Protest der Letzten Generation

Kunstattacke im Potsdamer Museum Barberini: Kartoffelbrei als stinkende Waffe

Wenn sich der Ärger über die Kunstattacken im Museum Barberini gelegt hat, bleibt die Frage, was das alles soll. Ein Erklärungsversuch.

Klimaaktivisten der Klimaschutz-Protestgruppe Letzte Generation, nachdem sie das Gemälde „Getreideschober“ (1890) von Claude Monet im Potsdamer Museum Barberini mit Kartoffelbrei beworfen haben.
Klimaaktivisten der Klimaschutz-Protestgruppe Letzte Generation, nachdem sie das Gemälde „Getreideschober“ (1890) von Claude Monet im Potsdamer Museum Barberini mit Kartoffelbrei beworfen haben.Letzte Generation/AP

Wenn Aufmerksamkeit die Währung ist, in der Protestaktionen vergütet werden, dann war der Angriff der Umweltaktivisten der Letzten Generation auf Claude Monets Gemälde im Potsdamer Museum Barberini äußerst erfolgreich und einträglich. Was ist der Ärger von ein paar Autofahrern im Stau gegen die Empörung der gesamten bürgerlichen Welt in ihrer Sorge um die Klassiker der künstlerischen Moderne?

Wer nicht wie die Klimakinder besessen ist von der Vorstellung, dass buchstäblich keine Minute mehr zu verlieren sei im Kampf gegen die Gefahren der Erderwärmung, dem erscheint es zumindest widersinnig, dass ausgerechnet in der und durch die Kunstgeschichte beruhigte Werte und Werke zur Zielscheibe eines Zornes geworden sind, der nur eine Devise kennt: beschleunigtes Handeln zur Rettung des Klimas jenseits der herkömmlichen zivilisatorischen Maßstäbe.

Eine symbolische Intervention

Der Widerspruch ist offensichtlich: Claude Monets „Getreideschober“ und Vincent van Goghs „Sonnenblumen“, die unlängst in London beschmiert wurden, könnten als impressionistische Wiedergabe des Naturschönen durchaus Komplizen eines Weltverständnisses sein, das den Erhalt natürlicher Umweltbedingungen zur Voraussetzung künftiger Lebensweisen macht. „Solche Landschaftsgemälde“, sagte denn auch die Potsdamer Museumsdirektorin Ortrud Westheider am Sonntag, „könnten Besucherinnen und Besuchern auch dazu Anstoß geben, ihre Beziehung zur Umwelt zu reflektieren und zu hinterfragen“.

Die Aktivistinnen und Aktivisten folgen allerdings einer anderen Logik. Sie wollen ja gerade nicht artig und kontemplativ über das Verhältnis von Kunst, Kultur und Natur nachdenken. Ihr aggressiv-aktionistisches Vorgehen, das auf eine Museumswelt trifft, die gegen derartige Attacken kaum gewappnet scheint und es aufgrund ihres eigenen Selbstverständnisses primär auch nicht sein möchte, setzt auf Irritation und Erschrecken. Entwarnung erlaubt allenfalls die Tatsache, dass der als Waffe eingesetzte Kartoffelbrei keine zersetzende Wirkung hat. Am Ende ist es doch wieder eine symbolische Intervention anstelle handfester Zerstörung.

Wenn das Kopfschütteln über das Potsdamer Spektakel ein wenig nachgelassen hat, ist es vielleicht angebracht, über die Logik und Geschichte des Umweltprotestes nachzudenken, der in dieser Form zu Beginn der 70er-Jahre erfolgreich von Greenpeace zu einer Art Marke erhoben wurde. Die in Kanada gegründete Non-Profit-Organisation hatte sich zunächst mit spektakulären, zum Teil lebensgefährlichen Aktionen gegen Kernwaffentests und Walfang engagiert und dabei staatlichen Widerspruch ebenso ausgelöst wie jugendliche Abenteuer- und Nachahmungslust. So kann es heute als weithin unbestritten gelten, dass Greenpeace im Verlauf der letzten 50 Jahre weltweit wertvolle Expertise und praktisches Know-how zu Fragen der globalen Erwärmung, Atomkraft und Gentechnik beigesteuert hat. Aus den rebellischen Störern ist eine wichtige zivilgesellschaftliche Instanz geworden, auf deren Beitrag in vielen Bereichen, in denen es auf eine problemorientierte Verknüpfung von Wissenschaft und Politik ankommt, kaum verzichtet werden kann.

Greenpeace als Vorbild

Die Erfolgsgeschichten von Greenpeace und der grünen Bewegung insgesamt markieren aber ein Problem, das die selbsterklärte Letzte Generation in ihren bis zur Verzweiflung neigenden Dringlichkeitsbegehren nicht akzeptieren mag und kann. Der generöse Hinweis auf eine gebotene Reifezeit zur Durchsetzung ökologischer Anliegen stellt für sie in erster Linie ein Versagen dar. Und tatsächlich ist die Zeitspanne von zwei Generationen, in denen die Bearbeitung von Umweltthemen größte politische Priorität erlangt hat, viel zu groß angesichts der Zunahme von Flutkatastrophen, Jahrhundertstürmen und heißen Sommern. Zudem zeigt sich am Beispiel der Kernenergie, wie die Errungenschaften der bundesrepublikanischen Ökologiebewegung vor dem Hintergrund eines von Russland auch als Energiekrieg geführten Angriffs auf die Ukraine zu zerrinnen drohen. Die Abschaltung von Kernkraftwerken, für die eine ganze, grün sozialisierte Generation zeitlebens gekämpft hat, erweist sich heute gerade auch aus umweltpolitischer Sicht als paradoxes Unterfangen. In der von der Letzten Generation propagierten Vorstellung von der auslaufenden Zeit jedenfalls spielt die nahezu ewig währende Halbwertzeit von lebensbedrohlicher Radioaktivität eine untergeordnete Rolle. Das ist wohl auch ein Motiv der Letzten Generation für die Wahl des Kartoffelbreis als Waffe. Er beginnt zu stinken – und zwar ziemlich schnell.