Kommentar

Die Rückgabe der Benin-Bronzen ist Teil der historischen Verantwortung

Das am Freitag unterzeichnete Abkommen zwischen Nigeria und Deutschland markiert eine Neupositionierung im Umgang mit dem kolonialen Erbe.

Reliefplatte mit einem König (Oba) und vier Begleitern, 16. Jh.
Reliefplatte mit einem König (Oba) und vier Begleitern, 16. Jh.SMB/Ethnologisches Museum, Berlin

In europäischen Museen und Sammlungen befinden sich Millionen Artefakte, die während der Kolonialzeit unter ungeklärten bis fragwürdigen Umständen ihren Weg nach Europa fanden. Laut Schätzungen 200.000 im British Museum, 180.000 im Königlichen Museum Zentralafrikas im belgischen Tervuren und 75.000 im Ethnologischen Museum Berlin. Lange Zeit waren sie kein Thema der kulturpolitischen Auseinandersetzung, so betrachtete man sie in Deutschland buchstäblich als preußischen Kulturbesitz. Der Name der Stiftung, so ist man es heute geneigt zu bewerten, schien absichtsvoll eine oft gewaltsame Erwerbsgeschichte vieler Gegenstände aufheben zu wollen.

Bezüglich der Benin-Bronzen, von denen über 1000 Exemplare in deutschen Museen ausgestellt werden oder in Depots lagern, wähnte man sich auf der sicheren Seite. Sie waren von der britischen Kolonialmacht infolge sogenannter Strafexpeditionen geraubt worden und fanden über den Kunstmarkt den Weg in deutsche Sammlungen.

Macrons Rede von 2017 war ein Wendepunkt

Ein Katalysator im Bewusstseinswandel für einen künftigen Umgang mit Kunstwerken aus kolonialen Kontexten, der am Freitag durch ein gemeinsames Abkommen zwischen Nigeria und Deutschland vorangetrieben wurde, war eine Rede des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron im November 2017 in Ouagadougou, der Hauptstadt von Burkina Faso. „Ich will nicht akzeptieren“, hatte Macron gesagt, „dass ein großer Teil des Kulturerbes mehrerer afrikanischer Länder sich in Frankreich befindet. Es gibt dafür zwar historische, aber keine langfristig stichhaltigen Gründe, über die man nicht diskutieren könnte. (…) Ich will, dass in fünf Jahren die Grundlagen geschaffen sind, um afrikanisches Kulturerbe zeitweilig oder dauerhaft nach Afrika zurückzugeben.“

Die Rede Macrons fand ihren Widerhall auch in Deutschland. Nachdem sich deutsche Museen jahrzehntelang zögerlich bis defensiv zu ihrer historischen Verantwortung verhalten hatten und kaum über eine hinreichende Provenienzforschung verfügten, setzte eine lebendige Dialogbereitschaft ein, um nicht hinter den französischen Aktivitäten, die bald unter den Erwartungen der Ankündigung blieben, zurückzustehen.

Wichtiger als der Vergleich mit Frankreich aber dürfte die Erkenntnis gewesen sein, dass ohne die Akzeptanz jener Gesellschaften, aus denen die Schätze vieler ethnologischer Museen stammen, insbesondere Nigeria, Kamerun und Namibia, dem ambitionierten Projekt Humboldt-Forum die nötige Anerkennung verweigert werden würde. Inzwischen ist überdeutlich zum Vorschein gekommen, dass in der Mitte Berlins nicht nur ein Ausstellungstanker für die Präsentation außereuropäische Kunst entstanden ist. Vielmehr vollzieht sich hier eine Neupositionierung Deutschlands im Verhältnis zu einer postkolonialen Konstellation.

Gedenkkopf eines Königs. 18. Jh., III C 8196.
Gedenkkopf eines Königs. 18. Jh., III C 8196.SMB/Ethnologisches Museum, Berlin

Aus der Raubgeschichte eine Lerngeschichte machen

Das Ergebnis der Vereinbarung vom Freitag besteht darin, dass das Ethnologische Museum Berlin, das Stuttgarter Linden-Museum, das Hamburger Museum am Rothenbaum, das Rautenstrauch-Joest-Museum in Köln und das Völkerkundemuseum in Dresden/Leipzig die Besitzrechte an den Kunstwerken an Nigeria rückübertragen und im Gegenzug teilweise Leihverträge ausgehandelt werden. Aber es geht natürlich um mehr. Die Vereinbarungen sind der Versuch, die mörderische Raubgeschichte vergangener Jahrhunderte zu einer Lerngeschichte zu machen in einer Zeit, in der sich, wie gerade die Diskussion um die Documenta in Kassel zeigt, die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft gerade auch durch den partnerschaftlichen Umgang mit seinem kolonialen Erbe erweist.