Ukrainekrieg

Tusk bei Krisengipfel: EU muss Wettrüsten mit Russland gewinnen

Bei einem Gipfel in Brüssel kurz nach der Einstellung der US-Militärhilfe für die Ukraine will die EU Kiew den Rücken stärken. Polens Ministerpräsident findet deutliche Worte.

Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (M) mit der lettischen Ministerpräsidentin Evika Silina (l) und der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk (M) mit der lettischen Ministerpräsidentin Evika Silina (l) und der EU-Außenbeauftragten Kaja KallasGeert Vanden Wijngaert/dpa

Polens Ministerpräsident Donald Tusk erklärte beim EU-Krisengipfel in Brüssel, Europa habe keine andere Wahl, als sich der Herausforderung Russlands im Bereich der Rüstung zu stellen – und sie zu gewinnen. Der Politiker räumte ein, dass die europäischen Länder in der Vergangenheit zu viel Zeit mit dem Aufbau einer Verteidigungsunion verschwendet hätten, die gegenwärtige Situation jedoch entschlossenes Handeln erfordere.

„Alle meine Gesprächspartner sind entschlossen, sich dieser Herausforderung zu stellen“, wird Tusk von polnischen Medien zitiert. „Der Krieg in der Ukraine, der veränderte Kurs der US-Administration gegenüber Europa und vor allem die aggressive Rüstungspolitik Russlands bringen uns in eine völlig neue Situation. Deshalb müssen wir in dieses Rennen einsteigen und es gewinnen“, fügte der polnische Regierungschef hinzu.

Tusk sagte, dass er bis vor kurzem eher Hoffnung als Gewissheit gehabt habe, dass die Schaffung einer Verteidigungsunion möglich sei. Doch nun sieht er die Entschlossenheit der europäischen Staats- und Regierungschefs. Er wies unter anderem auf den Vorschlag der Präsidentin der Europäischen Kommission zur Wiederaufrüstung hin: Ursula von der Leyen will bis zu 800 Milliarden Euro dafür mobilisieren.

Von der Leyen sieht „Wendepunkt“ für Europas Sicherheit

Auch von der Leyen sieht nach dem vorläufigen Stopp der US-Militärhilfen für die Ukraine die Sicherheit Europas und der Ukraine an einem „Wendepunkt“. Die Lage sei brandgefährlich, sagte von der Leyen bei einem Auftritt mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und dem EU-Ratspräsidenten António Costa vor dem Krisengipfel. Selenskyj dankte den Europäern für ihre Unterstützung und betonte, die Menschen in der Ukraine seien „nicht alleine“.

Von der Leyen betonte, Europa müsse in der Lage sein, „sich selbst zu schützen, sich selbst zu verteidigen, so wie wir die Ukraine in die Lage versetzen müssen, sich selbst zu schützen und für einen dauerhaften und gerechten Frieden zu kämpfen“.

EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nannte eine Wiederbewaffnung Europas überfällig. Nach jahrelangen ergebnislosen Diskussionen sei es dafür „verdammt noch mal Zeit“, sagte die Christdemokratin aus Malta. Zum Auftakt des Gipfels kamen die EU-Spitzen mit Metsola zusammen. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas kritisierte das Einfrieren der US-Militärhilfen für Kiew durch Präsident Donald Trump. Sie nannte dies ein „gefährliches Spiel mit der Zukunft der Ukraine“.

Der Präsident des Europäischen Rates, António Costa (l-r), der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen
Der Präsident des Europäischen Rates, António Costa (l-r), der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der LeyenHarry Nakos/AP/dpa

EU-Gipfel: Scholz warnt erneut vor „Diktatfrieden“ in der Ukraine

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat beim EU-Gipfel in Brüssel erneut vor einem „Diktatfrieden“ in der Ukraine gewarnt. „Es ist ganz wichtig, dass wir sicherstellen, dass die Ukraine nicht einen Diktatfrieden akzeptieren muss“, sagte Scholz am Rande des Treffens. Es müsse „um einen fairen, gerechten Frieden, der die Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine sicherstellt“ gehen.

Zu einer solchen Vereinbarung gehöre aus seiner Sicht „eine starke ukrainische Armee auch in Friedenszeiten“, fügte Scholz hinzu. Die Ukraine müsse als „souveräne, demokratische, unabhängige Nation“ bestehen bleiben, betonte der Kanzler. „Das wird sie aus eigener Kraft nicht schaffen.“ Scholz mahnte, im Umgang mit US-Präsident Trump einen „kühlen und klaren Kopf“ zu bewahren. „Wir müssen sicherstellen, dass die Ukraine weiter unterstützt wird“, sagte er. Dazu gehöre die finanzielle und militärische Unterstützung der Europäer sowie der USA.

Selenskyj dankt der EU für „starkes Signal“ der Unterstützung

Bei seiner Ankunft auf dem Gipfel in Brüssel dankt der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj den europäischen Staats- und Regierungschefs für ihre Unterstützung. „Während dieser ganzen Zeit und in der letzten Woche sind Sie auf unserer Seite geblieben“, sagte Selenskyj mit Bezug auf seinen Eklat im Weißen Haus mit dem US-Präsidenten Donald Trump und seinen Vize JD Vance sowie die darauffolgende Einstellung der US-Militärhilfe. „Wir sind nicht allein, und das sind nicht nur Worte, wir spüren es“, so der ukrainische Präsident weiter. „Sie haben dem ukrainischen Volk ein starkes Signal gegeben, und das Volk weiß das zu schätzen“.

Selenskyj wird in Brüssel mit mehreren europäischen Staats- und Regierungschefs zusammentreffen. Der erste war Emmanuel Macron, der am Vortag erklärt hatte, Russland stelle eine Bedrohung für Europa dar. In einer Ansprache im französischen Fernsehen sprach sich Macron für eine „strategische Debatte“ über die atomare Abschreckung in Europa aus.

Am Donnerstag kritisierte Russlands Außenminister die Äußerungen Macrons und sie mit den Worten Hitlers und Napoleons verglichen. Zudem sehe Moskau laut Sergej Lawrow eine mögliche Entsendung europäischen Friedenstruppen in die Ukraine als „direkte, offizielle, unverhüllte Beteiligung von Nato-Staaten an einem Krieg gegen die Russische Föderation“. (mit AFP)