Kommentar

Madonnas Konzert-Absage: Wir müssen alle sterben!

Der Abbruch von Madonnas Welttournee wegen Krankheit wird hysterisiert. Die Frau ist fast 65, sie darf auch mal krank sein.

Madonna bei den Grammys im Februar. Ihr Manager sagt, man erwarte eine vollständige Genesung. 
Madonna bei den Grammys im Februar. Ihr Manager sagt, man erwarte eine vollständige Genesung. AFP

Am absurdesten ist es, wenn es beim Ableben von älteren Prominenten immer wieder heißt: Die Nachricht sei „ein Schock“. Der Tod sei „so plötzlich“ gekommen, er habe den oder die Weltliche aus dem Leben „gerissen“. Wenn nicht gerade eine „lange und schwere“ Krankheit zugrunde lag, ist es immer wieder das Gleiche: Vermeldet wird der Tod eines meinetwegen 89-Jährigen, und die Weltöffentlichkeit ist paralysiert.

Wie konnte das nur geschehen? Eben war er noch da, und jetzt ist er einfach weg? Unfassbar. Dabei, und das ist das Merkwürdige, spielt das Alter des Verstorbenen so gut wie keine Rolle. Wenn derjenige nur prominent und beliebt genug war, dann wird die Nachricht seines Todes oft wie ein Skandal aufgefasst.

Ich verrate Ihnen jetzt mal was: Wir alle müssen sterben. Sie, ich und alle Ihre Liebsten – und auch Ihre verhassten Feinde, sofern Sie welche haben. Die Gnade besteht darin, dass wir den Zeitpunkt unseres Ablebens nicht kennen, genauso wenig wie die Umstände desselben. 

Das führt allerdings dazu, dass wir – im Einzelnen wie als Gesellschaft – diesen Umstand nur allzu gerne verdrängen. Dieses Verdrängen hat geradezu krankhafte Züge angenommen. Es führt dazu, dass wir als Gesamtgesellschaft uns kaum noch um diejenigen angemessen kümmern, die sehr krank oder sehr alt sind oder im Sterben liegen. Wir schauen lieber weg, weil wir wie in einem Aberglauben Angst haben, dass es uns sonst selbst allzu schnell erwischt. Das glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich bitte die Versorgungslage von Alten und Kranken in Deutschland sowie die Unterstützung der sie hauptsächlich pflegenden Angehörigen an und wohin stattdessen das ganze Geld im Gesundheits- und Pflegesystem fließt, dann sprechen wir weiter. Die Leute haben so große Angst, dass es sie selbst einmal trifft, dass sie im ganz großen Stil vor diesen Zuständen lieber die Augen verschließen.

Und ich verrate Ihnen noch etwas: Die Gefahr, krank zu werden und auch zu sterben, steigt mit dem Alter. Unglaublich, aber wahr. Und damit wären wir nun wieder bei Madonna. Entschuldigen Sie bitte den obigen Exkurs zu Tod und Teufel, er lag mir auf dem Herzen. Meines Wissens hat auch noch niemand darüber geschrieben, wie merkwürdig und unehrlich die stets schockiert erscheinenden Todesmeldungen von uralten Prominenten und die üblichen Reaktionen darauf sind, das musste mal raus.

Madonna jedenfalls, so zumindest verlautbaren es die Quellen, liegt nicht im Sterben. Sie lag zwar auf der Intensivstation, aber es handelte sich um eine offenbar aus dem Ruder gelaufene bakterielle Infektion, heißt es. Daran stirbt man in der Regel nicht so schnell – auch wenn man das nie genau wissen kann. Ergo stellten sich nun wieder andere Promis aus der ganzen Welt aufgelöst in die Schlange derer an, die dem Popstar gute Besserung wünschen und dass sie schnell wieder auf die Füße komme, um ihre nun unterbrochene Welttournee möglichst zügig wieder aufzunehmen.

Natürlich ist es meist gut gemeint, wenn Menschen sich zu besorgniserregenden Gesundheitszuständen äußern, als Zuspruch für den Betroffenen, für seine Begleiter oder Familie und auch seine Fans, man will Zuversicht vermitteln, dass doch bestimmt alles ganz schnell wieder werde wie zuvor. Aber das ist oft unrealistisch und naiv, denn es werden bis zum Gegenbeweis zweifelsfrei alle Menschen irgendwann alt und/oder krank werden und ja, am Ende auch mal sterben. Auch diejenigen, die man verehrt. Der Tod macht da keinen Unterschied.

