Film

Tricia Tuttle leitet künftig die Berlinale: Wie sie Berlin mit London vergleicht

Die Amerikanerin Tricia Tuttle zieht im April 2024 nach Berlin. Bislang leitete sie das London Film Festival. Am Dienstag verriet sie in Berlin, wofür sie brennt.

Die Berlinale bekommt eine neue Leitung: Tricia Tuttle.
Die Berlinale bekommt eine neue Leitung: Tricia Tuttle.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Eine Frau wird künftig die Berlinale leiten, es ist Tricia Tuttle. Die Kulturstaatsministerin Claudia Roth stellte die frühere Chefin des London Film Festivals beim British Film Institute (BFI) am Dienstag im Berliner Martin-Gropius-Bau vor. Tuttle leitete beim BFI auch das BFI Flare, das Londoner LGBTQIA+-Filmfestival. Später sagte sie, dies sei ein Thema, für das sie wirklich brenne. Derzeit ist Tuttle Head of Directing Fiction an der National Film and TV School UK.

Die 53 Jahre alte Amerikanerin tritt im April 2024 die Nachfolge des seit 2019 wirkenden Führungsduos Carlo Chatrian (52) und Mariette Rissenbeek (67) an. Tuttle ist die erste Frau, die die Berlinale allein leitet. Es dürfte ihr Genugtuung bereiten. Tuttle setzt sich seit Jahren für gerechte Geschlechterverhältnisse im Filmbereich ein. In der britischen Zeitung Guardian beklagte sie vor einiger Zeit, dass weiße Männer in der Filmindustrie das Sagen haben, sprach von der Gläsernen Decke für Frauen. Ihr Programmteam beim London Filmfestival bestand zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen. Ebenfalls im Guardian sprachen sie und ihre Partnerin, Mütter von Zwillingen, darüber, dass ihnen nie der Gedanke gekommen sei, sie würden in ihrer Familie einen Vater brauchen.

Tricia Tuttle entschuldigte sich dafür, dass sie englisch spricht, als sie bei der Pressekonferenz im Filmsaal des Gropius-Baus das Wort ergriff. Es ist ein Englisch mit britischem Akzent, seit 1997 lebt die in North Carolina Geborene bereits in Großbritannien. Sie versprach, in einem Jahr so gut Deutsch zu können, dass man sich über ihren Akzent lustig machen könne. Die Mitglieder der Findungskommission, der neben dem Filmregisseur Edward Berger („Im Westen nichts Neues“) die Schauspielerin Sara Fazilat, die Geschäftsführerin der Deutschen Filmakademie Anne Leppin und der Chef der Senatskanzlei Berlin Florian Graf angehören, begrüßten sie mit Applaus. Sie haben sich einstimmig für Tuttle ausgesprochen, genau wie der Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes GmbH.

Ein Festival habe eine spezielle Beziehung zu dem Ort, der es beheimate, sagte Tricia Tuttle. Dann schmeichelte sie Berlin: „Die Berlinale ist ein Ausdruck dieser Stadt, die verspielt ist, stachelig und die einen leidenschaftlichen Umgang mit Kunst und Ideen pflegt. Sie ist intelligent, politisch und divers.“ Das kulturell und ethnisch so diverse London mit seinen 200 Sprachen habe sie inspiriert, als sie die Festivals dort geleitet habe. Sie sehe hier Parallelen zu Berlin, das ebenfalls eine großartig diverse Stadt sei. Im April werde sie nach Berlin ziehen und nicht nur in das Berlinale-Team, sondern auch in die Stadt eintauchen und den Dialog mit Berlin und den Berlinern führen.

Fragen, wie sie die Berlinale verändern wolle, wies Tricia Tuttle ab

Jede Frage dazu, wie sie das Festival künftig gestalten, wie sie es verändern möchte, wies Tricia Tuttle höflich, aber bestimmt zurück beziehungsweise sie vertröstete die Fragesteller auf April. In England nennt man das wohl Fair Play.

Was die Kulturstaatsministerin Claudia Roth von Tricia Tuttle erwartet, wurde schnell klar: Sie sprach vom Publikumszuwachs, den das BFI London Film Festival unter Tuttles Leitung verzeichnet habe, vom Gewinn an Bedeutung, an Profil. „Sie hat uns vor allem mit ihren klaren Vorstellungen zu den künstlerischen Perspektiven der Berlinale, einem modernen, teamorientierten Festivalmanagement, nachhaltiger Nachwuchsförderungen und zeitgemäßen Sponsoring-Modellen überzeugt.“

Tricia Tuttle tritt kein leichtes Erbe an: Zuletzt hatte es gravierende Verluste von Sponsor-Partnern gegeben. Bereits Anfang Juli hatte die Berlinale bekannt gegeben, sparen zu müssen; die Perspektive Deutsches Kino gibt es nicht mehr. Und ob sich Roth von Tuttle hinsichtlich der künstlerischen Perspektiven mehr Sinn für Glamour erhofft? Das klar erkennbare Interesse von Chatrian an einem vor allem ästhetischen Prinzipien verpflichteten Arthouse-Kino, hatte jedenfalls Unmut hervorgerufen.

Nach dem Rauswurf Chatrians im August, für den Roth in der Filmwelt kritisiert wurde, stand die Berlinale vor einem Trümmerhaufen. Es schien schier unmöglich, dass in so kurzer Zeit eine neue Intendanz gefunden werden könnte. Nun gibt es mit Tricia Tuttle wieder eine Perspektive, auch wenn das London Film Festival nicht mit der Berlinale vergleichbar ist, die in einer Liga mit Cannes und Venedig spielt. Doch Tuttle ist offenbar eine Frau mit vielen Talenten, ihre Karriere begann sie als Gitarristin und Vokalistin der Indierock-Band June in North Carolina.

Eine weitere Berlinale-Personalie wurde am Dienstag bekannt: Dennis Ruh muss die Leitung des European Film Market abgeben. Er hatte diesen Posten erst seit 2020 inne.

Die nächste Berlinale findet vom 15. bis zum 25. Februar 2024 statt.