Kommentar

Olympia-Attentat: 50 Jahre ohne Aufarbeitung

Der Überfall auf die israelische Olympia-Mannschaft von 1972 hat die deutsche Geschichte verändert. Eine echte Auseinandersetzung damit steht noch aus.

Ein bewaffneter Polizeibeamter im Trainingsanzug sichert im Olympischen Dorf den Block, in dem Terroristen die israelischen Geiseln festhalten.
Ein bewaffneter Polizeibeamter im Trainingsanzug sichert im Olympischen Dorf den Block, in dem Terroristen die israelischen Geiseln festhalten.dpa

Ein Mann mit Tarnmaske schaut vom Balkon eines Hauses aus dem Olympischen Dorf in München herunter. 50 Jahre danach sind die Bilder des Schreckens noch immer präsent, als hätten sie sich in die Netzhaut des kollektiven Gedächtnisses eingebrannt. Die demonstrative Selbstsicherheit der Täter steigerte noch das Grauen vom 5. September 1972, dem schließlich elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft zum Opfer fielen. Für das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden stehen sinnbildlich die über die Dächer huschenden Spezialkräfte. Die bunten Farben ihrer Trainingsanzüge veranschaulichten die Arglosigkeit ihres Tuns, gegen die unbedingte Gewaltbereitschaft der Terroristen vermochten sie nichts auszurichten. Zum Drama des tödlichen Geschehens gehörte der naiv anmutende Begleitumstand, dass das Fernsehen Live-Bilder sendete, wodurch die Attentäter über die Arbeit der Polizei stets gut unterrichtet waren.

Es geht um Geld und Zugang zu den Akten

Die bestürzenden und leider auch beschämenden Bilder vom Anschlag der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September auf die israelische Mannschaft haben jedoch verdeckt, was in den vielen Jahren danach geschah – und was unterblieb. In der Erinnerung ist der Terroranschlag ja vor allem einer auf die Illusion der heiteren Spiele von München, die an die Stelle der Inszenierung der Macht durch Hitlers Nazi-Regime von 1936 treten sollten. Aus dieser Perspektive waren nicht nur jüdische Sportler zu Opfern geworden, es hatte auch die junge westdeutsche Demokratie getroffen.

Es ist nicht so, dass der Opfer später nicht gedacht worden wäre. Einige der Namen der getöteten Sportler sind mir, der ich das Geschehen als 13-jähriger Schüler im Fernsehen verfolgte, für immer im Gedächtnis geblieben: Moshe Weinberg, der Ringer-Trainer, Zeev Friedman, der Gewichtheber, André Spitzer, der Fecht-Trainer. Sie und ihre Teamkollegen starben im Kugelhagel auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck, wo eine Befreiungsaktion auf fatale Weise misslang. Gleich zu Beginn des Geiselnahme hatten die palästinensischen Terroristen zwei Mitglieder der israelischen Mannschaft heimtückisch erschossen.

Ankie Spitzer, die Ehefrau André Spitzers, hat die Ereignisse der Nacht nicht mehr losgelassen. Bis heute ist die Journalistin um Aufklärung der Geschehnisse bemüht, die sich keineswegs nur als tragisches Unglück, sondern auch als großes Ärgernis erwiesen haben. In das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit ist Ankie Spitzer nun wieder gerückt, weil sie die anhaltende Forderung nach Entschädigungszahlungen an die Opferfamilien mit deren Teilnahme an einer geplanten Gedenkfeier in München verknüpft. Tatsächlich muten die Summen, die die Angehörigen bislang erhalten haben, kläglich an. Zweimal, 1972 und 2002, wurde Geld ausbezahlt, beide Male explizit ohne Anerkennung einer Schuld. Die erste Zahlung in Höhe von einer Million D-Mark erfolgte über das Deutsche Rote Kreuz.

Mit Schuldeingeständnissen tun sich staatliche Behörden sowohl beim Freistaat Bayern als auch bei der Bundesregierung schwer. Sie würden weitere Forderungen nach sich ziehen, etwa seitens Angehöriger von Opfern des RAF-Terrorismus. Die über Jahrzehnte vergeblichen Bemühungen von Ankie Spitzer zeigen, wie sehr die Bekundungen von Anteilnahme und eine tatsächliche Übernahme von Verantwortung auseinanderfallen.

Ein Sperrvermerk bis 2047

Verspätete Zahlungen in angemessener Höhe, die im Verlauf von 50 Jahren leider unterblieben, sind aber nur ein Aspekt einer skandalösen Verschleppung staatlicher Aufarbeitung. Noch immer sind nicht alle Akten zugänglich, die möglicherweise Auskunft geben über das Versagen der deutschen Sicherheitsbehörden in jener Nacht auf den 6. September von Fürstenfeldbruck. Ein Sperrvermerk gilt noch bis 2047.

Zu den Archiven soll nun immerhin eine Expertenkommission israelischer und deutscher Historiker Zugang erhalten. Ist das nicht eine gute Nachricht? Vielleicht. Sie ist aber auch ein erschreckender Beleg dafür, dass eine die deutsche Nachkriegsdemokratie in ihren Grundfesten erschütternde Tat ein halbes Jahrhundert später immer noch mehr Fragen aufwirft, als Antworten bereithält. Die Gedenkfeier an solch ein Ereignis kann für die nationale Selbstvergewisserung von großer Bedeutung sein. Ohne eine versöhnliche Übereinkunft mit den Vertretern der Opfer ist sie jedoch nichts wert.