lautet die eine, die im Text zum Beispiel mit der Formulierung, „es liegt im Interesse Deutschlands, einen Erfolg des russischen Angriffskriegs zu verhindern“ gestützt wird. Dargelegt wird auch, dass die Verteidigung der Unabhängigkeit der Ukraine ein Prüfstein dafür sei, „wie ernst es uns mit dem deutschen ,Nie wieder‘ ist“. Die zweite Überschrift – „Ein anderer Offener Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz“ – spielt auf die Debatte der vergangenen Tage an.

Am 29. April forderten 28 prominente deutsche Intellektuelle und Künstler verschiedener Sparten in der Zeitschrift Emma (gedruckt und digital) Bundeskanzler Olaf Scholz auf, dafür zu sorgen, dass Deutschland keine weiteren schweren Waffen an die Ukraine liefert. Die Rolle Russlands als Angreifer wurde zwar nicht in Zweifel gezogen, dennoch erntete der Brief viel Entrüstung. Vor allem, weil das Maß an Zerstörung und menschlichem Leid in der ukrainischen Zivilbevölkerung die Briefschreiber zu dem Schluss führte: „Selbst der berechtigte Widerstand gegen einen Aggressor steht dazu irgendwann in einem unerträglichen Missverhältnis.“

Der zehnjährige Wowa steht mit Vater am Grab seiner in Butscha getöteten Mutter: "Schuld wie eine vergewaltigte Frau mit Minirock".
Der zehnjährige Wowa steht mit Vater am Grab seiner in Butscha getöteten Mutter: "Schuld wie eine vergewaltigte Frau mit Minirock".AP/dpa/ Emilio Morenatti

Die Ukraine sei schuld wie eine vergewaltige Frau mit Minirock

In den sozialen Medien kursierte der Vergleich mit vergewaltigten Frauen, die selber schuld seien an ihrem Unglück, weil sie einen Minirock trügen. Die Ukraine brauche sich nicht zu wundern, wenn ihr Land zerstört wird, so eine Interpretation dieses Satzes, warum wehrt sie sich denn auch so heftig. In Fernseh-Talkshows und Radiosendungen kamen Erstunterzeichner wie Juli Zeh und Alice Schwarzer zu Wort, Kritik schlug ihnen in den Kommentarspalten der Zeitungen entgegen, auf Facebook und Twitter. Der Meinungsbeitrag des Musikers und Songpoeten Wolfgang Müller, „Warum ,Aufrüstung ja oder nein‘ die falsche Frage ist“, zunächst auf seiner Webseite veröffentlicht und über Twitter verlinkt, landete als Gastkommentar im Nachrichtenmagazin Spiegel.

Doch auf das allgemeine Gemurmel folgte mehrere Tage nichts. Jedenfalls keine gemeinschaftliche Aktion. Aber jetzt. Ralf Fücks vom Zentrum Liberale Moderne e.V., der im April selbst in die Ukraine gereist ist, steht unter dem „anderen offenen Brief“ als Initiator, genauer: als verantwortlich im Sinne des Presserechts. Zu seiner Truppe der Erstunterzeichner gehören ebenfalls etliche prominente Intellektuelle und Künstler verschiedener Sparten wie Maxim Biller, Marianne Birthler, Michel Friedman, Marjana Gaponenko, Igor Levit, Jagoda Marinić, Herta Müller, Armin Nassehi, Antje Rávik Strubel, Karl Schlögel und Marina Weisband. „Wer einen Verhandlungsfrieden will, der nicht auf die Unterwerfung der Ukraine unter die russischen Forderungen hinausläuft, muss ihre Verteidigungsfähigkeit stärken und die Kriegsfähigkeit Russlands maximal schwächen“, unterschrieben die genannten und bis zum späten Mittwochnachmittag mehr als 25.000 weitere Personen. Der Emma-Brief von Andreas Dresen, Juli Zeh, Alice Schwarzer und Alexander Kluge zählte zum gleichen Zeitpunkt mehr als 217.000 Unterzeichner. Die Aufholjagd nach Aufmerksamkeit hat begonnen.