Ukraine-Krieg

Russen verwüsten und zerstören Cherson bei Abzug offenbar

Russische Truppen sollen Funkmasten und Heizungsanlagen gesprengt haben. Selenskyj reagiert misstrauisch auf die Rückzugsankündigung.

Ein zerstörtes Gebäude in Archanhelske (Region Cherson)
Ein zerstörtes Gebäude in Archanhelske (Region Cherson)dpa/ZUMA Press Wire/Celestino Arce Lavin

Bei ihrem Abzug aus Cherson haben russische Truppen nach Medienberichten die südukrainische Stadt verwüstet. Neben dem Fernsehzentrum seien unter anderem Fernheizungsanlagen und Funkmasten gesprengt worden, berichtete die Ukrajinska Prawda am Donnerstag. Zudem sei in der Stadt der Strom komplett ausgefallen, ebenso wie das Internet. Bereits in den vergangenen Tagen waren mehrere Brücken über den Dnipro gesprengt worden.

Moskau hat inzwischen nach eigenen Angaben mit dem Rückzug seiner Truppen aus der Stadt Cherson begonnen. „Einheiten der russischen Truppen bewegen sich in strikter Übereinstimmung mit dem genehmigten Plan zu vorbereiteten Positionen am linken Ufer des Dnipro-Flusses“, erklärte das russische Verteidigungsministerium am Donnerstag. Nach einem Bericht der russischen Agentur Tass sollen Einheiten der Polizei und Rettungsdienste die Stadt erst mit den letzten Truppen verlassen.

Ein zerstörtes Haus in Cherson. Die russischen Truppen haben nach eigenen Angaben mit dem Rückzug aus Cherson begonnen.
Ein zerstörtes Haus in Cherson. Die russischen Truppen haben nach eigenen Angaben mit dem Rückzug aus Cherson begonnen.imago/Daniel Ceng Shou-Yi

Medien: „Zerstörte Häuser, Minen und Müll“ in Cherson

Die ukrainische Staatsagentur Unian veröffentlichte eine Reportage mit Fotos aus Dörfern an der Randzone des Cherson-Gebiets, die von nachrückenden ukrainischen Truppen befreit worden waren. „Zerstörte Häuser, Minen und Müll“ seien überall zu sehen.

Der ukrainische General Walerij Saluschny erklärte, ukrainische Truppen hätten nach Kämpfen an der Front zwischen Petropawliwka und Noworaisk sechs Siedlungen zurückerobert. Sechs weitere Ortschaften wurden nach seinen Worten zwischen Perwomaiske und Cherson eingenommen. Insgesamt habe die Ukraine damit mehr als 200 Quadratkilometer Gebiet zurückerobert.

Selenskyj ist misstrauisch: „Feind macht uns keine Geschenke“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj reagierte misstrauisch auf die Ankündigung des Truppenabzugs. „Der Feind macht uns keine Geschenke, macht keine ‚Gesten des guten Willens‘“, warnte er. Daher gehe die ukrainische Armee „sehr vorsichtig, ohne Emotionen, ohne unnötiges Risiko“ vor. Selenskyj bekräftigte das Ziel der Ukraine, „unser gesamtes Land zu befreien und die Verluste so niedrig wie möglich zu halten“.

Eine Frau vor ihrem zerstörten Wohnhaus nahe der Stadt Cherson
Eine Frau vor ihrem zerstörten Wohnhaus nahe der Stadt Chersonimago/Daniel Ceng Shou-Yi

Die Region Cherson ist seit Wochen Ziel einer umfassenden ukrainischen Gegenoffensive. Für Moskau ist die Region strategisch von hoher Bedeutung, um die Offensive in Richtung Mykolajiw und zum Schwarzmeerhafen Odessa fortsetzen zu können. Darüber hinaus liegt in Cherson der Kachowka-Staudamm, der die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit Wasser versorgt.

Würde Cherson wieder unter ukrainische Kontrolle kommen, könnten ukrainische Truppen von dort aus mit Artillerie mit großer Reichweite direkt die Krim treffen.

Biden: Russisches Militär hat „echte Probleme“ im Ukraine-Krieg

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sprach indes von einem möglichen „weiteren Sieg“ für die Ukraine. „Wir müssen abwarten, wie sich die Situation vor Ort in den kommenden Tagen entwickelt. Klar ist jedoch, dass Russland unter hohem Druck steht und ein Abzug aus Cherson ein weiterer Sieg für die Ukraine wäre“, sagte er am Donnerstag. US-Präsident Joe Biden wertete die Rückzugsankündigung aus Moskau als Beleg dafür, dass das russische Militär „echte Probleme“ im Krieg in der Ukraine habe.

Unterdessen geht die internationale Unterstützung für die Ukraine weiter: Spanien kündigte am Donnerstag die Lieferung von zwei weiteren Hawk-Luftabwehrsystemen an, zusätzlich zu vier bereits gelieferten Systemen. Der an Russland grenzende baltische Staat Litauen plant nach eigenen Angaben derweil, acht Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars von den USA zu kaufen.