Und Leute, bitte! Madonna ist keine 25 Jahre mehr alt, auch wenn sie optisch alles tut, um weiterhin so zu erscheinen. Das ist auch eine dieser unschönen Begleiterscheinungen unseres absoluten Unvermögens und auch Unwillens, mit Alter, Krankheit und Vergänglichkeit umzugehen. Alle wollen nur noch 25 sein. Alles, was danach kommt, gilt als schwierig. Vor allem – und nach wie vor – bei Frauen. Und noch mehr bei Frauen in der Öffentlichkeit.

Aber Madonna ist nun mal beinahe 65 Jahre alt, zumindest wollte sie diesen Geburtstag auf ihrer Welttournee im August feiern, was nun wohl schwieriger zu werden scheint. Aber das ist auch kein Wunder.

Es ist kein Wunder, dass ein Mensch mit 65 nicht mehr so fit ist wie mit 25. Es sollte eher ein Wunder sein, wenn er mit 65 Jahren noch in der Lage ist, solche körperlichen Strapazen auf sich zu nehmen. Es muss daher überhaupt niemanden verwundern oder schockieren, dass Madonna auch mal krank ist. Im Gegenteil: Es wäre verwunderlich, wenn sie es mal nicht zwischendurch wäre. In dem Alter. Und es wäre verwunderlich, wenn andere Prominente nicht mit 89 Jahren plötzlich sterben. Wie alt wollen wir denn noch werden?

Ich habe überhaupt nichts dagegen, wenn irgendwelche Jungs in Kalifornien oder auch deutsche Forscher unter Zuhilfenahme ihres eigenen Körpers Experimente mit der Langlebigkeit machen. Sollen sie sich ausschließlich an veganen Pilzen oder auch den lieben langen Tag an Fleisch und den ausgefeiltesten Nahrungsergänzungsmitteln laben sowie total tricky Trainingspläne erarbeiten, um ihre – und in Zukunft vielleicht auch unsere – Körper fitter, besser und überhaupt zukunftsfähiger zu machen. Es gibt inzwischen Wissenschaftler, die ernsthaft behaupten, wir könnten in absehbarer Zeit den Tod abschaffen. Ich grüße für diesen Fall schon mal diejenigen, die sich in weiser Voraussicht auf diese Zukunft einfrieren lassen und wünsche viel Erfolg beim Auftauen und Zurechtkommen in dieser schönen neuen Welt.

Aber bis es so weit ist, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, werden unzählige Menschen sterben, krank werden, altern. Ich möchte daran erinnern, dass das ganz normal ist. Und dass wir endlich aufhören sollten, Alter, Krankheit und Tod als etwas Unnormales zu begreifen, das irgendwie gegen unsere Natur wäre. Das ist hysterisch. Und wir schaden uns damit selbst.

Würden wir uns diesen unausweichlichen Wahrheiten auf realistische Weise stellen und auch gesellschaftlich implementieren, dann hätten wir viele soziale Probleme nicht, die wir heute haben. Wir würden viel weniger diejenigen ausgrenzen, die es heute schon betrifft. Und wir müssten weniger Angst haben, dass es uns irgendwann auch einmal betrifft. Weil wir uns dann viel mehr gegenseitig umeinander kümmern könnten, bis es so weit ist – auch über die Generationen hinweg. Aber welches Kind bekommt denn heute noch seine tote Oma zu Gesicht? Die meisten Eltern wollen – warum auch immer – ihre Kinder davor „schützen“.

Zurück zu Madonna. Sie ist noch lange keine tote Oma, aber sie ist auch kein junges Mädchen mehr. Sie ist irgendwo dazwischen. Daran kann man Anteil nehmen, wie es sich für eine Dame ihres Alters gebührt. Sie ist 64 Jahre alt, sie lag im Krankenhaus, sie ist wieder entlassen worden, daran ist nichts ungewöhnlich. Wer so tut, als sei man selbst oder jemand wie Madonna unsterblich oder gegen Alter und Krankheit gefeit, benimmt sich infantil.