Ukrainekrieg

Erdogan macht „bestimmte Lobbys“ für das Scheitern der Istanbul-Verhandlungen verantwortlich

Der türkische Präsident spricht über die gescheiterten Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine im Jahr 2022 in Istanbul, Wochen nach Ausbruch des Krieges.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach in New York über das Scheitern der Istanbuler Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach in New York über das Scheitern der Istanbuler Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine.Ludovic Marin/AFP

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat „bestimmte Lobbys“ für das Scheitern der Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul im Jahr 2022 verantwortlich gemacht. Diese hätten kein Interesse an einer friedlichen Lösung gehabt. Der türkische Präsident äußerte sich zu dem Thema während eines Treffens mit Vertretern von Denkfabriken in New York, wo diese Woche die UN-Generalversammlung stattfindet.

Erdogan erklärte, dass der Ukrainekrieg sich vor aller Augen in eine große humanitäre Tragödie verwandelt habe und dass die Türkei sich „von Anfang an bemüht hat und immer noch bemüht, einen gerechten Frieden zu schaffen“. Das Direktorat für Kommunikation der türkischen Regierung zitiert Erdogan auf seiner offiziellen Website: „Die Verhandlungen in Istanbul haben den Erfolg der aktiven Rolle der Türkei bewiesen. Bestimmte Lobbys wollten jedoch nicht, dass diese Bemühungen ihr Ziel erreichen. Auf jeden Fall werden wir unser Bestes tun, um den Krieg zu beenden, ohne mehr Zerstörung zu verursachen.“

Erdogans Aussage spiegelt die des türkischen Parlamentssprechers wider. Numan Kurtulmus sagte letzten Monat in einem Interview, dass einige Länder kein Interesse an einem Ende des Krieges hätten, obwohl beide Seiten in Istanbul einem „gerechten und ausgewogenen Frieden“ sehr nahe gekommen seien. „Leider wollten einige Länder nicht, dass der Krieg endet. Das liegt daran, dass die USA versuchen, den europäischen Kontinent durch den Krieg in der Ukraine zu konsolidieren, um Russland mit einem ernsten Problem zu beschäftigen, und regionale Turbulenzen als wichtig für das dortige Kräfteverhältnis ansehen“, so Kurtulmus.

Boris Johnsons umstrittene Rolle in den Verhandlungen

Israels ehemaliger Ministerpräsident Naftali Bennet hatte mit Bezug auf die Istanbuler Verhandlungen erklärt, dass Russland und die Ukraine kurz vor einem Abkommen gestanden hätten, doch der britische Premier Boris Johnson habe interveniert. Im Jahr 2023 warf Dawyd Arachamija, der Fraktionsvorsitzende der Partei des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im Parlament, Johnson vor, er habe die Ukraine bei einem Besuch in Kiew im April 2022 dazu aufgefordert, weiter gegen Russland zu kämpfen. Arachamija war der Chefunterhändler bei den Friedensgesprächen in Istanbul, die im März 2022 stattfanden. Im Januar dieses Jahres hatte Johnson Arachamijas Behauptungen, er habe sich in die Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine eingemischt, entschieden zurückgewiesen. In einem Interview mit der Times bezeichnete er sie als „völligen Unsinn“ und „russische Propaganda“.

Der türkische Präsident Erdogan spricht im März 2022 kurz vor den Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine zu den Verhandlungsführern.
Der türkische Präsident Erdogan spricht im März 2022 kurz vor den Friedensgesprächen zwischen Russland und der Ukraine zu den Verhandlungsführern.Turkish Presidency/AP

Anfang des Monats erklärte die langjährige hochrangige Vertreterin des amerikanischen Außenministeriums, Victoria Nuland, warum aus ihrer Sicht die Istanbuler Verhandlungen scheiterten. Nuland zufolge hat damals Russland präzise Waffenbeschränkungen für die Ukraine gefordert. „Die Ukraine wäre als militärische Kraft tatsächlich kastriert worden“, sagte sie in einem Interview. Für Russland habe es keine ähnlichen Beschränkungen gegeben. An diesem Punkt sei innerhalb und außerhalb der Ukraine die Frage gestellt worden, ob es ein „guter Deal“ wäre. „Und das war der Punkt, an dem es zerbrach“, erklärte die amerikanische Diplomatin.

Auch Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich bei einem Auftritt in der Schweiz zu dem Thema geäußert. Ein Frieden sei greifbar nahe gewesen, sagte Schröder bei einer Veranstaltung der Weltwoche. Doch Kiew und Wolodymyr Selenskyj hätten nicht frei entscheiden können, da „mächtigere Kreise“ hinter dem ukrainischen Präsidenten einen Frieden abgeblockt hätten.