Während der Vormarsch der ukrainischen Armee im Osten des Landes nach Angaben aus Kiew weitergeht, hat sich Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer ungewöhnlichen Botschaft direkt an das einstige „Brudervolk“ Russland gewandt. „Glaubt ihr immer noch, wir sind ein Volk?“, heißt in dem am Sonntag auf Facebook und Telegram veröffentlichten Text. „Glaubt ihr immer noch, ihr könntet uns einschüchtern, brechen, zum Nachgeben zwingen?“
Die scharfe Abrechnung mit Moskau veröffentlichte Selenskyj fast zeitgleich mit einer Videobotschaft an das ukrainische Volk, in der er sich angesichts des mittlerweile seit 200 Tagen andauernden Kriegs bei seinen Landsleuten für die Verteidigung ihrer Heimat bedankt. In diesen Tagen werde von den ukrainischen Streitkräften – ungeachtet aller Widrigkeiten, die man dafür auf sich nehmen müsse – „die Geschichte der Unabhängigkeit und des Sieges“ geschrieben.
Kriegspoesie im Blackout
In weiten Teilen der Ukraine war am Sonntagabend infolge russischer Angriffe der Strom ausgefallen. Der Gouverneur der Region Charkiw erklärte, Attacken auf „wichtige Infrastruktur“ hätten zudem die Wasserversorgung in dem Gebiet unterbrochen. Selenskyj, der sein Händchen für zielbewusste Medienbotschaften seit Beginn des russischen Angriffskrieges immer wieder unter beweis gestellt hatte, nutzte den Blackout, um das vielfach aufgegriffene Gedicht zu verfassen.
Ohne Benzin oder ohne dich? Ohne dich. Ohne dich oder ohne Licht? Ohne dich. Ohne Wasser oder ohne dich? Ohne dich. Ohne Essen oder ohne dich? Ohne dich.
„Kälte, Hunger, Dunkelheit und Durst“, so heißt es weiter in dem Gedicht, seien für die Ukrainer weniger tödlich als die vermeintliche „Freundschaft und Bruderschaft“ Russlands. Letztlich, das betonte Selenskyj auch in seiner Ansprache an die ukrainische Bevölkerung, werde man Siegreich aus dem Krieg hervorgehen – in einer Zukunft mit Wasser, Gas und Nahrung, aber „ohne dich“.


