Der Armeechef der Ukraine, Oleksandr Syrskyj, hat der CNN-Veteranin Christiane Amanpour sein erstes Fernsehinterview seit Beginn der Militäroperation in der russischen Region Kursk gegeben. Syrskyj sagte, die Operation habe defensiven Charakter, da Russland von der Grenzregion aus eine neue Offensive gegen die Ukraine geplant habe. „Wir haben die Gefahr einer feindlichen Offensive verringert. Wir haben sie daran gehindert, zu handeln. Wir haben die Kämpfe in das Gebiet des Feindes verlagert, sodass [der Feind] spüren konnte, was wir jeden Tag spüren“, sagte Syrskyj.
Durch den überraschenden Vorstoß der Ukraine in der westrussischen Region Kursk vor genau einem Monat, am 6. August, wurden rund 130.000 Menschen vertrieben. Kiew zufolge bestand eines der Ziele des Vorstoßes in Kursk darin, die russische Armee in die Enge zu treiben und sie dazu zu zwingen, Armee-Einheiten aus der Ostukraine abzuziehen. Die ukrainischen Truppen kontrollieren inzwischen Teile der Grenzregion in Russland, zeitgleich rücken russische Soldaten im ostukrainischen Donbass vor.
Syrskyj, der im Februar das Amt des Armeechefs übernommen hat, erläuterte gegenüber dem amerikanischen Sender die Hauptziele der ukrainischen Operation: Russland soll daran gehindert werden, Kursk als Ausgangspunkt für eine neue Offensive zu nutzen, Moskaus Streitkräfte sollen von anderen Gebieten abgelenkt werden, es soll eine Sicherheitszone geschaffen und der grenzüberschreitende Beschuss von zivilen Objekten verhindert werden. Gleichzeitig sollen ihm zufolge Kriegsgefangene gemacht werden sowie die Moral der ukrainischen Truppen und der Nation insgesamt gestärkt werden.
Mangelnde Bereitschaft zu kämpfen: Rekruten verlassen offenbar Stellungen
Mit Blick auf die anhaltenden Kämpfe in der Ostukraine räumte Syrskyj ein, dass seine Truppen in der Gegend um die strategische Stadt Pokrowsk unter großem Druck stehen. Er behauptete jedoch, dass es der Ukraine gelungen sei, den Vormarsch aufzuhalten: „In den letzten sechs Tagen ist der Feind keinen einzigen Meter in Richtung Pokrowsk vorgerückt. Mit anderen Worten: Unsere Strategie geht auf“, sagte er.
Am Donnerstag hatte die Ukraine dennoch die Evakuierung von Zivilisten per Zug aus Pokrowsk ausgesetzt – aus Sorge vor einem möglichen russischen Angriff. Aufgrund von „Komplikationen“ bei der Sicherheitslage sei die Abfahrt vom Bahnhof Pokrowsk in der Region Donezk abgesagt worden, teilte die Militärverwaltung im nahe gelegenen Myrnograd in einem Onlinebeitrag mit.
Syrskyj sagte, die Priorität der Ukraine sei es, mehr Soldaten zu rekrutieren. Die ukrainische Regierung hat ein umstrittenes Mobilisierungsgesetz verabschiedet, das alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren verpflichtet, sich beim ukrainischen Militär anzumelden. CNN sprach mit Kommandeuren an der Front, die berichteten, dass die neuen Rekruten regelmäßig ihre Stellungen verlassen, weil sie nicht bereit sind zu kämpfen. Syrskyj räumte auch ein, dass die Ausbildung, die den Rekruten vor ihrer Entsendung ins Schlachtfeld zuteilwird, nicht ausreichend sei. „Die Dynamik an der Front erfordert, dass wir die Wehrpflichtigen so schnell wie möglich in den Dienst stellen“, sagte er.


